Ich
muß in diesen Tagen von der Hoffnung leben, nicht von den Nachrichten
(Dieser Text von Andrea's Gruppe Kein Friede entstammt
dem 1993 erschienenen Heft Die Mühen der Ebene, in dem
u.a. die Mobilisierung gegen den Weltwirtschaftsgipfel nachbereitet wurde.)
Eine politische Demonstration in München und die Militanz der 80er
Jahre
Über
20.000 Menschen waren auf der Demonstration am 4. Juli 1992 in München
- eine große Demonstration, auch wenn wir heute wieder andere Größenverhältnisse
gewöhnt sind.
Groß war auch das Bullenaufgebot und Stunden hat es gedauert, bis
in zähen und mühseligen Versuchen gemeinsam die Demonstration
zum Laufen gebracht wurde: einige Schritte vorwärts, wieder rückwärts
zusammenrücken, damit keine Lücken entstehen, das ganze wieder
von vorn. Die ersten 500 Meter vom Marienplatz weg vor allem, aber auch
die ganze Route über, eine einzige Provokation: immer wieder gingen
USK und andere Bulleneinheiten rein, wollten Keile treiben, Seitentransparente
abnehmen, versuchten zu spalten, versuchten Schwarze Blöcke
zu isolieren. Daß es die nicht gab, sondern die Demo ziemlich durchgehend
bunt und schwarz war, verwirrte die Einsatzleitung dazu.
Daß wir durchkamen, war ein Erfolg. Die internationalen Genossinnen
und Genossen an der Spitze und der kämpferische Frauen- und Lesbenblock
trugen viel dazu bei. Die Anstrengung von allen war zu spüren, alle
wissen um die Verantwortung: Wir können es nicht zulassen, daß
die staatliche Absicht, die Demo aufzuhalten, aufzusplitten und vielleicht
auseinanderzujagen, aufgeht.
Die per Lautsprecher durchgegebene Message war: Wir wollen eine
politische Demonstration machen. Es sind die Bullen, die das verhindern.
Das war korrekt, aber was ist eine politische Demonstration?
Der Sinn der Aussage ist: Wir beabsichtigen keine gewalttätige Demonstration,
die Gewalt geht von den Bullen aus. Aber ist Gewalt unpolitisch? Wäre
eine von uns aus so bestimmte, militante Demo eine unpolitische gewesen?
Wir sind
sicher, daß in dieser Episode mehr steckt als nur eine Floskel aus
Unsicherheit. Es ist für uns auch nicht das Ding des lautsprechenden
Genossen. Es ist genauso von anderen bis zum Ende der Aktionstage auf
jeder Demonstration zu hören gewesen.
Für viele ist eine Scherbendemo in den letzten zehn Jahre
zum Inbegriff einer richtigen Demonstration überhaupt
geworden. Anfang der 80er Jahre war die massenhafte Militanz auf der Straße
noch sprengend; die Politiker reagierten mit Panik und Dialog mit
der Jugend. Nicht, daß militante Demos falsch wären,
manchmal vielleicht, aber vor allem sind sie kein Ersatz für selbstbestimmte
militante Aktionen. Genau das aber ist passiert. Kaum wurde Anfang der
80er militante Praxis, Angriff und Organisierung als Möglichkeit
erobert, sind sie schon wieder verloren gegangen.
Jetzt wird revolutionäre Gewalt im eigenen Denken ihrer Politik und
Ziele und, na klar, auch des Mythos entkleidet. Anders ist die politische
Demo nicht zu verstehen.
