Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 87-88
Klaus Steinmetz und Verrat
Brief an meine Gruppe,
Juli 1993


Es mag absurd klingen, aber der Verlust dessen, was ich in Klaus gesehen habe - den Freund - tut immer noch weh. (Jemand verwies auf den Zaubertrick mit der durchgesägten Frau, wo das Publikum nur sieht, was es auch sehen will) - Also Illusion! Es würde mir schwer fallen, wenn er plötzlich vor mir stände, den Verrat mit seiner Person in Zusammenhang zu bringen. Die landläufige Meinung: Verräter sind Schweine, also unmenschlich, offensichtlich verkrachte Existenzen, ist mehr als falsch. Er war ausgesprochen nett, hilfsbereit, zuvorkommend, aufmerksam. Auch die Charakteristika, die in der ersten Stellungnahme aus Wiesbaden gezeichnet werden, ist zu glatt, zu sehr aus dem Wissen danach gespeist. Die Motorradfahrerei, die Computerspiele, Kampfsport, was sagt das schon? Mal ganz ehrlich, wieviel Leute kennst Du, die Kampfsport machen, Motorrad fahren und gerne Computerspiele machen?

Da fängts für mich schon wieder an. Er wird als kleiner Frankenstein hingestellt, weil's ja was normales an ihm nicht geben kann, weil Verräter nicht normal sind. Damit wird aber nur die Legende gezimmert. Es ist nicht möglich zu sagen, wie er als ganze Person war, weil es dann ja auch um die Widersprüch-lichkeiten gehen müßte, und um den Stoff, aus dem Identität ist, Kampfeswille und Mut, oder eben nicht ist. Und das ist keine äußerliche Sache, wie eine große Nase. Nur einmal mehr die Ahnungslosigkeit über uns selbst, über den Kampf, die da vorgeführt wird.

Obwohl diese Illusion über den „Freund“, im tiefsten Tümpel den es überhaupt gibt, ersoffen ist, den Verrat, der Hinrichtung, der Verhaftung, muß ich mich dazu quälen, mich von meiner Illusion wirklich zu verabschieden. Und verabschieden muß ich mich vor allen Dingen von dem Teil in mir, der ihn, so wie er war, nicht sehen wollte, sondern ihn immer nur so sah, wie ich ihn selbst gebraucht habe.
Er war für mich jemand, mit dem Politik und Alltag verbindbar war. Kein Wunder, er hat sich ja auch jeweils angepaßt. Es lag nicht so eine Kluft dazwischen. (Auch wenn mir bei den politischen Projekten und Diskussionen aufgefallen ist: er kann fast nichts selbständig entwickeln, aber ich hab das auf den 8Oer-Prozeß geschoben, das können ja viele nicht, und dachte, na ja, das ist halt ein Lernprozeß.)

Viele beschreiben ihn heute als Desperado, das hat er mir gegenüber sehr gezügelt.
Tief in mir hat er auf was getroffen: ein Typ, der eine bestimmte Reproduktionsarbeit macht, die in den Strukturen nicht geleistet wird bzw. nicht organisiert ist. Er hatte das drauf, als Tour (es ist ja bei mehreren Frauen in verschiedenen Städten so gelaufen): die Frauen im Kampf, mit ihrer Entscheidung, tragen eine große Last, Verantwortung und Arbeit. Und es gibt eben wenig Kraft zu schöpfen, meistens ist es ein Geben. Damit fährt so einer sehr gut, mit ein bißchen Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen (und das muß so ein Typ ja haben, denn er steht selbst an der Grenze zur Schizophrenie, und Schizophrene entwickeln Antennen für Bedürfnisse und Widersprüchlichkeiten anderer, denn sie leben selbst von ihnen und denen anderer.

Und sicher, es kam mir von ihm wirklich eine Welle Zuneigung entgegen, Bestätigung. Seine Gefühle für mich waren ja nicht gespielt, auch wenn ich für ihn auf der falschen Seite stehe.

Denn dieses Bild, was jetzt entworfen wird, er wurde durch die Härte der Szene in die Arme der Bullen getrieben, ist doch wirklich absurd und leugnet jedes Subjektsein, jede eigene Entscheidung. Und die hatte er, und die hatte er auch getroffen, und zwar schon vor vielen Jahren und hat sich sehr zielstrebig seinem Ziel genähert. Der vierfache Verrat, zu Beginn, die Aussprache mit seiner Studienkollegin, der er zwar sagt, daß er angequatscht wurde, aber die er auch nicht ernst nimmt, die Geschichte in Kaiserslautern, all sein Streben, der Verrat in Bad Kleinen, daß er's den Schweinen überhaupt gesagt hat, die Operation rauszuschieben, weil er wußte, daß Wolfgang noch kommt, und da will noch jemand von willenlos reden?

