Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 123-131
27.6.1997
(...) Es ist schade, daß wir keine Kommunikation haben, sonst könnte ich noch gezielter auf das eingehen, was für Euch wichtig ist. Das ist sicher auch unterschiedlich. Ich habe hier mit den Frauen z.B. viel über die Ziele und Methoden der YAJK diskutiert, aber auch über den europäischen Feminismus. Das würde ich gerne z.B. an Euch (...) weitergeben und auch Eure Meinung dazu wissen. Ich versuche, ihre Haltung kurz zu skizzieren. Sie sagen, sie organisieren sich selbst, von den Männern unabhängig, wollen mit den Männern außer im Dachverband der Partei keine Berührungspunkte haben. Sie sagen, es geht erst mal darum, eine eigene Frauenwelt, ein Frauenleben zu schaffen. Aus der Herkunft, daß jede Kurdin 24 Stunden einen Mann im Kopf hat - sie wächst so auf, sie selbst ist nichts wert - wollen sie sich völlig frei von diesem Verhältnis entfalten können. Was sie nicht können, solange die Hegemonie des Mannes allein durch seine Anwesenheit jeden Bereich des Alltags, des Lebens dominiert. Abdullah Öcalan unterstützt sie darin. Er fördert die Frauen sehr und fordert sehr viel von ihnen. Vor allem im Kampf. Die Gegenseite stellt es dann so dar, daß die PKK 5.000 Guerillafrauen hätte, die jederzeit zu Selbstmordaktionen bereit wären. Ihnen geht dieser Befreiungsprozeß für die Frauen aus ihrem ganzen Haß und der Lebensverachtung so gegen den Strich. Dabei ist es genau umgekehrt. Jede Genossin hier weiß, was ihr blüht, wenn sie in die Hände des Feindes fällt. Eine Vergewaltigung ist dabei wahrscheinlich noch harmlos. Und so haben die meisten zwei Handgranaten. Eine für den Feind und eine für sich selbst. Ich bewundere den Mut und die Entschlossenheit der Frauen. Meine Handgranate habe ich auch für den Fall, daß ich in solch eine Situation kommen sollte. Ob ich sie allerdings zünden würde? Da bin ich mir nicht so sicher.

Die zweite Linie ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Struktur, also die Beziehungsfrage. Abdullah Öcalan warnt immer die Männer vor dieser Gefährlichkeit. Mich nervt das etwas, weil es die Männer von ihrer Verantwortung leicht enthebt. Aber es trifft schon zu. Als Frau alles daran zu setzen, die Bestätigung so zu kriegen, mittels eines Mannes, obwohl jede im Grunde ihres Herzens weiß, daß es für sie nur ein Unterdrückungsverhältnis werden kann. Es gibt auch eine innere Auseinandersetzung, weil viele Kommandanten, Kriegskommandanten, die Frauen nicht anerkennen. Aber sie können das nicht offen sagen, denn die Parteilinie ist eine andere. Und dann stimmt es natürlich auch, der Prozeß, daß Frauen aktiv am Krieg teilnehmen, ist noch relativ neu und sie haben noch viel zu lernen. Z.B., wenn sie zu einer Aktion gehen, nahe dem Feind nicht reden sollen, aber nicht schweigen können. Auch bei der Frage, was sie sich selbst zutrauen, ist es zum Teil so, daß ihr geringes Selbstvertrauen auch ein derartiges Resultat hervorbringt. Das kennen wir ja auch. Aber hier wird da dran gearbeitet. Die Herangehensweise ist zu sagen, daß die Frau im Krieg ihre eigene Stärke kennenlernt, und so auch Vertrauen in sich selbst gewinnt. Das stimmt auch, zu Anfang war es ein Mechanismus, daß die Frauen im Krieg wie Männer sein wollten, sich die Haare schnitten, die Klamotten entsprechend schnürten etc. Sie dachten, nur mit dieser Kopie des Männlichen überleben zu können. Heute haben sie das hinter sich, sind schon einen Schritt weiter und auch weiter als die Männer - mutiger entschlossener, aktiver.

Gestern habe ich mit einer Freundin gesprochen, die Cengiz (Antifa' Berlin, der wegen der Kaindl Sache gesucht wurde) persönlich kannte. Er ist vor ca. einem Jahr in einem Hinterhalt der TC. in Qocgirî gefallen. Obwohl ich ihn selbst nicht kannte, ging mir das irgendwie nahe. Ich hätte mich auch gerne noch mal mit ihm getroffen, seine Erfahrungen gehört.