Die Bewegungen der 80er Jahre waren massenhaft, subversiv und zum Teil
auch militant. Sie leiteten keine tiefgehende gesellschaftliche Veränderung
ein. Aber sie erkämpften einen Bruch mit einer Kühlschrankgesellschaft,
die sich mit dem Touch der durch die 68er-Bewegung freigesetzten Möglichkeiten
schmückte. Inzwischen war sie längst wieder im business
as usual versackt. Die Kämpfe der 80er sind mit der Niederlage
der Guerilla 1977 aufgewachsen. Ob bewußt oder unbewußt -
für die Vorstellung zu siegen, hier wirklich die Verhältnisse
nach unserer Melodie zum Tanzen zu bringen, spielte diese Machtfrage und
vor allem ihr Ausgang eine große und desillusionierende Rolle. Die
Linke, die Gesellschaft, der Staat - nichts war mehr wie vorher. Die Gefühlslage
der Bevölkerung war wie nach einem kalten Staatsstreich. Die SPD-Bluthunde
hatten ihre Entscheidung getroffen, als stände die Existenz des Staates
auf dem Spiel.
Dagegen brachen sich die Bewegungen Bahn. Obwohl oder gerade trotz des
Wissens, daß dieser Staat totalitär ist, mit einer ungeahnten
Militanz und kreativem Elan.
Die Häuserbewegung, die Anti-NATO-Kämpfe, aber auch die Friedensbewegung,
die Solibewegung mit Nicaragua und El Salvador oder der Widerstand gegen
Großprojekte wie Startbahn-West, Wackersdorf und AKW's haben den
Alltag der einzelnen Menschen zum Teil nachhaltig verändert und dafür
gesorgt, daß in den starken Momenten das ganze Leben aus dem Kampf
bestand. Daß der gesellschaftliche Trend - anders als Ende der 60er
- völlig konträr dazu lief, war kaum in unserem Bewußtsein.
So läßt sich auch erklären, warum - bis auf die Anti-AKW-Bewegung,
die es geschafft hat, das damalige Atomprogramm erst mal zu stoppen -
keine dieser Massenbewegungen durchkam.
Solange
existent, organisierten sich aus dem Kampf viele Lern- und Denkprozesse
und ein gemeinsames Lebensgefühl. Ohne auch diese erbitterten Kämpfe
und Schlachten gäbe es heute nicht das gesellschaftliche Wissen über
die staatlichen Machtverhältnisse, die Ausbeutung weltweit, die Ökologiezerstörung
usw.
Militanter
Straßenkampf gegen die Jubelfeier zum 25.Jahrestag der NATO in Bremen,
Protest und Widerstand gegen die öffentlichen Rekruten-Vereidigungen
der Bundeswehr, Aktionen gegen NATO-Manöver und militärische
Infrastruktur, die Welle der sozialen Aneignung und Revolte in der Häuserbewegung,
der militante und massenhafte Widerstand ganzer Regionen mit Strommastsägen
und Sonntagsspaziergängen, Solidarität mit der RAF... - überall
bildeten sich kleine und kleinste Widerstandsnester, manchmal
nur ein paar Leute, spontan und am nächsten Tag schon wieder zerstreut
oder organisierterer Natur. Es rumorte, von kleinen Zusammenhängen
mit militanter Praxis, autonomen Gruppen aus der BesetzerInnenbewegung
bis zur RZ-Politik: Jedes Herz ist eine Zeitbombe. So unterschiedlich,
teilweise im Widerspruch zueinander, die politischen Bezugspunkte auch
waren - von Front bis zu den Vorstellungen sozialrevolutionärer
Autonomie im Kiez -, ungleichzeitig und immer wieder zurückgeworfen
durch ideologische Knüppel zwischen den eigenen Beinen, einte diesen
Aufbruch die Ablehnung der bundesdeutschen gesellschaftlichen Realität.
Es war der Versuch, selbstbestimmte, außerhalb der staatlichen Normen
und Regeln stehende Lebensformen und Beziehungen zu entwickeln.
Die, die kämpften, suchten sich unmittelbare Wege und Formen zur
Umsetzung, zur Praxis. Nach dem Motto: Alle können alles,
- eigene Aktion und Selbstbefreiung - wurde der subjektive Nerv freigelegt.
Gefühl und Härte gegen die Tristesse und den Gehorsam
in konventionellen Parteien und Organisationen, gegen den Verrat der Spontis.
