Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 40-42
Aufruhr, Widerstand...

Die Mitte der achtziger Jahre waren in Westeuropa von einer Intensivierung militanter Kämpfe geprägt, die sich vom punktuellen Protest zum umfassenderen Widerstand entwickelten.
In diesem Zusammenhang gewann die Rote Armee Fraktion (RAF) und der Kampf der Gefangenen zunehmend an Bedeutung.
Der Hungerstreik der Gefangenen aus RAF und Widerstand im Winter 84/85 für ihre Zusammenlegung war von einer starken militanten Mobilisierung begleitet. Sie war darauf orientiert - über die Verbesserung der Haftbedingungen der revolutionären Gefangenen hinaus - die Vorstellung einer revolutionären Front in Westeuropa umzusetzen und weiterzuentwickeln. Die RAF und die französische Action Directe (AD) machten nach jahrelanger Diskussion die Gründung der Westeuropäischen Guerilla praktisch. Gruppen aus legalen militanten Strukturen bezogen sich mit Aktionen direkt auf diese Entwicklung, die Gefangenen gaben ihrem Hungerstreik einen internationalistischen Bezug.

Der Hungerstreik wurde auf Aufforderung der RAF Anfang Februar 1985 abgebrochen, die die Entwicklung für so weit erklärte, daß die Forderungen der Gefangenen von draußen durch die Praxis der Guerilla und der mit ihr kämpfenden Gruppen aus dem Widerstand („Kämpfenden Einheiten“) durchgesetzt werden (was sich im Verlauf der Entwicklung als Fehleinschätzung erwies).
1985 führten Guerilla und Kämpfende Einheiten eine Reihe Aktionen gegen NATO-Strukturen durch, mit der die imperialistische Kriegsvorbereitung und -führung behindert und unsicher gemacht werden sollte.
Parallel dazu nahmen die verschiedenen Mobilisierungen und Massenkämpfe gegen Großprojekte wie NATO-Startbahn-West und die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf an Intensität und Militanz zu. Die Befreiungsbewegungen im Trikont (Afrika, Asien, Lateinamerika) rückten stärker in das Bewußtsein der Bewegungen hier, und der Kampf um Zusammenlegung war Bestandteil von Veranstaltungen, Diskussionen und Mobilisierungen.

Auf internationaler Ebene wurden Diskussionen und Kongresse organisiert. Die Sylvestertage 85/86 der besetzten Häuser der Hamburger Hafenstraße brachten Gruppen und Organisationen aus ganz Westeuropa zusammen.

Erinnerung (IV)

Im Sommer 1986 zog Andrea endgültig nach Frankfurt. Vorher pendelte sie eine Zeitlang zwischen München und Frankfurt. Ein Freund aus München beschreibt ihre Gründe für den Wechsel:
„Daß sie weggehen wollte, war schon länger klar, ich glaube so seit den Winterplatzbesetzungen des WAA-Geländes; im Frühsommer hat sie gependelt und im Sommer kam der Umzug. Ich glaube, daß es für Andrea immer eine große Rolle gespielt hat, daß sie aus der ganzen Freizeit- Geschichte als einzige übriggeblieben ist und politisch weitergemacht hat. Das war eine prägende Geschichte für sie, das hat sie immer wieder thematisiert. Das hatte auch damit zu tun wie sie sich im Knast verhalten hat und wie sich andere im Knast verhalten haben.
Sicher war die Phase von Ende 84 bis 86 noch mal ein Aufbruch, gemeinsam, und noch mal ein Versuch herauszubekommen, ob es in München eine neue politische Organisierung gibt. Sie wollte immer was und das wollte sie auch ernst nehmen und verantwortlich damit umgehen. Nicht nach dem Motto, heute hier und morgen das. Das hat sich dann schon Ende 85 rausgestellt, daß wir da in München ganz wenige sind.
Sie hat hier viel gemacht, viel versucht, ist an viele Grenzen gestoßen. Und sie wollte einfach noch mal frei sein, in dem Sinne, ganz neu und ohne „Altlasten“ wo du ja auch immer festgelegt, definiert bist, mit bestimmten Geschichten assoziiert wirst. Noch mal frei eine neue Entwicklung nach vorne machen zu können, neue Leute kennenzulernen. Das hatte auch was damit zu tun, daß wir in diesen zwei Jahren viel bundesweit unterwegs waren, viele Leute kannten, Diskussionen und organisatorische Prozesse zusammen hatten.“

