Aufruhr,
Widerstand...
Die Mitte
der achtziger Jahre waren in Westeuropa von einer Intensivierung militanter
Kämpfe geprägt, die sich vom punktuellen Protest zum umfassenderen
Widerstand entwickelten.
In diesem Zusammenhang gewann die Rote Armee Fraktion (RAF) und der Kampf
der Gefangenen zunehmend an Bedeutung.
Der Hungerstreik der Gefangenen aus RAF und Widerstand im Winter 84/85
für ihre Zusammenlegung war von einer starken militanten Mobilisierung
begleitet. Sie war darauf orientiert - über die Verbesserung der
Haftbedingungen der revolutionären Gefangenen hinaus - die Vorstellung
einer revolutionären Front in Westeuropa umzusetzen und weiterzuentwickeln.
Die RAF und die französische Action Directe (AD) machten nach jahrelanger
Diskussion die Gründung der Westeuropäischen Guerilla praktisch.
Gruppen aus legalen militanten Strukturen bezogen sich mit Aktionen direkt
auf diese Entwicklung, die Gefangenen gaben ihrem Hungerstreik einen internationalistischen
Bezug.
Der Hungerstreik
wurde auf Aufforderung der RAF Anfang Februar 1985 abgebrochen, die die
Entwicklung für so weit erklärte, daß die Forderungen
der Gefangenen von draußen durch die Praxis der Guerilla und der
mit ihr kämpfenden Gruppen aus dem Widerstand (Kämpfenden
Einheiten) durchgesetzt werden (was sich im Verlauf der Entwicklung
als Fehleinschätzung erwies).
1985 führten Guerilla und Kämpfende Einheiten eine Reihe Aktionen
gegen NATO-Strukturen durch, mit der die imperialistische Kriegsvorbereitung
und -führung behindert und unsicher gemacht werden sollte.
Parallel dazu nahmen die verschiedenen Mobilisierungen und Massenkämpfe
gegen Großprojekte wie NATO-Startbahn-West und die Wiederaufbereitungsanlage
Wackersdorf an Intensität und Militanz zu. Die Befreiungsbewegungen
im Trikont (Afrika, Asien, Lateinamerika) rückten stärker in
das Bewußtsein der Bewegungen hier, und der Kampf um Zusammenlegung
war Bestandteil von Veranstaltungen, Diskussionen und Mobilisierungen.
Auf internationaler
Ebene wurden Diskussionen und Kongresse organisiert. Die Sylvestertage
85/86 der besetzten Häuser der Hamburger Hafenstraße brachten
Gruppen und Organisationen aus ganz Westeuropa zusammen.
Erinnerung
(IV)
Im Sommer
1986 zog Andrea endgültig nach Frankfurt. Vorher pendelte
sie eine Zeitlang zwischen München und Frankfurt. Ein Freund
aus München beschreibt ihre Gründe für den Wechsel:
Daß sie weggehen wollte, war schon länger klar,
ich glaube so seit den Winterplatzbesetzungen des WAA-Geländes;
im Frühsommer hat sie gependelt und im Sommer kam der Umzug.
Ich glaube, daß es für Andrea immer eine große
Rolle gespielt hat, daß sie aus der ganzen Freizeit- Geschichte
als einzige übriggeblieben ist und politisch weitergemacht
hat. Das war eine prägende Geschichte für sie, das hat
sie immer wieder thematisiert. Das hatte auch damit zu tun wie
sie sich im Knast verhalten hat und wie sich andere im Knast verhalten
haben.
Sicher war die Phase von Ende 84 bis 86 noch mal ein Aufbruch,
gemeinsam, und noch mal ein Versuch herauszubekommen, ob es in
München eine neue politische Organisierung gibt. Sie wollte
immer was und das wollte sie auch ernst nehmen und verantwortlich
damit umgehen. Nicht nach dem Motto, heute hier und morgen das.
Das hat sich dann schon Ende 85 rausgestellt, daß wir da
in München ganz wenige sind.
Sie hat hier viel gemacht, viel versucht, ist an viele Grenzen
gestoßen. Und sie wollte einfach noch mal frei sein, in
dem Sinne, ganz neu und ohne Altlasten wo du ja auch
immer festgelegt, definiert bist, mit bestimmten Geschichten assoziiert
wirst. Noch mal frei eine neue Entwicklung nach vorne machen zu
können, neue Leute kennenzulernen. Das hatte auch was damit
zu tun, daß wir in diesen zwei Jahren viel bundesweit unterwegs
waren, viele Leute kannten, Diskussionen und organisatorische
Prozesse zusammen hatten.