Daraus blüht heute Selbstgefälligkeit und Selbstgenügsamkeit
- eine Lebensart, die an Luxus grenzt. Der eigene Bauch als Nabel der
Welt. Die Bewegungen sind verschwunden und mit ihnen fast vollständig
auch ihre Erfahrungen und Inhalte. Die nun vereinzelten Leute machen heute
meist etwas völlig anderes. So bricht jede Erfahrung mit dem Anfang
und dem Ende ihrer politischen Geschichte ab. Geblieben ist kaum mehr
als die kämpferische Pose. Die Reste aus starken Bewegungen, übriggebliebene
Haltungen ohne Inhalt. Eine langfristige Organisierung konnte auch keine
der Bewegungen leisten, ohne sich komplett neu zusammenzuraufen. Ohne
politische Organisierung, ständige Diskussionen und Praxis, entwickelt
keine und keiner eine Identität.
Unsere eigenen Worte wie Kollektivität, Selbstbestimmung, auf
die eigene Kraft vertrauen, haben in den 80er-Bewegungen immer nur
in wenigen Momenten gestimmt. Es waren Augenblicke, wo alle das Gefühl
hatten, so können wir die Welt aus den Angeln heben - und jedes Problem
untereinander läßt sich lösen. Doch der Alltag hatte in
jeder Gruppe, in jedem besetzten Haus ein völlig anderes Gesicht.
Mühselig, manchmal bis zur Kleinkrämerei, verzettelnd im wahrsten
Sinne des Wortes, sich gegenseitig mit dem Feind verwechselnd (in jeder
Struktur ist auch der ganze Dreck dieser Gesellschaft enthalten, was ohne
eigene Anstrengung zur Veränderung alle zur Verzweiflung bringt).
In dieser Aushöhlung wurde spürbar, daß der ganzheitliche
Lernprozeß längst nicht mehr möglich war. Auch aus dieser
Erstarrung speiste sich die autonome Frauenbewegung der 80er. Es ging
um den ganzheitlichen Begriff von Befreiung; nicht dieses Möchtegernrevolutionäre
nach Feierabend, sondern die vollständige Umwälzung auch von
sich selbst. Die Unfähigkeit in unseren Strukturen, den Sexismus
zu begreifen und zu bekämpfen, hat viele Frauen dazu gebracht, sich
aus der Bewegung zurückzuziehen. Mal ganz abgesehen davon, daß
von den meisten Männern (wenn überhaupt) nur Sprüche kommen,
aber kein Handeln.
Das große
Bedürfnis nach Frauenorganisierung zu dieser Zeit griff der absoluten
Zersetzung der emanzipatorischen Inhalte unseres Kampfes voraus: Frauen
sind immer die ersten, die die Trennung und Aufsplittung zu spüren
kriegen.
Um überhaupt
die eigene Identität als kämpfende Frau, als revolutionäre
Lesbe, als weibliche Militante zu finden, war für viele die Abgrenzung
sowohl gegenüber dem Mann und der Männergesellschaft wie auch
gegenüber den als revolutionär behaupteten gemischten Zusammenhängen
unabdingbar. Das verkam zu einem Dogma. Wie woanders auch, war die Abgrenzung
das stärkste Moment. Entscheidend war nicht mehr unsere Stärke
als Frauen, entscheidend war nur noch die Abgrenzung zu Männern,
und die Abgrenzung zu Frauen, die noch mit Männern was zu tun hatten.
Es wird immer Unterschiede geben: zwischen Frauen, die zusammen mit Männern
kämpfen und lieben, Frauen, die mit Männern kämpfen und
Frauen lieben, und Frauen, die mit Frauen kämpfen und lieben - wir
stellen das nicht gegeneinander.
Während
jede Demo mehr zur Macker-Spielwiese wurde, ist jeder brauchbare Militanz-Begriff
auf der Strecke geblieben. Auch deswegen zogen sich viele Frauen zurück.
