Unsere gemeinsame
Zeit mit Andrea
Gespräch über die Jahre 1988-1993 von der Gruppe Kein Friede
Wir führten
dieses Gespräch im Juli 1999 um uns die Jahre, die uns sehr mit
Andrea verbunden haben, zu vergegenwärtigen. Zwei Frauen aus der
Gruppe, die vom 12.4.89 bis zum 17.12. 1993 im Knast waren, stellten
Fragen an die anderen, die zusammen mit Andrea draußen gekämpft
haben. Gemeinsam verfaßte Texte sind im Anhang zu finden.
: Bevor
wir 1989 wegen der Aktion in der Frankfurter Börse verhaftet wurden,
waren wir Teil eines Diskussions- und Orga-nisierungsprozesses, in dem
es darum ging aus den Erfahrungen der Jahre vorher gemeinsam Konsequenzen
zu ziehen. In diesem Zeitraum, Sommer 1987, haben wir Andrea kennengelernt
und uns zusammengeschlossen.
Wir
kamen aus verschiedenen Widerstandsbereichen und suchten nach einer
verbindlichen Organisierung. Wir wollten nicht mehr von einer Initiative
zur nächsten springen, sondern selbst eine lange politische Kampfphase
bestimmen. Regionale Verankerung war uns ebenso wichtig wie internationaler
Befreiungskampf. Wir versuchten langfristig zu denken und handeln, orientiert
an revolutionären Interventionslinien, um daran verschiedene Aktivitäten
und Aktionen zu entfalten. Stichworte darin waren z.B. der Aufbau eines
revolutionären internationalen Zentrums, Organisierung an der Basis,
Volksküche, internationale Diskussion. Es ging uns darum handlungsfähig
zu sein, in aktuelle politische Situationen eingreifen zu können
und darin auch gesellschaftliche Präsenz herzustellen.
Wir
waren noch in der Diskussion und Planung der ersten praktischen Schritte,
als die Gefangenen aus der RAF und dem Widerstand am 1.2. 1989 ihren
10. Hungerstreik für ihre Zusammenlegung in große Gruppen,
mit einer Kette begannen. Zwei Gefangene fingen an, und im Rhythmus
von zwei Wochen kamen immer zwei weitere dazu, damit es ein langer Kampf
werden konnte. Für uns bedeutete das, in dieser Situation schnell
zu handeln, obwohl wir noch Zeit gebraucht hätten für die
Planung unserer Projekte. Aber wir wollten unmittelbar solidarisch sein
und die hungerstreikenden Gefangenen in ihrem Kampf unterstützen.
Wir besetzten das Grünen-Büro in Frankfurt um politischen
Druck zu machen und einen Ort zu haben, wo sich viele treffen und aktiv
werden können. Es wurden öffentliche Plakatklebeaktionen organisiert,
Kundgebungen am Knast, Barrikadenaktion vor dem Neubau des Oberlandesgerichts,
politische Veranstaltungen etc.
Unser ursprünglicher Plan war, das ganze Haus, in dem das Grünen-Büro
war, zu besetzen, da dies an die Dresdner Bank verkauft wurde, und wir
dort ein internationales revolutionäres Zentrum einrichten wollten.
Somit waren mehrere Vorstellungen an diese Initiative geknüpft.
Am
12.4.1989 wurden wir zu dritt nach einer militanten Aktion gegen die
Frankfurter Wertpapierbörse verhaftet.Wir setzten mit Molotowcocktails
die Computer in Brand, um damit das Börsengeschäft zu schädigen.
Die Aktion sollte auch in die Eskalation des Hungerstreiks eingreifen,
da die ersten aus der Kette bereits seit 71 Tagen streikten. Wir schlossen
uns gleich dem Hungerstreik an, der am 12.5. gemeinsam beendet wurde.
Im Juni wurde ein weiterer Genosse aufgrund einer Zeugenaussage auch
wegen der Börsenaktion verhaftet. Kurz danach wurde die Besetzung
des Grünen-Büros beendet. Andrea war, wie ihr auch, bis zum
Schluß daran beteiligt. Einige Monate später habt ihr eine
Solidaritätsgruppe zu dem Prozeß gegen uns gegründet,
der im Februar 1990 begann.
: Ihr
habt in einem der regelmäßig erscheinenden Prozeßinfos
gesagt, daß der Hungerstreik ein Einschnitt in Zusammenhänge
und Beziehungen war und sie und die Entwicklung der letzten Jahre auf
der Punkt gebracht hat. Woran entwickelten sich damals die Widersprüche
und was war eure Position darin ?
: Die
politischen Gefangenen begannen den Hungerstreik neben dem Ziel veränderter
Haftbedingungen unter anderem mit dem Satz in ihrer Erklärung,
daß es darum ginge, das revolutionäre Projekt neu zu formulieren.
Mit dieser Zielsetzung, das Projekt des revolutionären antiimperialistischen
Widerstandes aus den 80er Jahren neu zu bestimmen, waren wir einig.