Heute ist Bad Kleinen Jahrestag - vier Jahre später. Wie ist diese Zeit vergangen - was habe ich gemacht, die Wunden, die Zusammenbruchszeit, der Umweg, Lateinamerika, meine 1 1/2 Jahre, und jetzt die vier Monate hier. Seit ich weg bin, habe ich mich sehr entwickelt und eigentlich immer am meisten darunter gelitten, daß keine Genossinnen an meiner Seite waren, mit denen es ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Praxis gibt. Emotional habe ich natürlich am meisten unter der Beziehungsgeschichte gelitten. Aber vielleicht war es im nachhinein nötig, um es wirklich mal zu fressen, zu glauben. Es gibt keine Ausnahme in der Mann - Frau - Polarisierung, die aber der Kern ist. Wälzt du deine Persönlichkeit um oder nicht? Es gibt keine Ausnahme außer Abdullah Öcalan. Ich hab schon zwei mal von ihm geträumt, er sagt immer, die Leute sind ihm am nächsten, die der Parteilinie am nächsten sind, bzw. diese weiterentwickeln. Ich möchte nicht mit ihm tauschen müssen.

Heute wäre eine Racheaktion und zugleich Neukonsolidierungsaktion angesagt. Aber es gibt keinen derartigen Prozeß, der plötzlich in Erscheinung treten könnte. Ich schreibe das zu verkürzt, das verschluckt den Inhalt. Manchmal bin ich selbst erstaunt, wie ich eine komplizierte Sache in zwei Sätze packen kann, bzw. packe. Aber unser Leben hier ist anstrengend, und oft bin ich viel zu müde zum Schreiben. Ich schlafe tagsüber auch nicht mehr, weil bei dieser Hitze, bist du danach fix und fertig, und da wir um vier Uhr aufstehen und um 21 Uhr schlafen, unter freiem Himmel, gleißender Sonne, braucht das viel Energie. Ich kann mir kaum mehr vorstellen, wie das ist, in einer geschlossenen Wohnung/Haus zu leben.
Die Liebe ist für mich die Suche nach meinen eigenen Widersprüchen in der anderen, der geliebten Person. Also eine Suche nach mir selbst, nach der Hälfte in mir selbst, die ich mir nicht "zugestehe".

Die Geschichte des Bedrî

Die Hände fesseln, die Augen binden
Sagte der Kommandant
Acht Soldaten, ein Kommandant
Außerdem der Gefangene, sie marschieren
Ein heißer, gelber Sommertag
Eine lange Ebene
Zwei kleine Gipfel, an denen sie
vorbeiziehen
Ein, zwei wohliges Aufseufzen von Bedrî
Seine Knie werden weich. Er fürchtete sich davor, daß sie glaubten, er habe Angst
Und zürnte mit sich
Sie marschierten
Vor Jahren auf der Universität
Hat er einen Film gesehen
Im Beyoglu Kino
Namens: Im Netz der Spinne
Krieg und ein gefangener Soldat, davon erzählte er
Warum er daran dachte?
Außerdem einer nach amerikanischer
Weise
Rasierter verwöhnter Jüngling
Alle glaubten daß der
Gefangene Soldat befreit wird
Nur er allein wußte daß er
Dem Tod entgegen geht
Aus den Augen des
Soldaten war das abzulesen
Später vor einer Wand
An die Wand spritzte Blut
Endete der Film
Bedrî war aus Qoçgirî
Früher kannte er nur den Namen Sivas
Später lernte er den richtigen
Wenig war er in seiner Heimat
herumgekommen
Jetzt war er auf einer anderen Reise
Der Schwur Gottes war Geld nicht wert
Nunmehr wußte er es
Auch die Gebetsrichtung und Moschee sind sehr weit weg
Komm her
Den Rücken an den Felsen
So bleib
Sagte der Kommandant
Wie gesagt macht er es
Sein Magen rutschte in die Knie
Sowohl er als auch die Soldaten setzten sich
Er erinnerte sich an seine Studentenjahre
Erinnerung an die Faulheit der
Prüfung, ein Ereignis
Dann kam ihm in den Sinn
Ein Text aus dem Lexikon
Daß es 5650
Bekannte verschiedene Schmetterlingssorten gibt
Die Lebensdauer eines Schmetterlings
Sieben Tage sieben Nächte
Laut Lexikon
Das heißt, von ihm mit Aufregung umherschweifende
Schmetterlinge von Blume zu Blume zu
Pflanze
Um dem Geschmack der gezählten Tage zu entkommen
Steh auf
Was du zu sagen hast sage
Sagte der Kommandant
Ob das was ich zu sagen hätte
Verstanden worden würde?
Er erinnerte sich an die Schildkröte
Ganz genau 100 Jahre lebte sie, auf
Den Rücken fällt
Nicht noch einmal. D.h. über sie wird gesagt
Sie sei langsam und geduldig. Auferstehung
Und Fall, damit beeilt sie sich nicht
Ohne Aufregung weiß sie den richtigen Weg
Ohne Aufregung marschiert die Schildkröte
Er war weder traurig über die kurze
Lebensdauer
Noch ärgerte er sich über die Schildkröte
Jedem sein eigenes Leben
Jedes Wasser muß seinen eigenen
Weg gehen
Kurz darauf wird ihn das Ende erreichen
20 Jahre ein Abenteuer
Dein letztes Wort sage
10 Schritte dazwischen
"Achtung Fertig"
Sagte der Kommandant
Am meisten war er über sich selbst erstaunt
So sehr Ruhigblut
So sehr mutig

