Brief
an Heval Pelda (Frühjahr 1998)
Liebste
Freundin,
der
Frühling trifft uns mit voller Wucht. Es ist eine Wohltat nach diesen
regnerischen und verschneiten Wintertagen, an denen du dich vor Kälte
in die dunkle Manga flüchtest, wieder in der Sonne zu sitzen, Tee
zu machen. Wieder bin ich in der Basin-Manga gelandet, die halbe Nacht
nicht geschlafen, <ifre geschrieben. Alle meine Winterpläne, wie
du es ganz richtig vorausgesehen hast, haben sich nicht verwirklicht.
Weder hat die Ausbildung stattgefunden, noch bin ich z.B. nach Etru<.
Ich habe auch kein Kurdisch gelernt. Ich bin ziemlich bald nach unserem
Abschied in Heval Sozdars Bölük gekommen. Vorher wurde unsere
alte Bölük aufgelöst, Heval Karker, der Kommandant, in
seiner Tabur ist jetzt auch Dr. Jîyans Frauenbolük. Ich ging
als Kurierin nach Metina und mit Heval Kelin wieder zurück in den
Zap. (...)Zurück in Heval Sozdars Bölük haben wir einige
Tage Mehl geschleppt und für den Winter gebunkert. Sie haben öfters
von dir und mir auch eine Anekdote von Haki erzählt. Er sagte: "bevor
wir hier ankamen wurde uns gesagt, dass eure Füße 15 cm überm
Boden gehen wegen der Steine, jetzt weiß ich, daß unsere Füße
15 cm im Boden, im Schlamm gehen."
Es war
wie eine leere Zeit nach der Anstrengung der Operation. Das Bölük
wurde zum Sammelpunkt für alle Frauentakims in der Gegend, und dann
ein großes Winterdüzemleme. Ein Teil nach Xakurke, ein Teil
zu Heval Pelsin's Bölük, ein Teil Kadro-Eitim, wo auch
ich gelandet bin. Nachdem wir in Heval Kurdistans Takim die große
Höhle, wo nach der Operation die Techniker drin waren, für die
Schule vorbereitet hatten, bin ich in die Basin-Manga in der alten großen
betonierten türkischen Schule, da wo wir mit der mittleren Telefrik
übergesetzt haben. Weil die Tage so kurz waren, bin ich eigentlich
zu nichts gekommen. (...) Ich sollte eigentlich hier im Kadro-Eitim
Sport geben, was ich auch einmal gemacht habe. Gleich nach dem Içtima.
Die Freundinnen haben aber so wegen Kälte und Wind protestiert, daß
es zu einem weiteren Mal nicht kam.
Ich erzähl dir einfach ein bißchen, sicher vermißt du
auch das alles. Mir kommt oft in den Sinn, was du von hier sagtest, wie
ihr den Winter hier verbracht habt, z.B. Sîpan mit dem Keleg übergesetzt
ist und daß die Winter im Zap nicht so hart sind. Mir hat es gereicht!
Dadurch, daß es kein Holz gibt, sind wir im Regen/Schnee die schlammigen
Abhänge rauf und runter gerutscht und haben die kleinsten Äste
gesammelt. Später kamen Äxte und mittlerweile gibt es hier keinen
Baum mehr. Nur die Obstbäume haben wir stehen gelassen.