Es wurde aber sehr deutlich - und das machte die Widersprüche aus
-, daß ganz unterschiedliche Schlüsse aus der Erfahrung der
autonomen und antiimperialistischen Bewegung der 80er Jahre gezogen
wurden. Auch aus den Erfahrungen der bewaffneten Linken, und auch aus
den vorherigen Kämpfen der Gefangenen. Die hauptsächliche
Interpretation der Hungerstreikerklärung war ein Widerspruch zwischen
militanter Intervention und dem Versuch möglichst viele unterschiedliche
gesellschaftliche Kräfte zu vereinen. Wir waren der Ansicht, daß
es diese Verbindung braucht, sonst führt es nur zu Abstrichen an
den eigenen Konzeptionen. Das kennzeichnet ein wenig die Widersprüche,
die sich dann z.B. auch in der Grünen-Bürobesetzung, als Info-
und Aktionszentrum zeigten. Diese Vorgehensweise war innerhalb der Hungerstreikmobilisierung
relativ isoliert und wurde kritisiert, daß sie taktisch dem Hungerstreik
schade. Die Gefangenen selber hielten eine Interventionslinie zumindest
ab einem bestimmten Zeitpunkt für verfehlt - und machten das auch
öffentlich in jeder erdenklichen Art und Weise deutlich.
: Es
gab zu dem Hungerstreik, wie auch zu seinem Abbruch sehr unterschiedliche
Einschätzungen. Auch zwischen uns drinnen und euch draußen
wurde das Unverständnis immer größer. Aus unserer Sicht
hatte die Wegnahme der Eskalation durch den Abbruch die Situation geöffnet.
Wir hatten die Einschätzung, daß in der politischen Diskussion
und weiteren Initiativen die Ziele der Gefangenen erreicht werden können.
Trotzdem gab es natürlich auch das Gefühl von Niederlage,
da es nur minimalste Zugeständnisse vom Staat gab. Was sich später
als absolut falsch herausgestellt hat, war die Annahme, daß eine
gesellschaftliche Kraft mobilisiert und handlungsfähig war.
Was war eure Kritik?
Besetzung
des Grünen-Büros
Rückseite
des KBW-Hauses 1989
Auszüge
aus der Erklärung zur Besetzung des Grünen-Büros
in Frankfurt, während des Hungerstreiks der Gefangenen
aus der RAF und dem Widerstand ab Februar 1989:
Wir sind
heute in das Grünenbüro im ehemaligen KBW-Haus gegangen
und richten dort ein Zentrum zum Hungerstreik der Gefangenen
aus RAF und Widerstand ein.
Wir bauen
das Aktionszentrum mit Büro, Ermittlungsausschuß,
Infoladen und Volksküche auf, um dort jederzeit erreichbar
zu sein und um dort Plenas und Treffen zu verschiedensten Initiativen
zu organisieren.
Wir wollen das verbinden: zum Hungerstreik der politischen Gefangenen
und zum Kampf für die Durchsetzung der Zusammenlegung die
notwendige Öffentlichkeit schaffen, als Anlaufstelle für
alle Menschen und Gruppen, die den Kampf zu ihrem machen, als
Raum, um zu diskutieren und zu entwickeln - um damit unsere
Situation in der Stadt und der Region zu verändern, d.h.
radikaler Opposition und revolutionärem Widerstand den
materiellen und politischen Raum zum Handeln zu schaffen, den
wir schon lange brauchen.
...Wir sind im ehemaligen KBW-Haus, weil es früher ein
Zentrum linksradikaler Politik war und heute von verschiedensten
alternativen Projekten und Gruppen genutzt wird.
Wir sind zu den Grünen, weil sie behaupten, sich für
die staatsapologetische Politik (Dialog und Befriedung, Gestaltung
des Knastneubau-Programms in Hessen und Zustimmung zur Anschaffung
neuer Polizeiwaffen, Wasserwerfer usw.) einzusetzen, Teil der
staatlichen Macht sind, die den Gefangenen und uns gegenübersteht.
|
: Der
hauptsächliche Dissens von uns aus war nicht in der Frage, ob es
richtig war den Hungerstreik abzubrechen, sondern zu den Begründungen
und Rechtfertigungen. Da wurde eine Einschätzung der politischen
und sozialen Situation in diesem Land und international deutlich, die
mit unserer überhaupt nicht zusammenpaßte. Ein Beispiel:
während von den Gefangenen und dem mit ihnen konform gehenden Spektrum
von einem Durchbruch zu neuen demokratischen Verhältnissen in Deutschland
gesprochen wurde, begriffen wir die Situation als einen Zusammenbruch
linker und linksradikaler Perspektiven und Vorstellungen. Wir sahen
die Kraft nicht, die da angeblich entstanden ist. Deswegen sagten wir,
es geht gerade darum diese Kraft aufzubauen.
Selbstverständlich war es in der damaligen Mobilisierung gelungen
über das linksradikale Spektrum hinaus, Unterstützung für
die Gefangenen zu erreichen. Wir sahen das aber nicht als Ausdruck einer
realen gesellschaftlichen Veränderung, sondern als Ergebnis eines
Desintegrationsprozesses der Linken: mobilisiert waren nicht Gruppen
oder Spektren, sondern Einzelne aus ihnen. Wir konnten auch die Einschätzung
nicht teilen, daß diese stellvertretend zu sehen seien.
Das andere war die reale politische Entwicklung in Deutschland, in der
wir hauptsächlich den Rechtsruck sahen. Die Entwicklung zum Herbst
1989 hin, Mauerfall und Zusammenbruch der DDR sahen wir natürlich
auch nicht voraus, aber für uns fing der Durchmarsch reaktionärer
Politik nicht erst da an. Daß es alles andere als eine Linkswendung
war, konnte man auch vorher schon sehen. Gut, unsere Auseinandersetzung
mit der Politik der 80er-Jahre drehte sich damals auch schon um den
Punkt, daß wir die objekte Reaktion auf die Wende von 1982
erkannten, zu der die subjektiv erfahrene Aufbruchstimmung konträr
stand. Dieser Widerspruch hat sich 1989 dann als riesiges Dilemma herausgestellt.