Weil
So sehr glaubhaft
So sehr nah
Den Tod prüfte
Vielleicht umgibt mein Gesicht
Eine tiefe traurige Linie
Ich bin der Schatten eines ängstlichen
Guerillas
Wer weiß
Der Kommandant fragte nach seinem letzten Wunsch
Eben jetzt sei die Reihe an ihm
Mein Gesicht freimachen und
Mein Gesicht in einem Spiegel sehen möchte ich
Die Augen von der Binde befreien
Und haltet seinem Gesicht einen Spiegel hin
Sagte der Kommandant
Kurz darauf nahmen die Soldaten Ziel
Mit zittrigen Händen
Hielten sie vor Bedrîs Gesicht einen Spiegel
Das Gesicht war von Angst umgeben
Am Rand seiner Lippen war aber keine Tiefe traurige Linie
Er war nicht der Schatten eines ängstlichen Guerillas
Erfreute sich und gefiel sich
"Achtung Fertig"
Zielen
Sagte der Kommandant
Mit gebundenen Händen
Ordnete er seine Kleider etwas
Seine Socken kamen ihm in den Sinn
Immer war er verhindert
Heute oder morgen wasche ich sie sagte er sich
Sie waren schmutzig und stanken
Den Genossen, die ihn begraben
Gegenüber schämte er sich
Und zürnte sich
Das Leben
Auf dem Rücken eines weißen Pferdes
In den Augen die Ebene
Vier Hufeisen rennen
Da ist auch der Geschmack des Ankommens
Er betrachtete sein Leben
Bevor er Guerilla wurde
Gab er sein Herz einem Mädchen
Sie hieß Sabahat
Als sie sich trennten, sagte er, daß
Er mit ihr wieder zusammen
Kommen werde, während er die Heimat
Liebt, wir werden uns sehen, wartend
Und weinend. Sahabat sagte nichts
Vielleicht hat sie mein für den
Ausweis bestimmtes Photo immer noch
In ihrer Brieftasche
Sorgfältig gehütet
Vielleicht hat sie mich nicht vergessen
Dieser Möglichkeit sträubte
Sich sein Herz
Aber vielleicht auch ist sie
Verheiratet und Kinder
Auch an
Mein Gesicht erinnert sie sich nicht
Der Mensch liebt so schnell wie er
Vergißt
Führt die Kugel in den Lauf
Sagte der Kommandant
Vor dem Inneren von Bedrîs Augen
Stieg er auf sein weißes Pferd
Leben und vier Hufeisen liefern
Vor seinem einstöckigen Haus
Goß seine Mutter, in der Hand
Einen Gartenschlauch den Efeu
Er sah seine Mutter und vergaß den Tod
Die vier Hufeisen des weißen Pferdes
Stoppten, seine Mutter goß mit dem Schlauch den Efeu
Plötzlich riß der Schlauch aus ihren
Händen, völlig durchnäßt
Lauthals lachend
Eine Weile spielten sie so Mutter und Sohn
„Feuer“
Sagte der Kommandant
Blut spritzte auf den Felsen
Hinter Bedrî
Zwei Jahre, fünf Monate und 20 Tage, nachdem Bedri starb
Erklärte die Partei die Entscheidung
Für ungültig.
Der Kommandant, der
Den Feuerbefehl gegeben hatte, hörte
Es, Bedrî Yolda<, hörte es nicht