Und ein Freund aus Frankfurt:
„Aber ich denke, neben dem Gefühl übriggeblieben zu sein, ist es auch dieses Familiäre in München was sie sehr gestört hat. Man kennt sich,und deshalb werden bestimmte Reibungen und Konfrontationen nicht so scharf, man ist trotzdem immer zusammen. Das fand sie auf der einen Seite gut. Daß es nicht immer so ist - man geht nicht mehr zusammen weiter, also sieht man sich dann auch nie wieder - aber auf der andern Seite hat es sie auch behindert, weil sie das Gefühl hatte, sie kommt selbst nicht weiter. Brüche, Konfrontationen, unterschiedliche Vorstellungen waren nie so zugespitzt, daß man sagt: - das ist wirklich mein Weg -, sondern man wird immer wieder durch eine gewisse familiäre Enge, auch Gemütlichkeit, eingefangen. Sie wollte „ganz oder gar nicht“ und dieses Verhältnis konnte sie in München immer schwieriger leben.
Daß sie sich Frankfurt aussuchte, hatte, denke ich, mit ihren Kontakten zu tun, mit der Auseinandersetzung um die Startbahn West und damit, daß Frankfurt damals noch eine der sogenannten Autonomenhochburgen war.“

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Auf dem Kongreß „antikapitalistischer und antiimperialistischer widerstand in westeuropa“ in Frankfurt/Main Anfang Februar 1986 sollten - entsprechend den Vorstellungen der revolutionären Front - Schritte für eine Organisierung der verschiedenen Teile des Widerstands in Westeuropa und darüber hinaus gemacht werden. Mit Vertretern von Befreiungsbewegungen auch aus anderen Kontinenten - wie z.B. der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK und der Volksbefreiungsfront Palästinas PFLP - sollten gemeinsame Perspektiven diskutiert werden.
Diskussion, Organisierung und eine offensive Haltung gegen die imperialistischen Interessen stand im Vordergrund.

Weltweit schienen sich die Entwicklungen zuzuspitzen. Das rassistische Apartheitsregime in Südafrika begann unter dem Druck der Bevölkerung und der internationalen Solidarität zu wanken, der palästinensische Befreiungskampf entwickelte sich zum allgemeinen Volksaufstand (Intifada) und setzte Israel zunehmend unter Druck, allgemein nahmen die Guerillabewegungen an Stärke zu, der kurdische Befreiungskampf gegen das NATO-Land Türkei setzte sich fest und gewann auch in der BRD durch die vielen organisierten Kurdinnen und Kurden an Bedeutung…
In dieser Phase allerdings kündigte Gorbatschow das Ende der bipolaren Welt und der damit verbundenen Reduzierung der Unterstützung der Staaten und Befreiungsbewegungen des Trikont an. Die imperialistischen Staaten unter Führung der USA machten mit der Bombardierung Libyens im Sommer 1986 ihre Haltung deutlich.
Der Super-Gau des ukrainischen Atomkraftwerks in Tschernobyl ließ sich von den westlichen Kernkraftprofiteuren nicht antisozialistisch benutzen, sondern führte dazu, daß die Anti-AKW-Bewegung auch in der BRD wiedererstarkte.
Die zweite Offensive von RAF/AD und den Kämpfenden Einheiten richtete sich gegen die Kernstücke der europäischen militärischen, ökonomischen und politischen Formierung zum imperialistischen Zentrum. Diese Angriffe hatten durch die umfassendere Bestimmung ihrer Ziele einen stärkeren Bezug zu den verschiedenen Bewegungen als die vorangegangenen und wurden deshalb auch breiter diskutiert.

