Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 93-94
Briefwechsel mit Christian Klar,
Gefangener aus der RAF

zur Broschüre
„Die Niederlage der RAF ist eine Niederlage der Linken“

1.5.94

...Neulich habe ich das „Kein Friede“- Heft bekommen. Nach dem ersten Teil Lesen, die Klaus Steinmetz Geschichte, bin ich schon froh gewesen, nach langem wieder einmal mitzubekommen, wie in der Linken doch noch guter Verstand lebt. Oder sich wieder entwickelt. Man hofft das immer wieder, aber es auch zu sehen, daran teilhaben zu können, ist durch die Knastmauern nicht so einfach.

Der zweite Teil ist natürlich perspektivisch noch wichtiger. Die Kritik der „informellen Strukturen“ und auf solche abzuheben, die da dringend eingefordert werden - das überzeugt, ich denke das hebt die Organisationsdiskussion, die schon länger existiert, auf eine politische Ebene.

Das Teil ist wirklich nicht eins zum nur einmal durchlesen.
Ob man den Punkt in dem Heft, der allerdings sehr verwundert, erstmal noch übergehen sollte? Zu dem gelaufenen Bruch: „das Ganze wirkt inszeniert.“ Kommen denn auch die Kein Friede Leute nicht ohne die Dämonisierung bestimmter Gefangener aus? Ich meine, das wird der Sache niemals gerecht werden können.

Christian

Antwort von Andrea, 20.5.94

... so sehr mich gefreut hat, daß du geantwortet hast, so sehr fehlte mir allerdings, was du eigentlich zu meinem Brief denkst.
Sicher, ich verstehe, daß du mich zur „Kein Friede“ Broschüre fragst. Ich komme aus der gleichen Stadt und beschäftige mich mit ähnlichen Fragen. Lange Zeit war es auch so, daß diese Diskussion mein Leben bestimmt hat. Und die Fragen, die dort bearbeitet werden, sind weitreichend.

Allerdings gibt es für mich die Erfahrung, daß das Richtige zu sehen, zu wissen und auch formulieren zu können noch lange nicht heißt, das auch selbst umsetzen zu können.
Ich möchte nicht das alte Lied anstimmen:
„Macht erst mal, wovon ihr redet, dann habt ihr auch eine Berechtigung davon zu reden.“ Gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Organisierungsdiskussion, die entweder technisch in die Renaissance der 20iger Jahre verfällt, oder mit pragmatischen Bündnissen übersetzt wird, wäre die politische Qualität, die die Gedanken in der Broschüre haben, bestimmt fruchtbar.
Du sprichst das ja auch an.

Daß die laufende Diskussion dies Niveau nicht hat, zeigt aber doch etwas von dem Unvermögen derjenigen, die es entwickeln können, so zu handeln, wie man richtig erkennt, und sich dort zu verankern. Dieser Widerspruch muß doch irgendwie bewußt sein und zum Ausdruck kommen. Aber nein, nix. Die Broschüre kannst du danach mit der Lupe absuchen.
Nach dem Motto: der Widerspruch verschwindet, wenn er nicht mehr erwähnt wird, wird er zum Tabu erklärt. Er wird höchstens allgemein, politisch beschrieben: „die Niederlage der RAF ist die Niederlage der Linken.“
Du kannst daran schon die Gewichtung des eigenen Handelns erkennen: Primat ist die politische Postulierung, nicht aber der Weg dahin. Also die Richtigkeit anstatt der Stoffwechsel zwischen jetzt und dem Anspruch, zwischen realem Zustand und dem Ziel.

Das wiederum erinnert schwer an die DDR. Der neue Mensch, die neue Gesellschaft wurde z.B. nicht mehr als angestrebtes Ziel behandelt, sondern es wurde so getan, als sei das längst Wirklichkeit. So war auch die Propaganda. Ständig belogen und betrogen worden zu sein, denn die Leute haben das natürlich gemerkt, das wurde der DDR-Regierung am meisten übel genommen. Dieses Sieg-Lügen, das auch in unseren Prozeß Einzug genommen hat, ruft natürlich Weigerung hervor.

Die Wurzel ist identisch: die Koordinaten des Marxismus, bzw. ihre Umsetzung seit der sogenannten industriellen Revolution. Während das Kapital längst in das High-Tech-Zeitalter gejumpt ist, halten wir an der Romantik der Arbeiterbewegung, wenn auch der modernisierten, fest. Obwohl es eigentlich wir sind, die die Möglichkeiten und auch das Wissen für die Rettung der Menschheit haben, während das Kapital nur zum endgültigen Exodus, der Zerstörung führen kann...
Wenn dann da auf der anderen Seite eine ZuschauerInnenhaltung ist, um später richtig kritisieren zu können, wir habens ja von Anfang an gewußt, aber nicht gehandelt, bringt mich das echt auf die Palme.
Mit dieser „wir-sind-schlauer Haltung“ muß man auch nie mal in die Scheiße greifen, bzw. stürzt sich erst gar nicht in die Unwegsamkeiten des Lebens, bzw. des Kampfes, sondern ist Kommentator.

Das habe ich in der ganzen Steinmetz-Geschichte so erfahren. Die Bullen behaupten mittlerweile, ich sei seine Ex-Freundin, wogegen ich aber über meine Anwältin eine Widerrufsklage gemacht habe.

Letzte Woche war Hausdurchsuchung bei uns. Vorgegeben haben sie, nach einem gefälschten Kaufvertrag zu suchen, der für ein Motorrad ausgestellt war, das ehemals Steinmetz gehörte und das die Bullen abgeschleppt hatten. Ich versuchte, das Motorrad unter Vorlage der Papiere zurückzukriegen, ohne Erfolg allerdings.
Real ging es bei der Bullenaktion darum, einen Zusammenhang zwischen mir und den Dingern, die dieser Steinmetz mit dem Moped gedreht hat, herzustellen.
Wenn du Zeitung gelesen hast, wirst du dich sicher gefragt haben, ob ich das bin.

Auf jeden Fall mußte ich nach Bad Kleinen völlig in die eigenen Tiefen hinuntersteigen, von Selbstvorwürfen mal ganz zu schweigen.

Das sind Momente, da erreichen dich Allgemeingültigkeiten und Richtigkeiten nicht, auch nicht die, wenn auch berechtigten Forderungen nach einem Begriff von dir selbst. Da geht es ums nackte Überleben.

Andrea

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machwerk, frankfurt (2000)