Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 137-139
Brief an Heval Pelda (Frühjahr 1998)

Liebste Freundin,
der Frühling trifft uns mit voller Wucht. Es ist eine Wohltat nach diesen regnerischen und verschneiten Wintertagen, an denen du dich vor Kälte in die dunkle Manga flüchtest, wieder in der Sonne zu sitzen, Tee zu machen. Wieder bin ich in der Basin-Manga gelandet, die halbe Nacht nicht geschlafen, <ifre geschrieben. Alle meine Winterpläne, wie du es ganz richtig vorausgesehen hast, haben sich nicht verwirklicht. Weder hat die Ausbildung stattgefunden, noch bin ich z.B. nach Etru<. Ich habe auch kein Kurdisch gelernt. Ich bin ziemlich bald nach unserem Abschied in Heval Sozdars Bölük gekommen. Vorher wurde unsere alte Bölük aufgelöst, Heval Karker, der Kommandant, in seiner Tabur ist jetzt auch Dr. Jîyans Frauenbolük. Ich ging als Kurierin nach Metina und mit Heval Kelin wieder zurück in den Zap. (...)Zurück in Heval Sozdars Bölük haben wir einige Tage Mehl geschleppt und für den Winter gebunkert. Sie haben öfters von dir und mir auch eine Anekdote von Haki erzählt. Er sagte: "bevor wir hier ankamen wurde uns gesagt, dass eure Füße 15 cm überm Boden gehen wegen der Steine, jetzt weiß ich, daß unsere Füße 15 cm im Boden, im Schlamm gehen."

Es war wie eine leere Zeit nach der Anstrengung der Operation. Das Bölük wurde zum Sammelpunkt für alle Frauentakims in der Gegend, und dann ein großes Winterdüzemleme. Ein Teil nach Xakurke, ein Teil zu Heval Pelsin's Bölük, ein Teil Kadro-EŒitim, wo auch ich gelandet bin. Nachdem wir in Heval Kurdistans Takim die große Höhle, wo nach der Operation die Techniker drin waren, für die Schule vorbereitet hatten, bin ich in die Basin-Manga in der alten großen betonierten türkischen Schule, da wo wir mit der mittleren Telefrik übergesetzt haben. Weil die Tage so kurz waren, bin ich eigentlich zu nichts gekommen. (...) Ich sollte eigentlich hier im Kadro-EŒitim Sport geben, was ich auch einmal gemacht habe. Gleich nach dem Içtima. Die Freundinnen haben aber so wegen Kälte und Wind protestiert, daß es zu einem weiteren Mal nicht kam.

Ich erzähl dir einfach ein bißchen, sicher vermißt du auch das alles. Mir kommt oft in den Sinn, was du von hier sagtest, wie ihr den Winter hier verbracht habt, z.B. Sîpan mit dem Keleg übergesetzt ist und daß die Winter im Zap nicht so hart sind. Mir hat es gereicht! Dadurch, daß es kein Holz gibt, sind wir im Regen/Schnee die schlammigen Abhänge rauf und runter gerutscht und haben die kleinsten Äste gesammelt. Später kamen Äxte und mittlerweile gibt es hier keinen Baum mehr. Nur die Obstbäume haben wir stehen gelassen.

(...)Die Schere, die du mir von Adar gegeben hast, schneidet fast überhaupt nicht mehr, aber ich hab' sie immer noch ... apropos haben, ich habe gelernt, wie sehr ich an Besitztümern Achtung/Mißachtung festmache und daß das wirklich nicht nötig ist. Mich ärgert, wie sehr solche festgesetzten Mechanismen von mir z.B. zwischen uns standen. Also ärgern ist der falsche Begriff. Ich glaube verstanden zu haben, was solche Mechanismen, die eigentlich alte Ängste des kapitalistischen Lebens sind, blockieren. Ganz allgemein Verhältnisse, aber auch konkret zwischen uns. Das sehe ich besonders deutlich, von meiner Seite her. Es heißt nicht, daß ich gleich in der Lage bin alles anders zu machen. Ich habe aber ein großes Bedürfnis, mit dir ein anderes Verhältnis aufzubauen, für die Arbeit, die vor uns liegt, für den Kampf und auch überhaupt. Du kritisiertest, daß ich Frauen nicht vertraue und das Gefühl hätte, alleine gegen die Männer kämpfen zu müssen. Der unorganisierte, d.h. vereinzelte Ge-schlechterkampf, zusammen mit den Bezie-hungsrollen, d.h. alten Rollen war meine Erfahrung mit KF und etwas, was ich nicht mehr will. Ich habe im Gegenteil das Gefühl, mich auf dich "verlassen" zu können, zu vertrauen. Irgendwie hatte ich das damals in Cudî Tepesi auch schon, aber da ist noch so ein Automatismus abgelaufen, wie mich in deutschen Strukturen zu fühlen. Selbst "deutschen Strukturen" will ich so nicht begegnen. Ich meine dies als Beschreibung in so einen alten Sog gekommen.
Ronahî

Erinnerung (VIII)

Im Frühjahr '97 kam eine Gruppe aus der Parteischule im kleinen Süden. In dieser Gruppe war auch Hevala Meryem Colak, die '96 meine Kommandantin in Haftanîn war. Sie berichtete mir, daß sich eine deutsche Freundin neu angeschlossen hatte, die jetzt im Zapgebiet war. Ihr Name sei Ronahî - Licht. Der Name einer gefallenen Freundin, die sich '94 in der BRD verbrannt hatte.