9.7.1997
Hallo, liebe FreundInnen, GenossInnen,
viel ist passiert, viel Zeit vergangen. Jetzt sind wir an einem idyllischen Platz am Fluß, wir schwimmen jeden Tag - die "Kader Ausbildung" wird bald beginnen. Ich war mal wieder krank - immer das gleiche, Magendarm. Im Deutschen sagt man doch: etwas nicht verdaut, auf den Magen geschlagen. Fieber hatte ich dieses Mal auch, aber sie haben mir gleich ein paar Spritzen verpaßt - schon geht es mir wieder einigermaßen.
Zwischenzeitlich war ich im Merkez Karagah/Hauptquartier, hab dort Med TV und türkisches Fernsehen gesehen. Außerdem einen Beitrag für den Kurdistan Report geschrieben, schließlich gibt es dort ein Fax. Ich habe verwundete Freunde besucht, lange mit dem Arzt diskutiert. Im Merkez Karagah ist auch eine Gruppe Sindi, die nach ihrer Ausbildung wieder zurückgehen. Sie wollen einen Unabhängigkeitskampf gegen Pakistan führen. Leider kam ich nicht mehr dazu, mit ihnen zu sprechen. Dafür habe ich mit einer Freundin gesprochen, die Pelda und Sîpan im Mai gesehen hat. Sie wollen bald nach Deutschland zurück, d.h. vorher in die Akademie.

Im Merkez Karagah eine verschworene Runde: Die Kommandanten telephonieren via Satellitentelephon mit dem Vorsitzenden. Es ist tiefe Nacht, die Satellitenschüssel riesig und ausklappbar, die Gesichter kaum zu sehen, konzentrierte Anstrengung, so ein Gespräch findet höchstens alle zwei Wochen statt. Wir z.B. sind dafür sechs Stunden im Laufschritt marschiert. Die politische Weitsicht des Vorsitzenden, auch aus so einer Distanz, tut allen gut. Das ist eben auch die Erfahrung in den Tagen, aus der Operation, wenn du weißt, wofür, auch konkreter, nicht nur allgemein gegen die Imperialisten, wird jede noch so große Anstrengung leicht.


10.7.1997
Noch acht Tage zu meinem zweijährigen Jubiläum. Ich würde zu gerne wissen, wo, wie, was Ihr macht. Jetzt muß ich los zum Abendappell.


12.7.1997
Früher war die Einteilung so, daß den ganzen Winter über Unterricht war und im Sommer Praxis, das heißt Aktionen. Eigentlich beschränkte sich bisher das Aktionssortiment auf Gipfel einnehmen, die der Feind besetzt hält oder Kasernen, Polizei/Militärstationen etc. angreifen. Die ganze Logistik wird davon getrennt organisiert. Seit es die Aktion in Kqrqkkale gab, ist das etwas erweitert. Sicher, früher wurden auch auf Brücken Hinterhalte gelegt etc. Das gehörte zum üblichen dazu. Abdullah Öcalan ist manchmal über die Mechanik, mit der hier vorgegangen wird, stocksauer und wütend. So sagte er zum Beispiel zu dieser Operation, um Euch das ein bißchen deutlich zu machen: "Anstatt irgendwelche Gipfel zu stürmen, wo der Feind noch dazu sehr stark ist und dann viele Verluste zu beklagen, hättet ihr vielleicht eher überlegen sollen, wie man einen Sumpf legt”. Auf jeden Fall soll die Einteilung Winter Sommer auch durchbrochen werden. Das heißt sowohl im Sommer Unterricht als auch im Winter Aktionen. Ihr müßt Euch Unterricht nicht wie Schule, Schreiben vorstellen, wenn es nötig sein sollte, auch das, sondern es ist politischer Unterricht, Parteigeschichte, Mann/Frau - Gesichtspunkt, aktuelle Lage etc. Kader - Unterricht nennen sie es. Naja, es gibt hier sowieso das Kaderproblem. Viele wollen keine Verantwortung übernehmen, weil es als einfache Kriegerin bequemer ist. Manche wollen diese Position aber dann, um selber Gewinn daraus zu ziehen. So gibt es wenige dazwischen, manche haben z.B. politische Qualitäten, also können sich artikulieren, die Politik erklären, aber sie sind z.B. körperlich und militärisch schwach. D.h., sie werden in der Guerilla nicht anerkannt. Andere mögen gute KämpferInnen sein, aber können vielleicht weder lesen noch schreiben, geschweige denn das Parteiprogramm sich merken. Das habe ich wirklich noch mal gesehen hier und auch in Lateinamerika schon, wenn du über Generationen die Denkfähigkeit nicht trainierst, dann verkümmert das einfach. Das Gehirn kann die einfachsten Dinge miteinander nicht in Zusammenhang bringen. Das meine ich nicht genetisch, also nicht vererbbar.