Und
ein Freund aus Frankfurt:
Aber ich denke, neben dem Gefühl übriggeblieben
zu sein, ist es auch dieses Familiäre in München was sie
sehr gestört hat. Man kennt sich,und deshalb werden bestimmte
Reibungen und Konfrontationen nicht so scharf, man ist trotzdem
immer zusammen. Das fand sie auf der einen Seite gut. Daß
es nicht immer so ist - man geht nicht mehr zusammen weiter, also
sieht man sich dann auch nie wieder - aber auf der andern Seite
hat es sie auch behindert, weil sie das Gefühl hatte, sie kommt
selbst nicht weiter. Brüche, Konfrontationen, unterschiedliche
Vorstellungen waren nie so zugespitzt, daß man sagt: - das
ist wirklich mein Weg -, sondern man wird immer wieder durch eine
gewisse familiäre Enge, auch Gemütlichkeit, eingefangen.
Sie wollte ganz oder gar nicht und dieses Verhältnis
konnte sie in München immer schwieriger leben.
Daß sie sich Frankfurt aussuchte, hatte, denke ich, mit ihren
Kontakten zu tun, mit der Auseinandersetzung um die Startbahn West
und damit, daß Frankfurt damals noch eine der sogenannten
Autonomenhochburgen war.
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Auf
dem Kongreß antikapitalistischer und antiimperialistischer
widerstand in westeuropa in Frankfurt/Main Anfang Februar 1986
sollten - entsprechend den Vorstellungen der revolutionären Front
- Schritte für eine Organisierung der verschiedenen Teile des Widerstands
in Westeuropa und darüber hinaus gemacht werden. Mit Vertretern
von Befreiungsbewegungen auch aus anderen Kontinenten - wie z.B. der
Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK und der Volksbefreiungsfront
Palästinas PFLP - sollten gemeinsame Perspektiven diskutiert werden.
Diskussion, Organisierung und eine offensive Haltung gegen die imperialistischen
Interessen stand im Vordergrund.
Weltweit
schienen sich die Entwicklungen zuzuspitzen. Das rassistische Apartheitsregime
in Südafrika begann unter dem Druck der Bevölkerung und der
internationalen Solidarität zu wanken, der palästinensische
Befreiungskampf entwickelte sich zum allgemeinen Volksaufstand (Intifada)
und setzte Israel zunehmend unter Druck, allgemein nahmen die Guerillabewegungen
an Stärke zu, der kurdische Befreiungskampf gegen das NATO-Land Türkei
setzte sich fest und gewann auch in der BRD durch die vielen organisierten
Kurdinnen und Kurden an Bedeutung
In dieser Phase allerdings kündigte Gorbatschow das Ende der bipolaren
Welt und der damit verbundenen Reduzierung der Unterstützung der
Staaten und Befreiungsbewegungen des Trikont an. Die imperialistischen
Staaten unter Führung der USA machten mit der Bombardierung Libyens
im Sommer 1986 ihre Haltung deutlich.
Der Super-Gau des ukrainischen Atomkraftwerks in Tschernobyl ließ
sich von den westlichen Kernkraftprofiteuren nicht antisozialistisch benutzen,
sondern führte dazu, daß die Anti-AKW-Bewegung auch in der
BRD wiedererstarkte.
Die zweite Offensive von RAF/AD und den Kämpfenden Einheiten richtete
sich gegen die Kernstücke der europäischen militärischen,
ökonomischen und politischen Formierung zum imperialistischen Zentrum.
Diese Angriffe hatten durch die umfassendere Bestimmung ihrer Ziele einen
stärkeren Bezug zu den verschiedenen Bewegungen als die vorangegangenen
und wurden deshalb auch breiter diskutiert.
Weite
Teile der Linken waren von einer Aufbruchstimmung erfaßt und davon
überzeugt, daß die Möglichkeit des Sieges existiert; zumindest
rückte eine grundlegende Veränderung des weltweiten Kräfteverhältnisses
für die Seite der Befreiung für viele in den Bereich des Möglichen.