Ein Männer-Problem ist das nicht, sondern eins der politischen Vorstellungen,
in der Militanz mit Steinen gleichgesetzt wurde. Die Krise der Militanten
blieb darin unverstanden.
Diese Begriffsverwirrung, auch von politisch/unpolitisch wird komplett,
wenn auf anderer Ebene, von einer anderen Praxis aus das Gleiche läuft.
Von RAF und RZ kommt es auch: früher ging es um Angriff - heute
um Politik.
Haben nun diejenigen doch Recht, die schon immer den Widerspruch zwischen
militanter oder bewaffneter Aktion und sozialistischer oder revolutionärer
Politik behaupteten? Wir sehen das anders.
Früher
ging es um Angriff - heute um Politik
Heute
geht es um ..., je nach dem: das Soziale, das
Konkrete, die Breite. Die gefangenen GenossInnen hatten
in ihrem Hungerstreikkampf 1989 die Neubestimmung revolutionärer
Politik auf die Tagesordnung gesetzt. Frischer Wind tat not: gegen die
Verflachung des eigenen Politikverständnisses, die Reduzierung von
Praxis auf die militante Aktion, daß es mehr Menschen außer
der Scene in diesem Land gibt, denen die Verhältnisse stinken und
daß unsere politischen Denk- und Handlungsmuster längst nicht
mehr ausreichen, uns selbst und mit anderen zusammen zu organisieren.
Diesen Gedanken: gegen das stereotype Weiterzeichnen einer Linie bis zur
Karikatur einen politischen, wie auch begrifflichen Schnitt zu setzen,
damit konnten wir viel anfangen.
Aber es wurde wie fast immer: eine Erkenntnis wird, bevor wir sie zusammen
auf ihre Tauglichkeit hin überprüft haben, schon eine Formel.
Ein Schlag-Wort mehr, das seines Inhalts beraubt jede weitere Diskussion
blockiert und eine andere als die beabsichtigte Wirkung erzielt. Schlimmer
noch: es wird zum Begründungsmuster um Fragen, Widersprüche
oder mögliche andere Konsequenzen zu beerdigen. Es geht jetzt
um einen politischen Prozeß - so als wenn es früher um
was ganz anderes gegangen wäre.
Tausende, wenn nicht sogar zehntausende von militanten und bewaffneten
Aktionen, Demonstrationen, Sabotageakte, Angriffe mit welchen Mitteln
auch immer, haben die Bewegung der 80er Jahre geprägt. Im Bewußtsein
vieler, die selbst aktiv darin gekämpft haben, gerinnt die Erfahrung
dieser Praxis zu einem unpolitischen drauflos. Das sagt dieser
Satz in der Konsequenz. Wir sagen, er tötet diese Erfahrung, weil
ihm ein Politik- und ein Praxisbegriff zugrunde liegt, der keine Kriterien
hat. Das Primat der Praxis ist nicht die Ideologie der Handwerkelei,
Die Politik des Angriffs nicht die Propaganda eines Aktionismus.
Sie sind dazu verkommen. Das ist unsere Kritik und Selbstkritik; darin
sehen wir einen Grund für die Niederlage der revolutionären
Linken. Heute geht es um Politik ist Ausdruck eines völligen
Unverständnisses über die eigene Geschichte und die eigene Praxis
in ihr.
In unserer Vorstellung vom Kampf um Befreiung war zum Angriff kommen
untrennbar verbunden mit dem Kampf um die Aufhebung der Trennung von Hand-
und Kopfarbeit, Führern und Geführten, von Politik und Privat,
Revolution und Emanzipation. Das Soziale ist die Politik.
Die Praxis der revolutionären Bewegung ist ihre Politik. Alles andere
ist Ideologie.