: Ich
weiß, daß Andrea sehr stark versucht hat mit uns im Knast
in der Diskussion zu bleiben und uns die Sachen zu vermitteln. Seien
es die Auseinandersetzungen, die im Grünen-Büro weiterliefen
oder an der Entscheidung, den Hungerstreik abzubrechen. Ich muß
heute sagen, daß ich sie in der Situation emotional nicht verstanden
habe. Ich sah nicht, wie die vorhergehenden Diskussionen an Organisierung,
an Neuaufbau - wir hatten damals Neukonstituierung gesagt - zu dem Hungerstreikverlauf
im Widerspruch steht. Das habe ich damals nur schwer verstanden. Andrea
versuchte, uns das zu vermitteln und ist aufgelaufen. Wir haben uns
sehr viel gestritten.
Wie seid ihr damit in der Gruppe, in der Stadt und mit dem gemeinsamen
Projekt danach weiter umgegangen? Ihr habt dann die Prozeßgruppe
gemacht. Was waren eure weiteren Aktivitäten? Welche Bedeutung
hatte die Prozeßgruppe innerhalb dieser Entwicklung?
: Wir
bildeten die Gruppe zum Börsenprozeß, weil Leute aus Frankfurt,
ihr, im Knast wart. Ein ganz einfacher Grund. Es war klar, daß
wir euch unterstützen. Aber auch klar war, daß wir versuchen
werden, eine Diskussion zu führen über die Erklärung
zur Börsenaktion, über die inhaltlichen Punkte, die über
den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hungerstreik hinausgingen. Stichwort
Umstrukturierung, Stadtsanierung, imperialistische Zentren. Es ging
uns um den Versuch, in bestimmten Gebieten - Frankfurt als eine wichtige
ökonomische, politische und militärische Finanzregion für
den westeuropäischen Imperialismus - eine Basisbewegung und Widerstand
zu entwickeln und auf die Straße zu bringen. Das stand in dem
Kontext, den du zu Anfang nanntest, mit einer längerfristigen Initiative
und Organisierung. Wir gingen von der Einschätzung aus, daß
nur eine akkumulierende Wirkung von vielen Initiativen und Interventionen
auf unterschiedlichsten Ebenen des Widerstandes bis zu Aktivitäten
von militärisch kämpfenden Gruppen, in der Lage ist eine Wirkung
zu erringen und Druck zu entfalten. Daraus entsteht eine gesellschaftliche
Gegenkraft. So war auch die Prozeßgruppe und ihr Info Kein
Friede mit den Banken, aus dessen Name sich dann später der
Name unserer Gruppe ableitete, ein Versuch, diese Diskussion, auch mit
euch Genoss/innen im Knast, weiterzuführen.
Es
war auch ein Ort, wo die Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus
dem Hungerstreik zu Diskussion standen. Wie ihr, die ihr im Hungerstreik
verhaftet wurdet, das weiter bewertet, was sich real an Verhältnissen
geändert hat, wie auch der Zuspruch und die Unterstützung
in der Stadt ist zu Genossen und Genossinnen, die wegen einer militanten
Aktion verhaftet wurden. Gleichzeitig - das lief alles parallel - gab
es auch Überlegungen zu weiteren Vorstößen gegen die
Haftbedingungen, z.B. die Besuchsgruppen als Versuch die verschiedenen,
dem staatlichen Gefangenenprojekt gegenüber kritischen Personen,
für eine reale Initiative zu gewinnen.
Ein weiterer Punkt kam hinzu. Diese Prozeßgruppe kam z.T. aus
der Grünen-Bürobesetzung hervor und war auch ein Versuch an
die Diskussionen von vor dem Streik mit den Erfahrungen dieser Mobilisierung
anzuknüpfen, und für eine neue linksradikale Organisierung
in Frankfurt zu nutzen.
: In
Frankfurt und bundesweit. Das Prozeßinfo wurde bundesweit vertrieben,
und so hatten wir die Mobilisierung zum Prozeß angelegt, die sich
auch grundsätzlich gegen den Anti-Terror-Paragraphen
129a richtete. Damit sollte auch der Bezug gegen die anderen zu dieser
Zeit laufenden Gerichtsprozesse hergestellt werden, sei es das erste
große Verfahren gegen die PKK, nordirische Genossen und Genossinnen,
und andere aus dem militanten Widerstand der BRD.
: Später
schätzten wir eure Arbeit sehr, nachdem wir anfangs heftige Kritik
an der Prozeßgruppe hatten, weil die Diskussion mit uns erst spät
anfing. Wir warfen euch Objektverhältnis vor. Das andere war, daß
wir zu dem Zeitpunkt noch an dieser Vorstellung gesellschaftlicher Breite
festhielten und eher eine Art Bürgerinitiative zum Prozeß
wünschten. Das hat sich dann sehr schnell geändert. Die Prozeßinfos
waren für uns nach den zehn Monaten Knast die ersten Zeitungen,
bei denen wir das Gefühl hatten, wir sind Teil der Diskussion.
