Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 27-29
Rhythmus und Kampf
Andrea zu ihrer Verhaftung, Oktober 1981

Andrea's zweite Verhaftung wegen Freizeit 81-Aktionen. Der Verräter mit dem Namen Knallhart aus ihrer Gruppe machte Aussagen, wegen denen Andrea und ihr Bruder Tom am 16.10.81 erneut verhaftet wurden. Sie wurden zu einem Jahr und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Am 28.4.82 wurden sie entlassen.


Sitze seit 24 Stunden in der Ettstrasse. Einzelzelle. Polizeipräsidium, vergilbte Wände, zur Hälfte grün, das Klo tripperverseucht, eine hauchdünne Matratze. Es mieft, vergessene Schicksale und nach Schiss und Herzklopfen. Der Haftbefehl am Boden, rosa, stinkt ganz genauso. Vor 24 Stunden war ich noch frei, im Bett gelegen, nichtsahnend, wie es um 10 Uhr morgens sturmklingelt, renne zur Tür, nackt, nur die Bettdecke über den Schultern, stehe einem Überfallkommando gegenüber; an die 10 Zivilbullen - Fressen zum reintreten, die Uniformierten brechen wie eine Horde in die Wohnung - anziehen - zwei Junge stehen im Türrahmen, glotzen auf meinen Arsch, noch nie ne nackte Frau gesehen, was! Sie werden rot, sie sind verhaftet, als ich Frage, wieso - haha des werns scho no frü gnua erfahrn, ich will den Durchsuchungsbefehl sehen, angeblich Gefahr im Verzug, legen mit Handschellen an, packen mich an beiden Armen, zerren mich die Treppe runter, ich denk, jetzt ist erstmal alles aus, sitze im Transportbus, schau nochmal zu unseren Fenstern hoch, und dann die lange Fahrt durch die Stadt, ich hab Magenkrämpfe, heule, geb keinen Ton von mir, und jetzt in der Ettstrasse. Aufnahmezeremoniell, ED-Behandlung zum 3.Mal, dieses Mal die ganze Handfläche, keine Zigaretten, aber sie lassen mich in Ruhe. Mensch jetzt würd ich grad ausm Haus gehen... stell mir vor, die Tür geht auf, sie lassen mich gehen, vielleicht, die Tür geht tatsächlich auf, sie bringen mich einen Stock tiefer, der Staatsanwalt lächelt siegesgewiß, Haftrichter, Haftbefehl, meine Freunde auch Gefangene, bei ihnen derselbe Festnahmegrund, den die Herren sich aus den Fingern gesogen haben. Bin wieder auf der Zelle, allein ...was is mit den Anderen???? Anwaltsbesuch, trotzdem verloren, aber sie wissen draußen Bescheid, wälze mich immer wieder im frisch gestärkten Bettzeug, blauweiß kariert, und draußen Alltag, 5 Semmeln bitte - schlaf endlich ein, krieg irgendwie die Nacht rum, der Schlüssel dreht sich im Schloß: Packen


"Die Spinne" im Frauengefängnis Aichach

Erinnerung (I)