An dieser
Politik haben wir jede Menge Kritik und Selbstkritik, z.B. die Politikunfähigkeit
der revolutionären Linken. Wir wollten da zu fassen kriegen: selbst
unfähig geworden zu sein, soziale und politische Bezüge zur
gesellschaftlichen Entwicklung herzustellen, um sich in ihr zu bewegen
und sie voranzubringen. Kampfformen hatten sich verselbständigt,
waren kaum noch oder immer schwerer diskutier- und bestimmbar im Verhältnis
zu den allgemeinen Zielen und den konkreten Zwecken des Kampfes. Aber
Angriff und Militanz sind keine Formen, keine
Hüllen; sie sind Teil der Identität einer revolutionären
Bewegung - und so herum sind sie ihre Politik, ihr Inhalt. Die Politik
des Angriffs - war ein Begriff der 80er Jahre. Der Sinn eines
Satzes ist sein Zweck hat die RAF zuvor gesagt - und damit die gründlichste
Ideologiekritik gemacht. Die Schlußfolgerung, heute ginge es um
Politik, meint, daß es heute nicht mehr um Angriff geht. Aber: welche
Politik soll die revolutionäre Linke denn sonst haben, wenn nicht
die HERRschenden Zustände anzugreifen?
Wie kommt es, daß fast alle, nicht nur die Medien, von April an
von dem Ende des bewaffneten Kampfes sprachen, obwohl davon
gar nicht die Rede war? Aus der Entwicklung der letzten Jahre konnte es
nur so verstanden werden. Nicht erst in den Texten dieses Jahres wurde
deutlich, daß die bewaffneten Angriffe der Guerilla ohne konzeptionelle
Vorstellung waren. Die Aktionen erklärten sich vor allem über
das Angriffsziel. Die Kommandoaktion gegen Herrhausen war richtig, weil
er der Chef der Deutschen Bank war... usw. Was sie aber bewirken sollte,
was ihr Zweck war, welche Bedeutung ihr im Prozeß der Entwicklung
einer revolutionären Bewegung zukommen sollte....das wurde nicht
deutlich. Daraus kommt die unselige Gleichung, die seit April unwidersprochen
da ist: Guerilla = Hinrichtungsaktionen. So wird aus der Einstellung einer
spezifischen Aktionsform das Ende der RAF - und das, obwohl sie es gar
nicht erklärt hat.
Wir verstehen
nicht, warum die GenossInnen ihre Diskussion außerhalb des Kontextes
anderer Erfahrungen und Überlegungen aus dem bewaffneten Kampf entwickeln.
In den 30 Seiten vom August wird nicht erkennbar, daß es weitere
Versuche bewaffneter Politik außerhalb der RAF gegeben hat. Uns
interessiert nicht der altautonome Vorwurf der Ignoranz und Überheblichkeit.
Es zeigt nur, daß die Rote Armee Fraktion sich selbst nicht mehr
als einen Ansatz innerhalb einer strategischen Konzeption, der des Guerillakampfes
in der BRD und Westeuropas, diskutiert. Zumindest für uns steht nicht
die RZ oder die RAF zur Diskussion, sondern die Überlegungen, Erfahrungen
und Konsequenzen aus über 20 Jahren politisch-militärischer
Praxis.
In den
Texten der verschiedenen Revolutionären Zellen finden wir Andeutungen
oder auch Hinweise auf andere Ansätze; seien es Dagegen-Bestimmungen,
sei es, daß sie sich ins Verhältnis zur Praxis der RAF setzen.
Ein Beispiel: eine RZ, die sich auflöste, stellt selbstkritisch das
Fehlen einer notwendigen Vorstellung vom Aufbau einer politischen Struktur
fest und diskutiert das am Beispiel der Front-Konzeption der RAF.
Die Genossinnen und Genossen aus der RAF kennzeichnen die letzten Jahre
als eine aktionistische Phase, die sie jetzt abschließen. Alle Teile
der revolutionären Linken waren davon erfaßt. Aktionistisch,
weil hinter den Aktionen und Vorstößen sowohl die unmittelbaren
wie die langfristigen Ziele des Kampfes verschwammen. Kaum mehr als Zustimmen
oder Ablehnen der Angriffsziele war möglich. Die Politik selbst blieb
unreflektiert. Das wirkt sich für jede Diskussion verheerend aus.