Wichtig fanden wir, daß es in den Ausgaben nicht nur um den Prozeß
ging, sondern daß ihr da auch z.B. zum Golfkrieg oder Hungerstreik
in Spanien Artikel brachtet. Es wurde vermittelt, woran Initiativen
liefen und womit ihr euch auseinandergesetzt habt.
: Andrea
hat euch und anderen Gefangenen nicht nur viel geschrieben und viele
Besuche gemacht, sondern sie hatte auch überhaupt viel geschrieben.
Das sieht man jetzt ja auch bei der Zusammenstellung für die Broschüre.
Andrea war ein Mensch, die viel aufgeschrieben hat. Gedanken, Briefe,
Flugblätter, Versuche, kleine und große Textbeiträge.
Dieses Talent, in relativ schneller Zeit etwas zu formulieren, ist auch
dem Prozeßinfo zu gute gekommen. Sie hat viel daran mitgearbeitet.
Unsere gemeinsame Diskussion, und das merkt man den Prozeßinfos
auch an, war nicht immer so ausformuliert oder schon so klar, aber eins
war klar, wir müssen versuchen politische Überlegungen zur
Diskussion zu stellen. Wir müssen dafür ein öffentliches
Forum schaffen. Wir gingen davon aus, wenn eine linksradikale Bewegung,
oder auch nur eine revolutionäre Widerstandsgruppe, sich neukonstituieren
will, muß sie sprechen. Auch auf die Gefahr hin, kritisiert zu
werden oder möglicherweise falsch zu liegen.
: War
das schon ein Grundstein für den Ansatz, Erkennbarkeit und Präsenz
zu schaffen, wie es dann später auch in der Mobilisierung gegen
den Weltwirtschaftsgipfel 1992 und im Zusammenhang mit den anti-faschistischen
und anti-rassistischen Initiativen deutlicher wurde?
: Ich
will es anders sagen: Nicht im Prozeßinfo war es Grundstein, sondern
umgekehrt, auch in den Prozeßinfos zu versuchen es umzusetzen.
In unseren politischen Initiativen ab 1988 war es bereits angesiedelt.
Z.B. führten wir das nach 1989 in der Kampagne gegen das Finanzzentrum
Frankfurt fort, mit den Sleep-Ins, Mitarbeit im Häuserrat, Filmwochen
gegen Wohnungsnot... Das waren alles Ansätze um eine Präsenz
zu schaffen, öffentlich zu sein, erkennbar zu werden und die eigenen
Sachen zur Diskussion zu stellen.
Das charakterisierte für uns einen Schluß auf die 80er-Jahre-Politik.
: Andrea
war da manchmal sehr wankelmütig. Sie hat z.B. in der Diskussion
mit euch versucht eine Brücke zu bauen und zu vermitteln, im gleichem
Atemzug konnte sie aber, wenn sie z.B. eure Erklärungen oder die
anderer Gefangener las, in einem Ausmaß darüber schimpfen
und sie in der Luft zerreißen. In einer Absolutheit, die anderen
aus unserer Gruppe zu viel war, auch wenn sie grundsätzlich die
Kritik geteilt haben. Das hat Andrea auch ausgemacht: sie war sehr schnell
und rigide und sehr grundsätzlich - konnte es aber im konkreten
zu den Leuten dann wieder aufheben.
: Wie
habt ihr euch nach dem Urteil gegen uns (sieben Jahre), also dem Ende
der Prozessgruppe, weiter organisiert?
:
Als gemeinsamen Abschluß der Prozeßarbeit organisierten
wir dann die große §129a-Veranstaltung im August 1990. Das
letzte Prozeßinfo, das nach Ende des Prozesses und nach dem Golfkrieg
herauskam, war dann schon weitgehend ein Produkt der Gruppe Kein Friede.
Aber die Verbindungen sind geblieben. Wichtig für alle in der Prozeßgruppe
war, die politischen Unterschiede nicht gegeneinander zu diskutieren.
Aus dieser gemeinsamen Diskussion war es legitim nach Ende der Prozeßarbeit
über den Namen erkennbar auch in dieser Kontinuität zu stehen.
Das war logisch und kein Problem.
: Ihr
habt eben als ein Ziel der Diskussionen genannt, daß es darum
ging, verschiedene Momente - öffentliche Präsenz, Basisorganisierung,
militante Intervention - zusammenzubringen und Trennungen aufzuheben.
Wie habt ihr euch mit dem Kampf der RAF auseinandergesetzt?
: Die
RAF gehörte sehr stark in die Auseinandersetzung dieser Jahre.
Wir haben uns nicht in dem Widerspruch Militanz ja oder nein bewegt,
auch nicht, nachdem die RAF 1992 eine Feuerpause verkündete. Für
uns war wichtiger, was wir zuerst in einem der Prozeßinfos ausdrückten:
in dieser Phase geht es darum den Sinn revolutionärer Politik wieder
neu zu entwickeln. Für uns war selbstverständlich, daß
die RAF und die RZs darin eine Rolle spielen mußten. Sie waren
ein kontinuierlicher revolutionärer Organismus, der zumindest in
den 70er- und 80er Jahren sehr bestimmend war. Für das Projekt
einer Neukonstituierung betraf es sie genauso, wie andere autonome und
antiimperialistischen Gruppierungen: es geht so wie bisher nicht weiter;
auch diese Gruppen müssen Teil eines neuen Anfangs werden, wir
und sie werden sich transformieren müssen. Das war unsere Auseinandersetzung
mit dem Projekt RAF, mit dem Projekt RZ. Gewünscht hatten wir uns,
daß es politisch ein Prozeß wird.