Entsprechend waren die staatlichen Reaktionen: 1986 wurden mehrere GenossInnen
für die Angriffe der Kämpfenden Einheiten verantwortlich gemacht
und mit Hilfe des §129a zu Jahren Isolationshaft verurteilt; Veranstaltungen,
in denen es um Fragen des Internationalismus (z.B. Palästina), die
Situation und Forderungen der revolutionären Gefangenen in Westeuropa
und die Diskussion um militante Organisierung ging, wurden mit dem §129a
kriminalisiert und die VeranstalterInnen teilweise zu Haft verurteilt;
der §129a selbst wurde erweitert, weil die Angriffe auf die Infrastruktur
der Kernkraftwerks-Betreiber massenhaften Charakter annahmen. Die Repression
wurde sehr bestimmend und es gab überall darüber Diskussionen,
wie politischer Raum zurückzuerobern sei.
Ende 1986 war deutlich geworden, daß die antiimperialistische Front
mit der Guerilla zwar militärisch entwickelt war, aber politisch
schwach und als gesellschaftliche Perspektive nicht existierte, und es
deshalb auch wenig Sinn machen würde, eine militärische Angriffslinie
einfach fortzusetzen.
Massenkämpfe wie die an der Startbahn und der WAA spitzten sich weiter
zu, Diskussionen und Mobilisierungen zu Rassismus, Faschismus und - vor
allem von Frauen - zu Sexismus/Patriarchat traten mehr in den Vordergrund.
Militärisch entwickelten RZ (Revolutionäre Zellen) und Rote
Zora Angriffe gegen rassistische/sexistische Gesetzgebung und Abschiebung
etc., weiter unterstützte die Rote Zora direkt Arbeiterinnenkämpfe
im Trikont.
Das Verständnis
von Ausbeutung und Unterdrückung wurde vertieft, wenn auch die Vorstellungen
von Befreiung
weiter vage und unausgefüllt blieben. Auf der Suche nach einer umfassenderen
Veränderung bekam die Hamburger Hafenstraße eine große
Bedeutung, da in der Auseinandersetzung um dieses Projekt sowohl die eigenen
Ziele, als auch der Feind definierbar waren: Kollektives Leben, das nicht
Träumen von schöner wohnen nachhängt sondern sich solidarisch
mit internationalen Kämpfen begreift, muß gegen die Staatsmacht
durchgesetzt werden. Ende 1987 mündete der Widerstand gegen Räumungsabsichten
in die sogenannten Barrikadentagen: Die BewohnerInnen verbarrikadierten
das Gebiet um ihre Häuser, in vielen Städten der BRD und ganz
Westeuropa gab es Solidaritätsaktionen, um das Leben in den Häusern
und den damit verbundenen Vorstellungen von Kollektivität und Selbstbestimmung
wurde solidarisch und militant gekämpft. Die Barritage
endeten mit der Unterzeichnung eines Vertrages, die Bedeutung der Häuser
als Raum und teilweise auch Ausgangspunkt für eine europaweite Diskussion
blieb zunächst. Initiativen aus den Häusern und die Parolen
an deren Wänden wurden seit 1987 an vielen Orten aufgegriffen und
hatten Gewicht.
Die Schüsse
an der NATO-Startbahn-West am 2.11.1987 bzw. vor allem die große
Unsicherheit der darauf folgenden Repressionswelle gegenüber machten
deutlich, daß der Staatsapparat dem Widerstand hier auf einem Niveau
begegnete, auf das jener nicht vorbereitet war.
In den verschiedenen Auseinandersetzungen - um Hafenstraße, Rassismus,
Patriarchat, Repression, Gefangene, Front, das vereinheitlichte Europa
als imperialistisches Zentrum - sind nationale Grenzen überwunden
worden; sowohl im Bewußtsein als auch in den konkreten Beziehungen
untereinander. So gab es Anfang 1988 viele Aktivitäten mit internationalistischen
Bezügen - zur Intifada, zum Hungerstreik der Gefangenen aus Action
Directe, zu Kämpfen in Lateinamerika
Die Auseinandersetzungen
und Mobilisierungen gegen den EG- und den IWF-Gipfel, die beide in diesem
Jahr in der BRD stattfanden, waren getragen von der Vorstellung, den Herrschenden
nicht die Ruhe zu lassen, die sie für ihre Planungen brauchen, sondern
ihre Arbeit zu behindern, die Straße zu erobern und so den eigenen
Forderungen Gehör und Gewicht zu verschaffen.
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