(...)Gegen 18 Uhr kommen zwei Polizisten in Uniform. Sie teilen mir mit, daß mein Sohn verhaftet worden ist. Ich sage ihnen, daß ich bereites informiert bin und bereits vom Anwalt komme. Kurze Zeit später ruft Rechtsanwalt N. an und erzählt mir, daß auch meine Tochter Andrea verhaftet wurde. Ich frage mich, was muß da abgelaufen sein? Warum wurden beide verhaftet? (...)
Andrea wird beschuldigt an einer Gefangenenbefreiung mit beteiligt gewesen zu sein. Zwei Zeugen hätten sie wiedererkannt. Zeugengegenüberstellung- nein, was ich für Vorstellungen habe. Der Haftbefehl, der wohl schon vorbereitet ist, wird fertiggemacht. Andrea bleibt in Haft. Mein Einwand daß sie noch zur Schule geht und am nächsten Tag eine wichtige Klausur hätte, interessierte den Richter nicht.(Ob er wohl auch Kinder hat?) Die Haftbegründung erscheint mir eigenartig und grotesk. Verdunklungsgefahr, Fluchtgefahr, und vor allem nicht ausreichende soziale Bindung. Ich frage mich, wie ein Richter sowas behaupten kann. Er kennt doch unsere sozialen Bindungen überhaupt nicht. Oder ist es überhaupt schon klar, daß, wenn man demonstrieren geht, einfach keine sozialen Bindungen hat? Auf ihre Jugendlichkeit, ihre 16 Jahre, wurde ebenfalls nicht eingegangen. Ich kann ihr gerade noch ein paar Mark zustecken, dann wird sie abgeführt. Ich fühle mich schlecht, Traurigkeit, Ohnmacht und vor allem Wut. „Warum ist so etwas möglich?“ (...)
Heute Abend ist Kundgebung für die Verhafteten. Schon ganz weit vorne steht überall Polizisten in Reihe aufgestellt. Die „Embryos“ spielen. Jemand ruft die Namen der Verhafteten ins Mikro. Plötzlich geht eine Unruhe los. Man erfährt, daß es Zusammenstöße zwischen Punks und Polizei gab. Die Kundgebung wird aufgelöst. Sie geben Ratschläge durchs Mikro durch: „Geht nur in Gruppen von hier weg, so seid ihr sicher vor Verhaftungen“. Ich bekomme tatsächlich Angstzustände, wie als Kind im Krieg. Es ist doch gut, wenn die Verhafteten erleben, daß sie nicht im Stich gelassen werden. Wir fahren nach Haidhausen in ein Cafe. Alle sind total angespannt. Ich muß gehen. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Ich gehe in ein griechisches Lokal, da treffe ich Renate. Renates Schwester ist auch in der Szene. Eine Mutter, eine Schwester. Wir kommen zu der Entscheidung, daß Jugendliche, die noch den Mut haben sich zu rühren in Ordnung sind. Sie sind noch nicht so kaputt und angepaßt.

Fortsetzung von Seite 27

Sie ihre Sachen! Unten wartet ein Zivilauto, roter BMW mit Panzerglas und zwei fetten widerlichen Bullen drin, schubsen mich rein, verriegeln die Türen, die sagen kein Wort, die ganze Zeit, ich denk ich sterb, wir fahren durch die Stadt und fahren, aber nicht den Weg nach Neudeck, mann das nimmt kein Ende, wo geht's bloß hin?? Schau mir zum letzten Mal die Straßen an, plötzlich sind wir auf der Autobahn, ich denk jetzt bringen sie mich irgendwo hin zum foltern, erst vergewaltigen und dann prügeln, seh die brennenden Zigaretten schon vor mir, fang an zu schwitzen, die bringen dich um, Todesangst, und die zwei Deppen sagen einfach nichts. Plötzlich ein Schild: Aichach, mann Knast, ich bin dermaßen erleichtert, werde wieder ruhig, wir halten vor dem Tor, das riesig ist, metallen, dann öffnet es sich, ich bin aufgenommen, Personalien, warten, hab einfach keinen Orientierungssinn mehr, werde gelassen, hoffnungslos, lasse alles über mich ergehen.


Andrea bekommt noch ein weiteres Verfahren am 6.11.81 wegen „Anstiftung einer Meuterei“ im Knast Aichach - diverse Repressalien waren die Folge


Dazu aus dem Urteil:


„Es ist nicht ausschließbar, daß Andrea Wolf auch in Zukunft bei Tatsächlichen oder vermeintlichen Mißständen aus blinder Wut gegen den Staat, seine Organe oder die Gesellschaft gewaltsam vorgeht und hierbei ihre Meinung als absolut setzt...

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machwerk, frankfurt (2000)