Das war in diesen Jahren unsere Diskussion in der Gruppe. Andrea vertrat
da die gleiche Position. Wir entwickelten das nicht in erster Linie
als Kritik an der RAF oder den RZs, sondern als Notwendigkeit und Problem,
wie ein neues Projekt anzufangen ist und was wir dazu beitragen können.
: Welche
konkreten Ziele habt ihr euch vorgenommen?
: Es
ging uns um einen Prozeß der Erweiterung. Wir schwärmten
aus, um die Diskussion mit Gleichgesinnten zu suchen. Sei es bei der
internationalen Infoladenvernetzung, in der Kampagne Stop EG '92",
und dann in der Mobilisierung gegen den Münchener WWG. Damit wollten
wir hier im Land GenossInnen treffen und uns mit ihnen organisieren.
Und zum anderen eine internationale Diskussion neu aufbauen. Da waren
Verbindungen und Zusammenhänge abgerissen, wie auch weit über
uns hinausgehend ein internationalistisches Projekt nicht mehr existierte.
Gleichzeitig hielten wir es für notwendig angesichts des Schubs
nach rechts, nicht nur durch die Straßenfaschisten, sondern
durch den Staat, der offen rassistische Politik betrieb, eine Gegenwehr
zu organisieren. Das war in Frankfurt dann der Aufbau der antirassististischen
und antifaschistischen Stadtteilgruppen und des Notruftelefons.
: Ihr
habt also die Phase der Niederlage nicht so gesehen, daß es angesagt
sei, sich erstmal zurückzuziehen und alles zu überprüfen?
Ihr sagtet statt dessen, in dieser Situation ist es notwendig, da zu
sein und einzugreifen und darin neue Erfahrungen zu machen?
: Ja.
Und auch eine Konfrontation zu erzeugen, mit unseren Vorstellungen.
: Aber
war es nicht auch so, daß ihr manchmal das Gefühl hattet,
gegen eine Entwicklung anzurennen und politisch einsamer zu werden?
...
UNSERE MACHT GEGEN IHRE MACHT!!
Aus der
Erklärung zur Aktion gegen die Frankfurter Wertpapierbörse
am 12.4.1989
Kapitalistische
Logik ist die der Verwertung, der Verdinglichung, schematisch
und kalt berechnend. Kapitalistische Wirklichkeit ist Zerstörung
und Unterordnung alles Lebens unter das Primat des Profits. Kapitalistisches
System ist umfassende, alles durchdringende und vereinnahmende
Unterwerfung des Subjekts durch die Macht: technologisch, rationell,
wirtschaftlich.
Dagegen
für uns den Horizont aufzureißen, eine Bresche zu schlagen,
in der befreites Leben in der ganzen Tiefe erfahrbar ist, haben
die Kämpfe der letzten Jahre kaum erreicht. Wir haben nicht
die Wirkung entfalten können, die Dynamik kapitalistischer
Entwicklung, der Umstrukturierung und Modernisierung zu brechen.
Viele haben aufgegeben, viele fangen ganz neu an, kaum eine Gruppe,
kaum ein Zusammenhang, an dem das nicht spurlos vorbeigegangen
wäre. Die Zersetzung und Einkreisung des Widerstands durch
selektiven Bullenterror, Verhaftungen und massenhaft Ermittlungsverfahren
hat überall dort gegriffen, wo dem Kampf die Einheit fehlte.
Das ist unsere Erfahrung. Da kommen wir her: wo starke Praxis
war, fehlte die Analyse und die greifbare Vorstellung vom langandauernden
Kampf; wo Analyse war, fehlte die Praxis; wo von beidem etwas
war, fehlte das subjektive Moment: die eigene Umwälzung.
ORGANISIERTE
REVOLUTIONÄRE GEGENMACHT FÄNGT BEI UNS AN: SIE IST UNSERE
STRUKTUR; UNSERE BEZIEHUNG; UNSERE PRAXIS!!
Es
ist der Kampf um revolutionäre Identität. Es ist der
Kampf, in dem die Eroberung der eigenen Subjektivität untrennbar
mit der politischen und praktischen Überwindung imperialistischer
Herrschaft verbunden ist - in diesem Verhältnis seine Wurzeln
hat!
Die Erfahrung menschlicher Produktivität und Kreativität
wird erst lebendig im unversöhnlichen Bruch mit der ständigen
Unterwerfung durch das kapitalistische Kommando, das jede Faser,
jedes Gefühl, jeden Gedanken - eben den funktionalen Menschen
- braucht für die Maximierung der Verwertungsbedingungen.
Im
Ziel, objektive und subjektive Notwendigkeit in eins zu setzen,
für jede und jeden und im gesamten revolutionären Prozeß,
wird die Einheit erst Kampfbegriff.
|
: Ja
und nein. Wir hatten uns vorgenommen, uns nicht zurückzuziehen
und drei Projekte bestimmt, die wir dann versuchten an einzelnen Initiativen
umzusetzen: Projekt Organisierung, einen Diskussions- und Organisierungszusammenhang
aufzubauen; dann die internationale Diskussion, da steht unter anderem
der WWG für, dort das von uns organisierte Forum 1 auf dem Gegenkongreß
- und eben Basisorganisierung, wofür wir uns in Frankfurt an den
Stadtteilgruppen und dem Telefon beteiligten. Da sind wir nicht einsamer
geworden, sondern mit ganz vielen Leuten zusammengekommen und haben
was zusammen gemacht.