Aber zurück, der Unterricht jetzt, diese anderthalb Monate sollen vor allem die jungen Frauen ausbilden. Heute habe ich das erste Mal Sport gegeben, ich mische es mit Spielen, sonst wird es so langweilig. Den Genossinnen gefällt es gut. Manchmal kichern sie, weil Bewegungen ihnen fremd sind, obszön schon fast, Hüftekreisen zum Beispiel.
Ich nehme am allgemeinen Unterricht nicht teil, er ist in Kurdisch. Zwar verstehe ich mittlerweile ein bißchen, aber nicht genug. Dafür lese ich mein erstes türkisches Buch. Ich habe noch gar nicht geschrieben, wie sehr mich die Reklame im Fernseher erschrocken hat, vor allem die Metropolenbilder. Beton, Autos, Lärm. Das erste Mal, daß es mich richtig gegruselt hat bei dem Gedanken, in dieses Leben zurückzukehren. Sicher werde ich gehen, vielleicht schon bald. Ich will das auch von der Diskussion mit Pelda und Sîpan abhängig machen. Aber die Brutalität und Lebensverachtung dort ist mir anhand dieser Bilder richtig deutlich geworden. So hänge ich momentan zwischen den Welten. Natürlich habe ich mich an das Leben hier gewöhnt, irgendwie. Aber trotzdem bin ich außenstehend und das Sprachproblem macht mir zu schaffen. Auch die kurdische Realität. In der Anfangszeit habe ich immer die Seiten gesehen, die sie haben und die uns fehlen. Mittlerweile sehe ich auch viele Seiten, die wir haben und die ihnen fehlen. Manchmal ist es zum Haare ausreißen. In diesen Momenten ist es wichtig, nicht auf die Leute als Person sauer zu werden, sondern zu verstehen, was sie so gemacht hat. Das ist eine gute Übung, vor allem für mich.


14.7.1997
Es ist nicht leicht, mit den Freundinnen Sport zu machen. Teilweise sind die Bewegungen zu kompliziert, aber auch ein gewisses Maß an Selbstdisziplin bringen sie schwer auf. Das habe ich als negative Auswirkungen schon öfter festgestellt. Wenn nicht strenge Ordnung herrscht, sind die Leute selbst kaum aktiv. Das ist sicher eine Auswirkung der Hierarchiestruktur.

Vielleicht seht Ihr meinen Beitrag im Kurdistan Report. Ich denke etwas mehr Lebensbeschreibung würde einem weiteren Beitrag guttun. So ist es doch sehr abstrakt. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, das für euch einzufangen. Unser derzeitiger Ort z.B. ist eine Mischung aus Canyon, Flußufertal und grüner Oase. Es wachsen wilde Weintrauben, Hagebutten, etwas weiter oben wilder Thymian, Oregano, Äpfel, Tut (das ist wie eine Brombeere, Maulbeere!). Jeden Tag machen drei Frauen Brot für alle, das wird mit Mehl, Fertighefe, Salz, Wasser angerührt und auf einem Blech geröstet. Es sind dünne runde Fladen, sehr lecker. Auch das Küchenprinzip funktioniert so, sicher sind die Grundnahrungsmittel etwas spärlich. Linsen, Bohnen, Reis, Fett, Mehl, Zucker, Salz.