Nach zwei Jahren Guerilla war für mich jetzt die Möglichkeit zum greifen nah, eine Freundin aus Deutschland zu treffen. Sofort wollte ich ins Zap-gebiet, wo Ronahî im Hauptquartier der YAJK sein sollte.
Aber wenige Tage später begann eine Großoffensive der türkischen Armee in Haftanîn und ich wurde mit einer Einheit zurück nach Botan, Nordkurdistan geschickt. Ich wartete das Ende der Operation in Beytü<<ebab ab, bevor ich die Erlaubnis bekam, nach Süden zu gehen. Im Oktober traf ich Ronahî dann endlich. Wir beide hatten lange Zeit keine Möglichkeit gehabt mit einer deutschen Freundin zu reden, zwar hatte ich inzwischen kurdisch gelernt und Ronahî türkisch, aber sind es neben den Sprachschwierigkeiten kulturelle Unterschiede, die eine Kommunikation mit den anderen Freundinnen an manchen Punkten schwierig machen. Ronahî und ich fielen uns in die Arme und redeten ganze Tage und Nächte. Sie hatte eine schwere Zeit der Illegalität hinter sich, langes Warten, bis der Weg nach Kurdistan endlich frei war. Viele aufgestaute Verletzungen, Wut und Trauer brachen aus ihr heraus, aber nachdem wir einige Tage über die Schwierigkeiten der vergangenen zwei Jahre gesprochen hatten, konnten wir uns der Zukunft zuwenden.

Ronahî hatte schon Aufgaben im Hauptquartier übernommen. Sie gab in einer Jugendeinheit Schwimm- und Sportunterricht und diskutierte viel mit den Freundinnen. Mit ihrer offenen Art wurde sie von allen geliebt. Die Schwierigkeiten, die sie im Alltag hatte, waren die gleichen, die ich auch aus meiner Anfangszeit kannte. Die Befehle der Kommandantin widerspruchslos zu akzeptieren, sich von persönlichem Besitz zu trennen, die Sprachprobleme...

Eineinhalb Monate hatten wir Zeit, Vergangenes zu analysieren und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Über die Situation in der BRD konnte uns Ronahî wenig sagen, denn sie selbst hatte kurz nach uns das Land verlassen.
Im Zapgebiet braute sich eine Operation zusammen, Vorboten waren die Jets, die tagsüber den Himmel mit Leuchtspurmunition markierten. Wir wurden zur YAJK-Zentrale gerufen, wo eine Neuverteilung stattfand. Ronahî wollte in eine kämpfende Einheit. Heval Zeyneb, unsere Kommandantin, akzeptierte ihren Wunsch und sie kam in die Einheit am Tepe Bihar. Ich kam zum Kurê Jaro, dem Nachbarberg, und die nächsten zwei Wochen waren wir unter Dauerbeschuß von Jets, Kobras und Mörsergranaten. Der Feind setzte seine ganze schwere Technik ein, um uns zu vernichten, manchmal schien es mir, als sollte kein Stein auf dem anderen bleiben. Neben uns fielen Freundinnen und Freunde. Auch der Feind hatte große Verluste und erreichte sein Ziel, die Vernichtung der Zapkraft, nicht.
Einige Zeit nach der Operation wurde ich ins Hauptquartier gerufen. Ich sollte in den kleinen Süden gehen, danach zurück nach Europa. Ronahî war gekommen, um uns zu verabschieden.

Wir konnten nicht wissen, daß es ein Abschied für immer sein würde. In den nächsten Monaten kamen Briefe, Ronahî berichtete über die Situation im Land und mehr als einmal kam es mir vor, als wäre ich entwurzelt, würde nicht mehr hier und nicht mehr dorthin gehören. Als wir im Winter '98 hörten, daß Ronahî gefallen ist, konnte ich es nicht begreifen. Bis heute ist es für mich nicht faßbar, daß wir uns nicht wiedersehen werden. Ein Trost für mich ist, daß Ronahî in den Bergen Beytü<<ebabs geblieben ist. Die für mich schönste Gegend. Im Frühjahr, wenn der meterhohe Schnee geschmolzen ist, werden dort, wo sie begraben ist, die blauen Sternblumen wachsen. Sie ist dort bei den anderen Freundinnen und Freunden.