Einsamer - und das Problem hatten nicht nur wir - wurde es an der Frage
der Organisierung einer revolutionären, einer strategischen Diskussion
und Praxis. Uns in der Niederlage zurückzuziehen stand für
uns nicht an - wir mußten sie erstmal benennen und entwickeln.
Die Resonanz, also das Eingehen auf diese Diskussion, war mau. Das machte
uns zu schaffen und das beutelte auch Andrea sehr.
Das war sehr widersprüchlich für uns. In Frankfurt mit dem
Telefon z.B. als Ansatz war es ein zahlenmäßig aus den letzten
Jahren sehr großes Projekt, wenn nicht das größte einer
stadtweiten, gruppenübergreifenden Organisierung gewesen. Auch
in der Anti-WWG-Mobilisierung 1992 waren wir alleine schon in der Phase
der Vorbereitung mit sehr sehr vielen Leuten zusammen.
: Andrea
war da sehr aktiv drin. Vielleicht könnt ihr in diesem Zusammenhang
etwas zu ihr sagen? Was waren dort ihr Engagement und ihre Fähigkeiten?
: In
unserer Gruppendiskussion zur Initiierung einer antirassistischen Basisorganisierung
war Andrea sehr stark engagiert. Auch sie sah die Notwendigkeit, an
verschiedenen gesellschaftlichen Konflikten und Problemen sich mit anderen
zusammen zu organisieren. In unserer Vorstellung einer antirassistischen
Basisorganisierung war das dann der Versuch in den Stadtteilen handlungsbereite
Gruppen aufzubauen. Andrea hat die Gruppe im Gutleut, wo sie lebte und
später in Bockenheim, stark geprägt. Aber auch beim Telefon,
sowohl bei Alarmsituationen, wenn Notrufe kamen, um direkt einzugreifen.
Ich erinnere nur an die Mobilisierung nach dem Brand in einem Flüchtlingsheim
in Lampertsheim. Ihre Haltung war eindeutig: sofort reagieren, handeln.
Es entstand die Situation, daß, obwohl Lampertsheim 100 km von
Frankfurt weg ist, wir mit dem Telefon die einzige Öffentlichkeitsarbeit
machten, aber auch Aktivitäten, wie eine Untersuchungsgruppe, und
dann die Demo in Lampertsheim mit über 1000 Leuten. Das Telefon
bekam da überregionale Bedeutung, auch Autorität: Presse,
Feuerwehr und Polizei riefen bei uns an, wenn sie gesicherte Informationen
haben wollten. Ähnliches später dann auch in Mannheim-Schönau.
Andrea
zeichnete aus, beide Seiten anzugehen: nach innen, daß unter allen
Beteiligten ein Organisierungsprozeß stattfindet - und nach außen,
mit den Aktionsgruppen, bei Alarmeinsätzen usw. in vorderster Front
zu stehen, wenn es darum geht Faschisten und Rassisten in die Flucht
zu schlagen, Flüchtlingsheime zu schützen usw.
Auch in den Schwierigkeiten sich mit so vielen - auch sehr unterschiedlichen
- Leuten zu organisieren, war sie immer wieder initiativ. Gegen Tendenzen
der Passivität und der bürokratischen Verwaltung. So startete
sie z.B. eine interne Umfrage und wertete sie aus, um für den inneren
Diskussionsprozeß Grundlagen und Vorschläge zu liefern, denn
es trafen sich ja nie alle Beteiligten. Auch nicht bei Einsätzen
oder Vollversammlungen.
: Andrea
machte nach dem WWG eine längere Reise nach Mittelamerika, Guatemala
und El Salvador. Da versuchte sie an Beziehungen und Kontakte anzuknüpfen,
die während des Gegenkongresses entstanden waren. Gab es für
die Vorbereitung dieser Reise eine gemeinsame Diskussion und Überlegung?
: Was
die Auffrischung dieser Kontakte insbesondere nach El Salvador betrifft,
ja. Andrea sollte versuchen dranzubleiben, und mit den Organisationen
dort zu diskutieren. Wir wollten die Genossen und Genossinnen dafür
gewinnen, an dem einen Ergebnis unseres Forums, die Initiierung eines
internationalen Kampftages für die Freiheit der politischen Gefangenen,
aktiv mitzuarbeiten. Das war das konkrete: die Initiative Libertad!
Aber es war ja nicht nur eine politische Reise; in erster Linie war
es ein Besuch bei ihrer Mutter in Guatemala. Mit Ausflügen. In
El Salvador gelang es ihr mit den Verantwortlichen zu reden, sie konnte
auf dem Kongreß der FPL-Jugendorganisation eine Rede halten, vom
Menschenrechtskomitee der FMLN erhielt sie ein Schreiben, daß
wir in ihrem Namen bezüglich des Internationalen Kampftages sprechen
können.
: Es
gab später einen Vorschlag von Andrea, zur FMLN hin, die Diskussion
vom Gegenkongreß weiter zu entwickeln und eine internationale
Woche in El Salvador zu machen. Gleichzeitig sollten nach dem Verhandlungsprozeß
in El Salvador die Wahlen, die ein Jahr später stattfanden, unterstützt
werden. Aus El Salvador gab es die Antwort, daß sie auch mit anderen
Stellen aus Deutschland zusammenarbeiten. Das war eine Absage an eine
gemeinsame, auch strategische internationale Diskussion.