Es ist so heiß, daß wir beim Schlafen keine Decke brauchen. Im Winter bauen wir aus Holz mit Nylon richtige Hütten mit Öfen, ich bin ja mal gespannt. Bei einer heutigen Diskussion über die Ziele einer in Deutschland aufzubauenden Organisation kamen wir auch auf die Führungsfrage zu sprechen. Wer kann das sein? Ein Kollektiv sicherlich, eine einzelne Person auf keinen Fall, aber wer? Ich sehe unsere ganzen Unzulänglichkeiten in solchen Momenten gestochen scharf. Die militante Praxis ohne politisch tiefes Verständnis, die "große Politik" ohne Praxis - oder wo sich beides ein bißchen in Waage hält, keine Mechanismen für den inneren Prozeß, vor allem die Mann/Frau Frage. Mangelnde Flexibilität einerseits und spontanistisches, gefühlsgeleitetes, kurzsichtiges Handeln andererseits. Ich weiß, daß ich diese Fehler auch habe. Die Mängel, den Prozeß nicht richtig öffnen, d.h. führen zu können, auch wenn ich das richtige Gespür fürs Falsche habe.
Aber die So-Nicht-Haltung reicht noch lange nicht. Ich muß Geduld lernen. Sie nicht zu haben, ist eigentlich nur ein Ausdruck davon, einer Lösung und dem richtigen Weg dahin nicht zu vertrauen. Also, ich übe mich in Geduld. Wir diskutieren Parallelen zwischen der türkischen und deutschen Linken.


18.7.1997
Ich entdecke viele graue Haare auf meinem Kopf, juhu! Heute mal wieder Brot gemacht, dementsprechend müde bin ich. Manchmal, wenn ich zur Küche gehe, Brot und Essen hole, knabbere ich an den warmen Fladen und denke an einen Gang zum Bäcker, wo ich dann auch immer auf dem Weg gegessen habe. Diese Welt fehlt mir und doch fehlt sie mir auch wieder nicht.

19.7.1997
Gestern, welche Überraschung, fragten meine deutschen GenossInnen per Funk an, ob ich hier sei. Sie wollen kommen. Alles verschlüsselt, ich war gerade Görevli, also nicht da, aber ich konnte es fast nicht glauben, als ich zurückkam. So hören meine zwei Jahre auf, wie schön! Es wurden zwar keine Namen gesagt, aber ich gehe davon aus, daß es Pelda und Sîpan sind. Rasende Freude. Rasende Gedanken, wie alles erklären, wo anfangen. Die bevorstehende Begegnung beschäftigt mich. Vorfreude, wie mich vorbereiten, alles möchte ich erfahren von ihnen, alle Erlebnisse, Bewertungen, Zukunftspläne, alles erzählen können, die anderthalb Jahre, die Zeit hier. Ich fürchte mich davor, zu sehr zu explodieren, wo ich solange mit niemandem sprechen konnte. Aber auch generell, meinen Schwächen, meinen Gefühlen zu erliegen. Wie eine Welle schwappen sie über mich und reißen mich mit sich, weit fort, wie ein Blatt treibe ich dahin. Dieses Ausgeliefertsein macht mich ganz krank. Dann gibt es so kleine einfache Momente, wo ich durch und durch glücklich bin - frei - ich. So wie gerade. Wir sind auf einen Gipfel zwecks Funkverbindung, hoch oben im urigen Stein. Ein frischer Wind liebkost mich, vor uns die Berge. Freie Sicht. Es ist Mittag, knallheiß. Die Grillen zirpen. Wir trinken Tee und essen trockenes hartes Brot. Aber es ist verdammt schön, alles lebt und doch hast du in diesem Kurdistan immer das Gefühl, hier wurde Menschheitsgeschichte gemacht, wurde ja auch.

Heute, 20. Juli, ich weiß, daß Ihr heute alle an mich denkt, der erste ZeugInnentermin '95. Zu gerne würde ich wissen, wie Ihr die ganze Zeit seht, auch für jeden selbst.
Auch der "öffentliche" Streit mit mir macht mir nichts mehr aus. Ich verstehe das politisch. Wer heute etwas neues schaffen will, muß sich, ähnlich wie in den 70ern, natürlich ohne die Fehler von damals zu wiederholen, natürlich ist heute die Lage anders, aber diese Parallele bleibt, muß sich auch gegen diese mechanische Linke durchsetzen. Ohne das Volk zu verscheuchen, im Gegenteil, die Menschen gewinnen.

