Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 151-152
„Sie hat das Leben geliebt“

Rede gehalten am 7. November 1998 in München auf der Demonstration zu 80 Jahren Räterevolution und 60 Jahren Reichspogromnacht


Unsere Freundin Andrea ist tot, verwundet, gefangengenommen und ermordet vom türkischen Militär in Kurdistan am 24. Oktober mit 33 Jahren.

Sie hat das Leben geliebt, wie sie die herrschenden Verhältnisse gehaßt hat. Und sie war immer auf der Suche nach revolutionären Prozessen.

Aufgeben war nie ihre Sache - statt zu lamentieren, hat sie gehandelt, weil sie wußte, daß nur, wer sich auf Widersprüche einläßt, wer riskiert, auch Fehler zu machen, Erfahrungen machen kann und lernt. Und sie konnte lachen, trotz allem, bequem hat sie sich es nie gemacht, für Probleme suchte sie Wege, Stillstand war nicht ihre Sache.

Wir haben mit Andrea zusammen gelebt, wir haben uns geliebt, wir haben zusammen gekämpft.
In der Freizeit 81, haben Häuser besetzt - mit 16 saß Andrea das erste mal für ein halbes Jahr im Knast - später im Infoladen gegen Nazis, den Weltwirtschaftsgipfel 85, in Wackersdorf hinter Barrikaden gegen Atomkraft, in den bayerischen und bundesweiten Autonomentreffen, und gemeinsam gegen die Isolationsfolter von politischen Gefangenen und immer mehr sie auch in autonomen Frauenzusamrmenhängen gegen Sexismus, aber auch die patriarchalen Strukturen in unseren eigenen Reihen.

Sie konnte stur sein, hart gegen sich, manchmal gegen andere - doch da war immer beides: Liebe und Kampf; ein großes Herz, und ein eigener Kopf - Denkverbote waren nicht ihre Angelegenheit.

Und sie war kommunikativ, hat angesteckt, Mut gemacht.

Dann in Frankfurt, wieder auf der Suche nach Veränderung, war sie an der Startbahn, hat diskutiert und organisierte bundesweite Strukturen
1987 wird sie wieder verhaftet - nach über zwei Monaten ist die Konstruktion eines Staatsschutzspitzels in sich zusammengebrochen.

Danach in der Gruppe "Kein Friede", und wieder gemeinsam in München gegen den Weltwirtschaftsgipfel 1992 in München.

Noch einmal in den Knast wollte sie nicht: Dorthin sollte sie 1995 eine angebliche Beteiligung am Anschlag auf die JVA Weiterstadt bringen - absurd, sie war damals in Mittelamerika, aber bedrohlich. Sie entscheidet sich für die Illegalität, weiter auf der Suche nach revolutionären Prozessen und dem Leben mit FreundInnen und Genosslnnen.

Wir trafen uns das letzte Mal im Café. Es war Winter. Sie mußte sich ein gepflegtes, unauffälliges Äußeres zulegen, sagte sie, ein notwendiges Zugeständnis an die Illegalität. Sie sprach auch leiser und ich sprach ständig zu laut. Leise und unauffällig war sie nie gewesen. Das widersprach ihrem Gerechtigkeitsempfinden. Sie wollte und konnte nicht schweigen, wenn ihr Unterdrückung und Unrecht die Luft nahm. Ich erinnere mich noch genau, 1985 in Nesselwang auf dem Camp gegen das NS-Totenkopftreffen hatte sie Sada auf dem Arm, ein kleiner Mischlingshund, den ihr Stefan geschenkt hatte, und drängte in den Eingang des Hauses, in dem sich Alt- und Jungnazis aufhielten. Sie schien nie Angst zu haben. Das hatte wohl mit ihrem unverbrüchlichen Glauben an die Notwendigkeit einer revolutionären Bewegung, die die Unterdrückung auf dieser Welt bezwingen würde, zu tun. Das Argument, die Zeit sei nicht reif und so weiter, ließ sie nicht gelten. Sie suchte die Revolte und glaubte an sie (...)

Andrea ist tot
Trauer und Kampf
Leben und Tod
Liebe und Kampf

Unsere Tränen wollen nicht enden und doch wissen wir, weil wir ihr ganz. nahe sind, sie würde uns schimpfen Sie würde sagen, daß das Leben doch weitergeht, weitergehen muß und natürlich der Kampf.

Andrea wird uns begleiten - wir umarmen dich.

Und so, wie sie sich den nächsten Zeilen von Franz Fanon radikal verschrieben hat, weil sie noch immer aktuell sind, gibt sie uns diese Zeilen mit auf den Weg und auch deshalb werden wir jetzt erst mal diese Demo machen

Franz Fanon 1961:
"Verlieren wir keine Zeit mit sterilen Litaneien oder ekelhafter Nachäfferei. Verlassen wir dieses Europa, daß nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken dieser Welt. Ganze Jahrhunderte lang hat es im Namen eines angeblichen 'geistigen Abenteuers' fast die gesamte Menschheit erstickt "

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machwerk, frankfurt (2000)