Weite Teile der Linken waren von einer Aufbruchstimmung erfaßt und davon überzeugt, daß die Möglichkeit des Sieges existiert; zumindest rückte eine grundlegende Veränderung des weltweiten Kräfteverhältnisses für die Seite der Befreiung für viele in den Bereich des Möglichen.
Entsprechend waren die staatlichen Reaktionen: 1986 wurden mehrere GenossInnen für die Angriffe der Kämpfenden Einheiten verantwortlich gemacht und mit Hilfe des §129a zu Jahren Isolationshaft verurteilt; Veranstaltungen, in denen es um Fragen des Internationalismus (z.B. Palästina), die Situation und Forderungen der revolutionären Gefangenen in Westeuropa und die Diskussion um militante Organisierung ging, wurden mit dem §129a kriminalisiert und die VeranstalterInnen teilweise zu Haft verurteilt; der §129a selbst wurde erweitert, weil die Angriffe auf die Infrastruktur der Kernkraftwerks-Betreiber massenhaften Charakter annahmen. Die Repression wurde sehr bestimmend und es gab überall darüber Diskussionen, wie politischer Raum zurückzuerobern sei.
Ende 1986 war deutlich geworden, daß die antiimperialistische Front mit der Guerilla zwar militärisch entwickelt war, aber politisch schwach und als gesellschaftliche Perspektive nicht existierte, und es deshalb auch wenig Sinn machen würde, eine militärische Angriffslinie einfach fortzusetzen.
Massenkämpfe wie die an der Startbahn und der WAA spitzten sich weiter zu, Diskussionen und Mobilisierungen zu Rassismus, Faschismus und - vor allem von Frauen - zu Sexismus/Patriarchat traten mehr in den Vordergrund. Militärisch entwickelten RZ (Revolutionäre Zellen) und Rote Zora Angriffe gegen rassistische/sexistische Gesetzgebung und Abschiebung etc., weiter unterstützte die Rote Zora direkt Arbeiterinnenkämpfe im Trikont.

Das Verständnis von Ausbeutung und Unterdrückung wurde vertieft, wenn auch die Vorstellungen von Befreiung weiter vage und unausgefüllt blieben. Auf der Suche nach einer umfassenderen Veränderung bekam die Hamburger Hafenstraße eine große Bedeutung, da in der Auseinandersetzung um dieses Projekt sowohl die eigenen Ziele, als auch der Feind definierbar waren: Kollektives Leben, das nicht Träumen von schöner wohnen nachhängt sondern sich solidarisch mit internationalen Kämpfen begreift, muß gegen die Staatsmacht durchgesetzt werden. Ende 1987 mündete der Widerstand gegen Räumungsabsichten in die sogenannten Barrikadentagen: Die BewohnerInnen verbarrikadierten das Gebiet um ihre Häuser, in vielen Städten der BRD und ganz Westeuropa gab es Solidaritätsaktionen, um das Leben in den Häusern und den damit verbundenen Vorstellungen von Kollektivität und Selbstbestimmung wurde solidarisch und militant gekämpft. Die „Barritage“ endeten mit der Unterzeichnung eines Vertrages, die Bedeutung der Häuser als Raum und teilweise auch Ausgangspunkt für eine europaweite Diskussion blieb zunächst. Initiativen aus den Häusern und die Parolen an deren Wänden wurden seit 1987 an vielen Orten aufgegriffen und hatten Gewicht.

Die Schüsse an der NATO-Startbahn-West am 2.11.1987 bzw. vor allem die große Unsicherheit der darauf folgenden Repressionswelle gegenüber machten deutlich, daß der Staatsapparat dem Widerstand hier auf einem Niveau begegnete, auf das jener nicht vorbereitet war.
In den verschiedenen Auseinandersetzungen - um Hafenstraße, Rassismus, Patriarchat, Repression, Gefangene, Front, das vereinheitlichte Europa als imperialistisches Zentrum - sind nationale Grenzen überwunden worden; sowohl im Bewußtsein als auch in den konkreten Beziehungen untereinander. So gab es Anfang 1988 viele Aktivitäten mit internationalistischen Bezügen - zur Intifada, zum Hungerstreik der Gefangenen aus Action Directe, zu Kämpfen in Lateinamerika …

Die Auseinandersetzungen und Mobilisierungen gegen den EG- und den IWF-Gipfel, die beide in diesem Jahr in der BRD stattfanden, waren getragen von der Vorstellung, den Herrschenden nicht die Ruhe zu lassen, die sie für ihre Planungen brauchen, sondern ihre Arbeit zu behindern, die Straße zu erobern und so den eigenen Forderungen Gehör und Gewicht zu verschaffen.

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machwerk, frankfurt (2000)