Pause: Mein Türkisch macht komische deutsche Sätze, nicht wahr? Eine Freundin meinte, daß Pelda und Sîpan vor allem deswegen mit mir sprechen wollen, wegen einer Einschätzung ihrer Rückkehr. Das hat mich gleich wieder getroffen, verunsichert, obwohl es ja eigentlich logisch ist. Die Tage werden sie kommen. Die Einschätzung gehört einfach mit dazu, jetzt, neben erzählen, austauschen, Zukünftiges anpeilen. Von unserer Unterrichtseinheit in der Akademie sind schon zwei gefallen, drei geflüchtet, zwei verletzt und einer im Iran im Knast. Wenn man sich vorstellt, das der Genosse z.B. gestorben ist, weil er auf eine Mine getreten ist und niemand zu ihm gegangen ist, um das verlorene Bein abzubinden und den Blutverlust zu stoppen, kriegt man das Grausen. Das sind so Seiten an den KurdInnen, die ich einfach nicht verstehe. Zwar haben sie noch eine halbe Stunde vor seinem Tod über Funk mit ihm gesprochen, und er sagte, es ginge ihm gut, aber bei der Erfahrung, die es hier mit Kriegsverlusten gibt - unverständlich.


22.7.1997
Heute bin ich genau sechs Monate bei der PKK. Wir haben eine junge Freundin ins Krankenhaus gebracht, eine Höhle am Fluß. Malariaverdacht! Ein Gebietskommandant liegt dort seit drei Tagen im Koma. Glatter Kopfdurchschuß.


23.7.1997
In den Morgenstunden ist er gestorben, das hat eine besondere Brutalität, wenn du daneben stehst und nichts machen kannst. Das erinnert mich an Cuca, wo noch dazu die ganze Technik und Apparatur in Anschlag gebracht wurde, aber umsonst.


24.7.1997
Ich warte auf Pelda und Sîpan, gleichzeitig warte ich nicht. Weil die YAJK eine Unterrichtsphase von anderthalb Monaten eröffnet hat, wo die Frauen in jeder Hinsicht geschult werden. Ich gebe nicht nur den Sport, sondern auch das Schwimmen und dann noch Selbstverteidigung, also volles Programm. Es wurden schon Stimmen laut, wie die YAJK mitten im Krieg eine Ausbildung aufmacht, aber ich sehe das nicht so eng. Sie müssen auch anfangen, sich ein Leben zu organisieren, das nach dem "Krieg" kommt, also es geht nicht nur um zerstören, sondern auch aufbauen lernen.

Die KDP hat nach dem Rückzug der TC einen Waffenstillstand angekündigt, aber Abdullah Öcalan hat gesagt, ein Waffenstillstand reicht dieses Mal nicht. Schon zu oft wurde einer beschlossen, nur um ihn dann wieder zu brechen. Es geht um eine ganze Lösung, das wäre schon ein enormer Schritt und vor allem wären dann die Wege wieder frei, sowohl für Nachkommende als auch für die Logistik. Insgesamt wäre das ein Schritt, bei dem die KurdInnen anfangen könnten zu lernen, was es heißt, einen eigenen Staat aufzubauen, wenn auch nur im Kleinen. Zwar macht die Partei jetzt schon viele Anstrengungen, aber es gibt gleichzeitig keinen festen Platz, keinen festen Rahmen, in dem sich das ausdrücken könnte. Die Guerilla ist immer beweglich, alles provisorisch und sie können sozial die ihnen dringend nötigen Schritte nicht machen. Wirklich bis in den kleinsten Lebensbereich hinein spürst du, daß sie ihrer Kultur beraubt wurden und an deren Stelle eine Art unverwurzelte Pflanze getreten ist, die von überall etwas aufnimmt, meistens das Negative. Langsam fange ich an, hinter die oberflächliche Kulisse von Gastfreundschaft und einigen festgelegten Umgangsformen zu schauen. Das läßt sich schwer verstehen, wenn man es selbst nicht gesehen hat. Da wird mir die Dimension erst bewußt, was Abdullah Öcalan geschaffen hat und als Ziel anpeilt. Dagegen ist eine Revolution in Deutschland wirklich "einfach".