(...)Die
Schere, die du mir von Adar gegeben hast, schneidet fast überhaupt
nicht mehr, aber ich hab' sie immer noch ... apropos haben, ich habe gelernt,
wie sehr ich an Besitztümern Achtung/Mißachtung festmache und
daß das wirklich nicht nötig ist. Mich ärgert, wie sehr
solche festgesetzten Mechanismen von mir z.B. zwischen uns standen. Also
ärgern ist der falsche Begriff. Ich glaube verstanden zu haben, was
solche Mechanismen, die eigentlich alte Ängste des kapitalistischen
Lebens sind, blockieren. Ganz allgemein Verhältnisse, aber auch konkret
zwischen uns. Das sehe ich besonders deutlich, von meiner Seite her. Es
heißt nicht, daß ich gleich in der Lage bin alles anders zu
machen. Ich habe aber ein großes Bedürfnis, mit dir ein anderes
Verhältnis aufzubauen, für die Arbeit, die vor uns liegt, für
den Kampf und auch überhaupt. Du kritisiertest, daß ich Frauen
nicht vertraue und das Gefühl hätte, alleine gegen die Männer
kämpfen zu müssen. Der unorganisierte, d.h. vereinzelte Ge-schlechterkampf,
zusammen mit den Bezie-hungsrollen, d.h. alten Rollen war meine Erfahrung
mit KF und etwas, was ich nicht mehr will. Ich habe im Gegenteil das Gefühl,
mich auf dich "verlassen" zu können, zu vertrauen. Irgendwie
hatte ich das damals in Cudî Tepesi auch schon, aber da ist noch
so ein Automatismus abgelaufen, wie mich in deutschen Strukturen zu fühlen.
Selbst "deutschen Strukturen" will ich so nicht begegnen. Ich
meine dies als Beschreibung in so einen alten Sog gekommen.
Ronahî
Erinnerung
(VIII)
Im Frühjahr
'97 kam eine Gruppe aus der Parteischule im kleinen Süden.
In dieser Gruppe war auch Hevala Meryem Colak, die '96 meine Kommandantin
in Haftanîn war. Sie berichtete mir, daß sich eine
deutsche Freundin neu angeschlossen hatte, die jetzt im Zapgebiet
war. Ihr Name sei Ronahî - Licht. Der Name einer gefallenen
Freundin, die sich '94 in der BRD verbrannt hatte.
Nach
zwei Jahren Guerilla war für mich jetzt die Möglichkeit
zum greifen nah, eine Freundin aus Deutschland zu treffen. Sofort
wollte ich ins Zap-gebiet, wo Ronahî im Hauptquartier der
YAJK sein sollte.
Aber wenige Tage später begann eine Großoffensive der
türkischen Armee in Haftanîn und ich wurde mit einer
Einheit zurück nach Botan, Nordkurdistan geschickt. Ich wartete
das Ende der Operation in Beytü<<ebab ab, bevor ich die
Erlaubnis bekam, nach Süden zu gehen. Im Oktober traf ich Ronahî
dann endlich. Wir beide hatten lange Zeit keine Möglichkeit
gehabt mit einer deutschen Freundin zu reden, zwar hatte ich inzwischen
kurdisch gelernt und Ronahî türkisch, aber sind es neben
den Sprachschwierigkeiten kulturelle Unterschiede, die eine Kommunikation
mit den anderen Freundinnen an manchen Punkten schwierig machen.
Ronahî und ich fielen uns in die Arme und redeten ganze Tage
und Nächte. Sie hatte eine schwere Zeit der Illegalität
hinter sich, langes Warten, bis der Weg nach Kurdistan endlich frei
war. Viele aufgestaute Verletzungen, Wut und Trauer brachen aus
ihr heraus, aber nachdem wir einige Tage über die Schwierigkeiten
der vergangenen zwei Jahre gesprochen hatten, konnten wir uns der
Zukunft zuwenden.
Ronahî
hatte schon Aufgaben im Hauptquartier übernommen. Sie gab in
einer Jugendeinheit Schwimm- und Sportunterricht und diskutierte
viel mit den Freundinnen. Mit ihrer offenen Art wurde sie von allen
geliebt. Die Schwierigkeiten, die sie im Alltag hatte, waren die
gleichen, die ich auch aus meiner Anfangszeit kannte. Die Befehle
der Kommandantin widerspruchslos zu akzeptieren, sich von persönlichem
Besitz zu trennen, die Sprachprobleme...