In El Salvador war ein anderer Prozeß im Gange. Durch die Verhandlungen
zwischen FMLN, rechter Regierung und den USA hatte die FMLN dann, wie
sie auch in der Antwort sagten, eher auf sog. demokratische Kräfte
gesetzt, die stärkeren politischen Druck machen können, und
weniger das Interesse an einer Diskussion, die auf eine revolutionäre
Zusammenarbeit hinlaufen sollte. Für Andrea war das sicher eine
große Enttäuschung?
: Ob
es eine Enttäuschung war, weiß ich nicht. Andrea hat ihr
eigenes Bedürfnis nach internationalistischer Diskussion und gemeinsamen
Kampf, auch die Erfahrung mit einzelnen Genossinnen und Genossen in
El Salvador, die das sicher sehr ernsthaft geäußert haben,
mit dem politischen Prozeß der Organisation verwechselt. Der objektive
Prozeß in El Salvador hat einen ganz anderen Weg eingeschlagen.
Ich würde nicht unbedingt sagen, einen reformistischen Weg, aber
aufgrund der Voraussetzungen, die sie dort hatten, auch der Ergebnisse
des Guerillakampfes und der Verhandlungen, war der Prozeß woanders.
Andrea setzte ihre eigene Einschätzung, und das machte ein Stückweit
die Schwierigkeit unserer Diskussion nach der Reise aus, mit den Bedingungen
gleich, was man machen kann. Das war in El Salvador offensichtlich nicht
der Fall. Entsprechend die Absage.
: Andrea
hat es dann für sich selber so charakterisiert - das hat sie dann
noch mal in einem Brief nach El Salvador geschrieben, daß für
sie nach ihrer Reise eine Entfremdung zu ihrer Gruppe gelaufen ist.
Sie fühlte sich unverstanden und kritisierte, daß es von
euch kein Verhältnis zu dem Kampf dort gibt und ihr die Dringlichkeit
nicht gesehen habt, sich in der Art und Weise zu solidarisieren. Sie
empfand das als unsolidarisch.
:
Ja. Da waren die Spannungen. Wir haben das nicht so verstanden. Es war
tatsächlich so, was bei anderen Konflikten in der Gruppe nie so
war, daß es sie und die anderen aus der Gruppe gab. Uns anderen
fehlte die El Salvador-Erfahrung. Wir konnten nachvollziehen, daß
es Andrea wichtig ist, aber die inhaltlichen Überlegungen und die
Euphorie auf die Entwicklung in El Salvador bezogen, haben wir weder
gefühlsmäßig noch objektiv geteilt. Das war eine ganz
schwere Zeit. Hinzu kam, daß Andrea in dieser Phase ihre Position
in Fragen, wie zur RAF oder den Gefangenen hin, veränderte. Keine
Kehrtwende, aber doch sehr stark auf die Möglichkeiten, die die
RAF durch die April-Erklärung (Feuerpause) und die Gefangenen in
der sog. Kinkelinitiati-ve des damaligen Justizministers gesehen haben,
setzte. Da waren wir nicht mehr immer einer Meinung, insbesondere in
der Einschätzung der perspektischen Möglichkeiten einer solchen
Politik.
Aus beidem zusammen, war das schon eine tendenzielle Entfremdung.
: Die
Entwicklung beschleunigte sich immer mehr: die RAF griff den Knastneubau
in Weiterstadt an, so daß der nicht eröffnet werden konnte
und kurz darauf gab es das Drama in Bad Kleinen, eine Staatsschutzaktion
bei der Birgit Hogefeld durch Verrat des Spitzels Klaus Steinmetz verhaftet
und Wolfgang Grams erschossen wurde. Das war für viele ein Schock,
vor allem für die, die den Verfassungschutzagenten persönlich
kannten. Auch speziell für die Gruppe hatte das eine sehr große
Auswirkung. Andrea selber hat das für sich als Super-GAU
bezeichnet, aufgrund ihres, eures Kontaktes und ihrer Freundschaft zu
Steinmetz und weil sie schon das dritte Mal mit Spitzel und Verrat konfrontiert
war.
Es traf alle aus der Gruppe und war ein Schock. Zusätzlich gab
es das Problem, daß sich viele andere, die ihn kannten, weigerten
zu sehen, daß Steinmetz ein Verräter und Spitzel war. Andrea
begründete dann später ihre Trennung von der Gruppe so, daß
es nicht möglich war gemeinsam mit diesem Schock oder Desaster
umzugehen. Sie fühlte sich in einer Verhörsituation.
: Das
Problem hat sich tatsächlich gestellt. Es war für die Gruppe
eine schwere Situation entstanden. Einmal direkt nach Bad Kleinen, es
überhaupt durchzufechten, daß in Bad Kleinen ein Verrat gelaufen
ist. Da hat Andrea noch aktiv mit drangearbeitet bei dem Versuch, es
von unserer Seite aufzudecken. Aber in unserem Kontakt als Gruppe, und
für diejenigen von uns, und dazu gehörte Andrea, die mit Steinmetz
direkt zu tun hatten, wurde sehr viel deutlich, das unsere Gruppe betrifft.
Schon alleine, daß der Typ für Andrea auch emotionaler Fluchtpunkt
war aus den Schwierigkeiten und dem Unverständnis innerhalb der
Gruppe.