Er wußte sehr genau, auf welcher Seite er steht, und er wußte sehr genau, was er will. Deshalb ist sein Abfahren auf Frauen, die kämpfen, trotzdem echt, weil sie für ihn ja auch etwas symbolisieren, was er nie hatte: Integrität, Stärke, Gradlinigkeit, Willen. Die Bewunderung war wahrscheinlich wirklich nicht gespielt.

Ich hab mit meinen Fragen an ihn als Person - kein Gedanke an einen Bullenverdacht - viel zu schnell locker gelassen. Einmal, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, daß „an den Pranger stellen“ und auf jemand eindreschen, nichts bringt. Dann ist mir aber nichts besseres eingefallen, mit anderen zusammen habe ich auch nicht nach einem alternativen Umgang gesucht, im Gegenteil, ich hab andere in ihrer Kritik an ihm sogar noch gestoppt, und so ist es einfach versandet, immer wieder.

Aber das war nur ein Strang, der andere, und die Fragen waren ja nicht ohne, wie macht er was, sein schlampiger Umgang mit Namen, uncooler Umgang mit Infos, Opportunismus, eigene politische Gedanken Schmalspur, usw. War immer ein bißchen: lieber nicht zu sehr bohren. Das Verhältnis ist zu instabil, dann geht's am Ende noch kaputt, und mit ihm auch der Diskussionsansatz zu andern.

Das wollt ich partout nicht, sondern raus aus der Isolation, Erfahrungen austauschen, überlegen wie weiter. Die Stummheit und Sprachlosigkeit in den Jahren zuvor endlich mal durchbrechen. Das war meines Erachtens kein Einzelsyndrom von uns, sondern in der Gesamtheit: politische Widersprüche nicht klären zu können, sie nur gegen die jeweiligen Personen zu drehen. Sich schneiden, nicht mehr beachten und der ganze Scheiß. Schweigen, in der Luft schwebende Schuldzuweisungen, Anfeindungen.

Ich hab auch sein „nichts entwickeln zu können“ immer auf die „neue Politik“ der Anti-imps und der RAF geschoben. Es mir damit erklärt. Obwohl in der Notwendigkeit zur neuen Politik viele Denkanstöße für mich selbst waren, hatte ich die Kritik der Entmündigung ja schon länger. Und diese Kritik dann in Bilder verpackt, und ihn darein gestopft, anstatt einfach mal zu fragen. Das hätte vom Ergebnis her vielleicht nichts geändert, aber für mich selbst schon.

Bis zur letzten Begegnung hab ich mein Unwohlsein immer wieder aufgeschoben. Danach hatte ich mir geschworen, daß es so nicht weiter geht. Zu spät. Aber das war wenigstens meine Gewißheit, mit der ich seit Birgit's Anruf sagen konnte: das war's! - natürlich, er ist ein Bulle!

Die politischen Widersprüche hatten wir unter uns auch überhaupt nicht ausdiskutiert. Die Unstreitkultur in der Linken voll reproduziert: und bist du nicht auf meiner Linie, dann bist du gegen mich, Loyalitätsfrage. Das war auch ein Grund, wieso ich's soweit nicht kommen lassen wollte, sondern ihn lieber in Schutz genommen hab.

Ich glaube, ich konnte das Mißtrauen von anderen auch deshalb nicht angemessen ernst nehmen, weil es auch meine persönliche Kinkelinitiative in meinem Kopf gab: „nicht Zivilisierung der Auseinandersetzung, und es gibt jetzt keine Spitzel mehr“, das nicht, sondern: mein unmaterialistisches Denken, es könnte in diesem System andere Verhältnisse untereinander geben, und das plötzlich an erste Stelle zu rücken. Völlig daran aufzulaufen, daß es nicht funktioniert, aber mich selbst darin nicht zu begreifen. Ich hab mich auch daraus auf eine Freundschaft mit K. eingelassen, weil er einer war, der zumindest vorgab, das umzusetzen. Schizophren, weil ich ihn ja gleichzeitig politisch immer dafür (für Kinkel) kritisiert habe. Er hatte ja gesagt, mit der 1O.4. Erklärung sei voll seine Linie getroffen worden.

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machwerk, frankfurt (2000)