Eineinhalb
Monate hatten wir Zeit, Vergangenes zu analysieren und Perspektiven
für die Zukunft zu entwickeln. Über die Situation in der
BRD konnte uns Ronahî wenig sagen, denn sie selbst hatte kurz
nach uns das Land verlassen.
Im Zapgebiet braute sich eine Operation zusammen, Vorboten waren
die Jets, die tagsüber den Himmel mit Leuchtspurmunition markierten.
Wir wurden zur YAJK-Zentrale gerufen, wo eine Neuverteilung stattfand.
Ronahî wollte in eine kämpfende Einheit. Heval Zeyneb,
unsere Kommandantin, akzeptierte ihren Wunsch und sie kam in die
Einheit am Tepe Bihar. Ich kam zum Kurê Jaro, dem Nachbarberg,
und die nächsten zwei Wochen waren wir unter Dauerbeschuß
von Jets, Kobras und Mörsergranaten. Der Feind setzte seine
ganze schwere Technik ein, um uns zu vernichten, manchmal schien
es mir, als sollte kein Stein auf dem anderen bleiben. Neben uns
fielen Freundinnen und Freunde. Auch der Feind hatte große
Verluste und erreichte sein Ziel, die Vernichtung der Zapkraft,
nicht.
Einige Zeit nach der Operation wurde ich ins Hauptquartier gerufen.
Ich sollte in den kleinen Süden gehen, danach zurück nach
Europa. Ronahî war gekommen, um uns zu verabschieden.
Wir
konnten nicht wissen, daß es ein Abschied für immer sein
würde. In den nächsten Monaten kamen Briefe, Ronahî
berichtete über die Situation im Land und mehr als einmal kam
es mir vor, als wäre ich entwurzelt, würde nicht mehr
hier und nicht mehr dorthin gehören. Als wir im Winter '98
hörten, daß Ronahî gefallen ist, konnte ich es
nicht begreifen. Bis heute ist es für mich nicht faßbar,
daß wir uns nicht wiedersehen werden. Ein Trost für mich
ist, daß Ronahî in den Bergen Beytü<<ebabs
geblieben ist. Die für mich schönste Gegend. Im Frühjahr,
wenn der meterhohe Schnee geschmolzen ist, werden dort, wo sie begraben
ist, die blauen Sternblumen wachsen. Sie ist dort bei den anderen
Freundinnen und Freunden.
In
Beytü<<ebab, auf dem 4000 Meter hohen Çiya Nizmu,
sieht man scheinbar endlose Berge, unberührt von Zivilisation.
Damals wurde mir klar, daß der Feind angesichts der Weite
und Kraft dieser Berge nur Entsetzen empfinden kann. Denn auch der
Feind weiß, daß diese Berge unsere Freundinnen sind.
Sie tragen die Namen unserer gefallenen Genossinnen. Vielleicht
erklärt diese Machtlosigkeit der Armee gegenüber dem Pakt
zwischen den Bergen und der Guerilla einen Teil ihres sinnlosen
Hasses, der sie dazu bringt, solche menschenverachtenden Verbrechen
zu begehen. Nur wer Angst hat, schlägt blind um sich.
Der
Kampf in den Bergen, in den Gefängnissen, in den Städten
und Dörfern überall auf der Welt hat viele Opfer gekostet.
Jede gefallene Genossin ist für uns eine Verpflichtung, ihren
Kampf weiterzuführen, ohne den wir heute keine Hoffnung mehr
hätten, daß die Unterdrückung und Ausbeutung des
Menschen und der Natur eines Tages beendet werden. In dem Kampf
der PKK, der YAJK wurden Werte weiterentwickelt, auf der jeder Kampf
in der Zukunft aufgebaut sein wird. Nur zwei Jahre konnte Ronahî
Teil des Kampfes in den kurdischen Bergen sein. Sie wäre gerne
zurückgekommen, um mit dem, was sie dort gesehen und gelernt
hat, zu einem neuen Anfang hier beizutragen. Zwei Jahre war auch
ich dort, es war die schönste und vielleicht wichtigste Zeit
in meinem Leben. Ich denke, auch für Ronahî war es so.
