Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seite 57
Selbstbehauptung und
Selbstverteidigung


Andrea hatte schon in München mit Kampfsport angefangen, mit Taek-won do. Eine Freundin aus München sagt dazu: „Das hatte schon immer eine große Bedeutung für Andrea. Das wäre auch ein Weg für sie gewesen wie sie die Gymnastikgeschichten gemacht hat. Sie hatte eine irrsinnige Körpersprache. Wenn du Andrea gesehen hast, sie war der totale Bewegungsmensch. Das hast du beim Sprechen gemerkt, wie sie läuft....Sie hat auch so eine Körpersprache gehabt, daß du gedacht hast, oh wer ist denn das?“

Nach ihrem Umzug nach Frankfurt hat sie erst eine Zeitlang in einer Frauengruppe Karate gemacht. Sie konnte das aber nicht lange machen, da ihr bei vielen Übungen immer wieder die Arme auskugelten. Sie hatte schon von Kindheit an eine Bänderschwäche in den Schultern, die aber durch das Verdrehen der Arme bei Festnahmen extrem verstärkt wurde. Deswegen hat sie sich in zwei Operationen zwischen 1988 und 1989 die Schultern operieren lassen.
Danach fing sie im Frankfurter Verein „Frauen in Bewegung“ an. Der Frauenverein unter Leitung von Sunny Graff bietet auf der Basis von Taek-won do, Selbstverteidigungs und Selbstbehauptungskurse für Frauen und Mädchen an. Außerdem fing der Verein vor einigen Jahren an, den Schülerinnen auch eine Trainerinnenausbildung anzubieten. Eine der Grundlagen dieser Kurse und der Ausbildung geht aus einem Text von Sunny Graff im Jahre 88 hevor:

SELBSTVERTEIDIGUNGSPRINZIPIEN
Information: Es ist wichtig daß Frauen und Mädchen richtige Informationen über Gewalt gegen uns haben. Weil nur über Ausnahmefälle in der Presse berichtet wird, kriegen wir ein falsches Bild von Gewalt gegen uns. Wir hören nur von den schlimmsten Fällen, in denen Frauen und Mädchen von Fremden gefoltert, vergewaltigt und umgebracht worden sind. Solche Sensationsberichte lehren uns Angst und zwingen uns in eine Opferrolle. Gewalt wird als spontan bezeichnet; Männer werden als Triebtäter dargestellt. Wir hoffen zu Unrecht, daß wir uns vernünftig schützen können, wenn wir den Umgang mit Fremden vermeiden.

Dieses falsche Täterbild und die Strategien die wir zu unserem Schutz einsetzen, lassen uns leicht Opfer werden für die Männer, die uns am häufigsten verletzen und vergewaltigen, nämlich Männer, die wir kennen. Die meiste Gewalt ist geplant. Gewalt passiert am häufigsten in der Familie, im engen Freundes,- und Bekanntenkreis. Ohne richtige Information über Gewalt sind wir nicht in der Lage uns zu verteidigen, wenn wir von Männern angegriffen werden, die wir kennen und denen wir vertrauen. Wir müssen uns richtig informieren, um geeignete Strategien gegen jede Form von Gewalt zu entwickeln.

Angst macht uns passiv. Wir hören ( fast) nie von den Frauen, die zurückkämpfen und sich erfolgreich wehren. Wenn wir glauben, daß wir keine Chance gegen die Macht der Männer haben, wehren wir uns überhaupt nicht und hoffen nur, daß wir als „brave Opfer“ von dem Angreifer mit unserem Leben belohnt werden. Aber die meisten Frauen, die sich in Angriffssituationen wehren, entkommen. Die amerikanische Forschung zur Selbstverteidigung hat gezeigt, daß eine Frau in 60% der Fälle, wenn sie schreit oder sich zur Wehr setzt entkommen wird. Wenn sie beide Strategien einsetzt entkommt sie in 80% der Fälle. Je aktiver sie ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie rauskommt.

Andrea trainierte, immer wenn es ihr möglich war, sehr intensiv. Die Möglichkeit sich selbst zu verteidigen, nicht hilflos und ängstlich zu sein, gefährliche Situationen einschätzen zu können, zurückzukämpfen, wenn sie angegriffen wurde, das war die Motivation und das gehörte zu ihr.
Ein Freund erinnert sich:“ Das hat sie zum Beispiel oft gemacht, daß sie den Nachwuchs, die jungen Mädchen, nachdem sie den ersten Gürtel hatte, trainierte. Das hat eine große Rolle in ihrem Leben gespielt. Es gab die politischen Termine, die gemeinsamen Vorhaben, die Priorität hatten. Und was als nächstes in einer bestimmten Phase Priorität hatte, waren die Termine mit dem Training.“

Später wurde im Verein auch eine Ausbildung als Trainerin für Basisgymnastik angeboten, die Andrea erfolgreich abschloß.
1994 organisierte sie mit Danae gemeinsam ein Selbstverteidi-gungswochenende in Wien.
In Kurdistan gab Andrea später Schwimm-, und Sport-, auch Kampfsportunterricht in einer Jugendeinheit der Frauenarmee, und vermittelte ihre Kenntnisse auch dort weiter.

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machwerk, frankfurt (2000)