Es war für uns existentiell notwendig, herauszukriegen, was dieser
Agent über den Kontakt mit Leuten von uns über die Gruppe
weiß, was eventuell gegen uns verwandt werden kann. Ein notwendiger
Schritt, der natürlich in der Situation auf jemanden trifft, die
tatsächlich emotional völlig in den Seilen hängt, und
sich als Mensch, Frau und Genossin selber in Frage stellte. Das war
natürlich schwierig.
:
Aber denkt ihr nicht, daß so eine zugespitzte und existentielle
Situation, auch mit allen Problemen, die ihr eben geschildert habt,
eine Überforderung für eine kleine Gruppe war, das alleine
zu bewältigen?
: Ja,
wir hätten uns gewünscht, daß jemand dagewesen wäre.
Wir versuchten, das im Kleinen aufzulösen, was sehr schwierig und
eine Konstruktion war. Es war eine Überforderung - und wir ha-ben
versucht es zu lösen, wissend, daß es eine Überforderung
war. Uns war bewußt, daß alle, die in diesem Prozeß
verwickelt waren, zu befangen sind. Daß man deshalb versuchen
muß Leute zu finden, die das untersuchen können, weil sie
integer und verläßlich sind, die auch diskret sind, also
Leute, mit denen über alle Probleme gesprochen werden kann, ohne
die Gefahr, daß es an falschen Orten öffentlich oder damit
Politik gemacht wird. Dort war auch das Problem, daß diejenigen,
die die Vorgänge um Bad Kleinen und Steinmetz untersuchen mußten
auch, wenn man es so nennen will, die Angeklagten waren.
: Du
hattest vorhin gesagt, es war für Andrea wie eine Verhörsituation...
Das hat was sehr negatives. Ich sehe das aber nicht so. Wir hatten beschlossen
es so zu tun, daß diejenigen, die mit dem Typen unmittelbar zu
tun hatten, sich einer Befragung stellen. Wir hatten auch gemeinsame
Bedingungen festgelegt: auf alles zu antworten und keine Gegenfragen
zu stellen. Also eben nicht bei jeder Frage, die gestellt wurde die
Vertrauensfrage aufzumachen: Wie kannst du mir eine solche Frage
stellen, oder Glaubst du mir etwa nicht etc. Das war
aufgrund der Umstände einfach notwendig und auch, weil wir uns
natürlich kannten. Solange eine Gruppe, auch wenn sie klein ist,
für sich den Anspruch formuliert, einen organisatorischen Prozeß
entwickeln zu wollen - und mittelfristig auch Organisation sein zu wollen
-, muß sie Mechanismen finden, auch in Situationen der Gefahr
- denn es war überhaupt noch nicht absehbar, was daraus weiter
passieren wird. Wir mußten uns bestimmten Methoden verpflichten.
Deswegen, wenn Andrea das als Vorwurf sagte, muß ich sagen, es
war nicht die Situation eines Verhörs, sondern: wer, wen und warum
und weshalb befragt und was sind die Motivationen. Der Druck war natürlich
da.
: Dazu
gehört natürlich, daß die Kritik von Andrea an der Gruppe
in der Situation stimmte. Wir waren in der Zeit nach Bad Kleinen und
der Aufdeckung des VS-Agenten nicht in der Lage, beides zugleich zu
sein: auf der einen Seite zu versuchen unseren Prozeß zu sichern,
herauszukriegen, welche Sachen gelaufen sind, warum und wieso - und
auf der anderen Seite waren wir als Gruppe nicht in der Lage Andrea
in der für sie noch mal anders schwierigen Situation zu helfen.
Wir konnten nicht den Weg freimachen, die Blockade auflösen - auch
diese Flucht in die Verzweiflung zu stoppen. Wir als Gruppe waren nicht
stark genug, nicht gefestigt genug - klar auch, nicht genug Leute, um
ihr - und damit uns - zu helfen. Auch heute noch empfinde ich das als
katastrophal.
: Gab
es später von Andrea wieder eine Annäherung zur Gruppe oder
zu einzelnen aus der Gruppe?
: Vermittelt
hat sich uns einiges später aus dem, was wir von ihr lesen konnten,
z.B. aus Kurdistan, wie sie sich mit dieser Phase auseinandersetzte,
was sie nachträglich dazu denkt. Das sind dann objektive Annäherungen.
Aber an die Gruppe nicht. Es gibt in dieser Geschichte auch Beziehungen
und Verhältnisse, die anfangs zwar schwer angegriffen waren, aber
gleichzeitig und unabhängig von der Frage veränderter politischer
Konzeptionen da waren.
Aber für uns als Gruppe mit Andrea gilt, daß wir die Scheiße
in der gemeinsamen eigenen Entwicklung zusammen nicht auflösen
konnten, dazu keine Gelegenheit mehr hatten. Auch nicht mit Abstand.
Ich habe herauslesen können, daß, wenn sie zurückgekommen
wäre - und sie wollte nicht auf Dauer in Kurdistan bleiben -, eine
Verständigung anders möglich gewesen wäre, als die Jahre
zu vor. Da spielen natürlich auch die Erfahrungen rein, die Andrea
in den Jahren, seit sie weggegangen war, gemacht hatte - und in denen
ihr neuer politischer und personeller Zusammenhang nach Kein Friede
keine Kontinuität hatte.