Pelda
|
Liebste
Ronahî
Unser
letztes Treffen im Zap, eine schwere Trennung. Gerade hatten wir uns besser
kennengelernt, waren einander nähergekommen. Die ständigen Trennungen
im Krieg. Kaum ist man sich nahe gekommen, hat die intensivsten Erfahrungen
geteilt, schon muß man sich wieder trennen. Aber überall, in
jeder Einheit, in jeder Gegend ist man unter Freundinnen, Genossinnen,
das muß jede lernen, jeder Freundin die gleiche Liebe entgegenzubringen.
Nur einen Monat waren wir zusammen, aber die gemeinsamen Pläne für
die Zukunft haben uns einander sehr nahe gebracht.
Ich gab
dir die wenigen Sachen, die nach den Operationen noch bei mir waren, die
Schere von Adar. Adar aus Serhat, die bei der Operation gefallen war,
was ich damals noch nicht wußte. Du hast es mir geschrieben in deinem
letzten Brief. Der Talisman, den ich zwei Jahre bei mir hatte und vorher
Haklî, er hat dich nicht beschützt.
Wir verabschiedeten uns, als wenn es sicher wäre, daß wir bald
wieder zusammen sind. Eine Revolutionärin rechnet nie mit dem Tod,
hat ein Freund gesagt, ist es nicht so? Im Bombenhagel ist Angst da, Todesangst,
aber die permanente Angst, die uns hier in der Metropole gefangen hält,
die gibt es nicht in den Bergen. Es gibt keine Angst allein zu sein, keine
Angst vor der Zukunft, keine Angst, die schweren Aufgaben nicht bewältigen
zu können.
Die Aufgaben,
sie sind groß, und damals, als wir darüber geredet haben, warst
du so sicher, daß wir sie bewältigen würden. Ich habe
dich bewundert, für deine Entschlossenheit, für deine Begeisterung,
es schien, du hättest gar keine Zweifel. An manchen Punkten kam es
mir vor, als wolltest du mit dem Kopf durch die Wand, war da vielleicht
Selbstüberschätzung? Nein, ich glaube du warst einfach sicherer
als ich. Du hast groß gedacht.
In unserer Geschichte waren viele Parallelen, schließlich kamen
wir ja auch aus den selben Bedingungen, dieselben Strukturen aus dem alten
Leben haben uns verletzt und gebremst, unsere Entwicklung behindert, unsere
Sicht versperrt. Darüber zusammen zu reden, tausende Kilometer entfernt
davon, das hat mir Kraft gegeben.
Ronahî,
in mir tobt immer noch derselbe Kampf wie damals. Ich träume oft
von der Guerilla. Mehr als einmal habe ich daran gedacht, in die Berge
zurückzugehen. Ronahî Heval ist in Çatak gefallen, sagten
die FreundInnen. Das ist die Landschaft, die ich immer vor mir sehe, wenn
ich daran denke, was Freiheit sein könnte. Ich denke an dich und
die vielen anderen Freundinnen und Freunde. Und ich denke daran, wie die
Freundinnen dort auf den Hochebenen Dîlan tanzen, wenn es kalt ist,
an das klare Wasser und die unendliche Weite, die mächtigen Berge.
Der Frühling wenn der Schnee schmilzt und auf dem leuchtenden Grün
die blauen und violetten Blumen hervorkommen.
Ronahî,
der Gedanke an dich gibt mir Kraft. Für unsere gemeinsamen Träume
werde ich leben. Wenn es manchmal schwer ist hier weiterzukämpfen,
dann denke ich an dich, deine Zuversicht und Entschlossenheit. Sie haben
dich ermordet, aber es ist doch so, daß sie sich immer nur selbst
ein Stück weiter ins Grab schaufeln, mit jedem Verbrechen, das sie
begehen. Du dagegen wirst in unserem Kampf in unseren Herzen für
immer weiterleben.
Pelda
|