Passivität und Konsumverhalten sind die Folgen. Nicht mal das Feuer
eines erhitzten Streits über Sinn und Unsinn von Aktionen konnte
da aufkommen. Als Kriterium für Aktionen nannte die RAF, daß
die Menschen ihnen emotional folgen können müssen. Das ist nicht
möglich, wenn die eigene Gewalt keinen realen gesellschaftlichen
Sinn vermittelt, sondern nur den auf den Anlaß, das Angriffsobjekt
bezogenen. Das muß sich auf Dauer für die Menschen als Teil
des herrschenden Chaos darstellen und in einer allgemeinen irrationalen
Gefühlslage untergehen. Die menschliche Dimension, auf
die eine Widerstandsaktion die imperialistische Totalität bringt,
daß wir nicht nur auf den Knien zu rutschen brauchen und alles schlucken
müssen, verpufft.
Für
uns entwickelte sich die historische Bedeutung der RAF für eine revolutionäre
Politik in der Metropole daraus, daß hier erstmals eine Gruppe auftrat,
die dem bewaffneten Kampf nicht nur eine taktische Bedeutung beimaß.
Er war strategisch bestimmt aus der Umzingelung und Verstaatlichung der
sozialen und politischen Widersprüche in der Bundesrepublik und eines
Weltsystems, in dem die Metropolen die Zentren von Macht und Reichtum
sind. Die gesellschaftlichen Widersprüche sollten freigesetzt und
eine Autonomie der unterdrückten Menschen in der Metropole erreichen.
Alle mußten sich zu Guerillapolitik ins Verhältnis setzen.Die
RAF zog in die Metropole einen nicht-integrierbaren Pol, der gesellschaftliche
Alternativen jenseits kapitalistischer Demokratie wieder denkbar machte.
Hier geht der Riß quer durch alle Politik: das ist mit der RAF verbunden,
zugleich aber auch wieder verloren gegangen.
Auf das
Mai-Papier, wie früher die Front-Konzeption der RAF genannt
wurde, folgt zehn Jahre später das August-Papier. Die
RAF bezeichnete es in einem Brief an KONKRET als unsere Grundlage,
mit der wir in die dringend notwendige Diskussion um Neubestimmung linker
Politik gehen wollen. Können wir aber auf dieser Grundlage
diskutieren? Über Strategie und Taktik des bewaffneten Kampfes der
RAF erfahren wir fast nichts. Die Genossinnen und Genossen, die heute
in der RAF sind, sagen, daß sie zu den strategischen Bestimmungen
der Front nichts sagen können, weil sie nicht dabei waren, als sie
entwickelt wurden.
Das
ist doch nichts anderes, als die Entwicklung des Kampfes immer dort beginnen
und enden zu lassen, wo jede/jeder selber angefangen hat bzw. gerade steht.
Aber das engt die Sicht auf die politische Situation genauso ein, wie
die Konsequenz aus erkannten Schwächen und Fehlern oft genug gerade
die bloße Negation der früheren Vorgehensweise ist. Es bleibt
nur das Gefühl, für die GenossInnen war die eigene Politik abstrakt,
weswegen es jetzt um das Konkrete geht.
Trotzdem ist die vielleicht für alle unerwartete Situation eingetreten,
daß scheinbar kaum ein Mensch politische Widersprüche zum Entschluß
der RAF hat. Nachvollziehbar ist er auf alle Fälle. Und sei es nur
wegen der Hoffnung auf eine mögliche Lösung für die politischen
Gefangenen. Aber warum wurde er gleich in den Rang einer objektiven Notwendigkeit
gesetzt? Aus der subjektiven Entwicklung, aus der inneren Notwendigkeit,
Raum und Zeit für Reflexion und Neubestimmung zu haben, ist er doch
ausreichend legitimiert.
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