In Beytü<<ebab, auf dem 4000 Meter hohen Çiya Nizmu, sieht man scheinbar endlose Berge, unberührt von Zivilisation. Damals wurde mir klar, daß der Feind angesichts der Weite und Kraft dieser Berge nur Entsetzen empfinden kann. Denn auch der Feind weiß, daß diese Berge unsere Freundinnen sind. Sie tragen die Namen unserer gefallenen Genossinnen. Vielleicht erklärt diese Machtlosigkeit der Armee gegenüber dem Pakt zwischen den Bergen und der Guerilla einen Teil ihres sinnlosen Hasses, der sie dazu bringt, solche menschenverachtenden Verbrechen zu begehen. Nur wer Angst hat, schlägt blind um sich.

Der Kampf in den Bergen, in den Gefängnissen, in den Städten und Dörfern überall auf der Welt hat viele Opfer gekostet. Jede gefallene Genossin ist für uns eine Verpflichtung, ihren Kampf weiterzuführen, ohne den wir heute keine Hoffnung mehr hätten, daß die Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen und der Natur eines Tages beendet werden. In dem Kampf der PKK, der YAJK wurden Werte weiterentwickelt, auf der jeder Kampf in der Zukunft aufgebaut sein wird. Nur zwei Jahre konnte Ronahî Teil des Kampfes in den kurdischen Bergen sein. Sie wäre gerne zurückgekommen, um mit dem, was sie dort gesehen und gelernt hat, zu einem neuen Anfang hier beizutragen. Zwei Jahre war auch ich dort, es war die schönste und vielleicht wichtigste Zeit in meinem Leben. Ich denke, auch für Ronahî war es so.
Pelda

 

Liebste Ronahî

Unser letztes Treffen im Zap, eine schwere Trennung. Gerade hatten wir uns besser kennengelernt, waren einander nähergekommen. Die ständigen Trennungen im Krieg. Kaum ist man sich nahe gekommen, hat die intensivsten Erfahrungen geteilt, schon muß man sich wieder trennen. Aber überall, in jeder Einheit, in jeder Gegend ist man unter Freundinnen, Genossinnen, das muß jede lernen, jeder Freundin die gleiche Liebe entgegenzubringen. Nur einen Monat waren wir zusammen, aber die gemeinsamen Pläne für die Zukunft haben uns einander sehr nahe gebracht.

Ich gab dir die wenigen Sachen, die nach den Operationen noch bei mir waren, die Schere von Adar. Adar aus Serhat, die bei der Operation gefallen war, was ich damals noch nicht wußte. Du hast es mir geschrieben in deinem letzten Brief. Der Talisman, den ich zwei Jahre bei mir hatte und vorher Haklî, er hat dich nicht beschützt.
Wir verabschiedeten uns, als wenn es sicher wäre, daß wir bald wieder zusammen sind. Eine Revolutionärin rechnet nie mit dem Tod, hat ein Freund gesagt, ist es nicht so? Im Bombenhagel ist Angst da, Todesangst, aber die permanente Angst, die uns hier in der Metropole gefangen hält, die gibt es nicht in den Bergen. Es gibt keine Angst allein zu sein, keine Angst vor der Zukunft, keine Angst, die schweren Aufgaben nicht bewältigen zu können.

Die Aufgaben, sie sind groß, und damals, als wir darüber geredet haben, warst du so sicher, daß wir sie bewältigen würden. Ich habe dich bewundert, für deine Entschlossenheit, für deine Begeisterung, es schien, du hättest gar keine Zweifel. An manchen Punkten kam es mir vor, als wolltest du mit dem Kopf durch die Wand, war da vielleicht Selbstüberschätzung? Nein, ich glaube du warst einfach sicherer als ich. Du hast groß gedacht.
In unserer Geschichte waren viele Parallelen, schließlich kamen wir ja auch aus den selben Bedingungen, dieselben Strukturen aus dem alten Leben haben uns verletzt und gebremst, unsere Entwicklung behindert, unsere Sicht versperrt. Darüber zusammen zu reden, tausende Kilometer entfernt davon, das hat mir Kraft gegeben.

Ronahî, in mir tobt immer noch derselbe Kampf wie damals. Ich träume oft von der Guerilla. Mehr als einmal habe ich daran gedacht, in die Berge zurückzugehen. Ronahî Heval ist in Çatak gefallen, sagten die FreundInnen. Das ist die Landschaft, die ich immer vor mir sehe, wenn ich daran denke, was Freiheit sein könnte. Ich denke an dich und die vielen anderen Freundinnen und Freunde. Und ich denke daran, wie die Freundinnen dort auf den Hochebenen Dîlan tanzen, wenn es kalt ist, an das klare Wasser und die unendliche Weite, die mächtigen Berge. Der Frühling wenn der Schnee schmilzt und auf dem leuchtenden Grün die blauen und violetten Blumen hervorkommen.

Ronahî, der Gedanke an dich gibt mir Kraft. Für unsere gemeinsamen Träume werde ich leben. Wenn es manchmal schwer ist hier weiterzukämpfen, dann denke ich an dich, deine Zuversicht und Entschlossenheit. Sie haben dich ermordet, aber es ist doch so, daß sie sich immer nur selbst ein Stück weiter ins Grab schaufeln, mit jedem Verbrechen, das sie begehen. Du dagegen wirst in unserem Kampf in unseren Herzen für immer weiterleben.
Pelda

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