27.7.1997
Pelda und Sîpan sind noch nicht gekommen. Wir werden voraussichtlich bis Ende August hierbleiben. Manchmal sehne ich mich nach Europa, nach hygienischen Bedingungen dort. Und die Individualität. Lerne ich: Geduld? Ich denke viel über meinen "Führungsstil" nach. Vielleicht bin ich doch nicht dafür geeignet. Im Sport, wenn ich nicht weiterkomme z.B., wird es deutlich. Ich muß das anerkennen und systematisieren, was sind die Probleme, was die Lösungen, anstatt über das Nichtfunktionieren enttäuscht und wütend zu sein. Manchmal sind es auch tiefliegende, ganz andere Gründe, Gefühle, die sich dann an unpassenden Momenten einfach entladen. Ich hatte z.B. einen Traum über meine Schmerzen in Europa, wachte auf, unklare Erinnerungen, fühlte mich schlecht und schwach und gereizt, bei der kleinsten Kleinigkeit gleich losgeschrien. Leute damit verschreckt. Ich weiß, meine Verantwortung auch im Sinne der PKK ist, das in den Griff zu kriegen, bei mir selbst zu landen. Aber welche lang andauernde Anstrengung. Dachte ich vielleicht, das mit einem mal zu ändern? Das Wissen über den "langandauernden" Volkskrieg abgeheftet. Dabei ist meine grundlegende Struktur, also die Probleme, vor denen ich immer wieder stehe, die gleich grundlegende Struktur? Eigentlich nicht. Eigentlich fehlt mir nur die richtige Methode, um nicht immer wieder an den Punkt des Scheiterns, des "Es gelingt nicht, ich kann es nicht" zu kommen. Niederlagenpersönlichkeit. Was ist der Weg für mich? Abdullah Öcalan: Geduld.

Aber das Denken, sich neu zu programmieren, den kranken Baum bis auf die Wurzeln schneiden, damit er neue Blüten treibt, als hätte ich mich immer wieder selbst verloren, nicht dran geblieben, sagen wir. Aber es fehlt mir auch die Gelassenheit, daß es nichts macht, wenn es sich zu wiederholen scheint. Denn wenn ich in Bewegung bleibe, das ist das Wichtige, und der Prozeß läuft eben nicht auf Knopfdruck, sondern es taucht alles Alte immer wieder auf, bis es mal wirklich weg ist. Oder auch einen anderen Umgang damit gefunden, was ja auch schon Veränderung ist.


28.7.1997
Ich vergaß ganz, Euch zu erzählen, daß die türkischen Soldaten, als sie während der Operation an den Zap gekommen sind, an große Steine gesprüht haben: "Wir kamen, wir werden wiederkommen" oder "TC. TC. TC". Überhaupt haben sie überall ihre Spuren hinterlassen. Tausend leere Thunfischdosen, Snack-papiere oder Fertigsäfte. Du merkst, sie kennen sich hier nicht aus, ihre Ausrüstung ist wie Proviant für einen Ausflug, einen ein - bis zweitägigen. Es ist verrückt, wir sammeln ihren Müll ein und trinken z.B. aus diesen kleine Tetrapack-Saftpackungen. Mit dieser Fertig-Food-Welt schwappt die ganze Erinnerung an 1000 verschiedene Produkte, Werbung, Konsum auf mich über. Etwas, was es für uns hier nicht gibt, d.h. keine Rolle spielt. Unser Essen besteht aus Mehl, Reis, Brot, natürlich Bohnen, Linsen und Tee. Zur Zeit trinken wir Ziegenmilch, weil Genossinnen eine Aktion gemacht haben, bei der sie 200 Ziegen vom Feind ergatterten. Fein! Ich wünschte mir, Tom könnte hier sein, das alles sehen und erleben, wir hätten bestimmt viel Freude zusammen. Das Denken an ihn ist immer noch schmerzhaft, aber es bringt mich nicht mehr um. Hier lerne ich auch einen anderen Umgang mit dem Tod. Auch wenn ich die kurdische Leichtfertigkeit nicht gut heiße. Es ist eine Alles-Egal-Haltung, bzw. gar nicht in der Lage zu sein, Konsequenzen abzusehen. Hier ist der Tod allgegenwärtig. Das heißt, ich bin damit nicht allein. Als Beispiel: Ein verletzter Genosse, der einen Fuß verloren hat, ist in dem Fluß, der am Krankenhaus vorbeigeht, geschwommen, eigentlich wollte er nur auf die andere Seite, damit hätte er 20 m Fußweg gespart. Es gibt eine Art Seilbahn, mit der du über den Fluß setzt, dann hat er in dem Strom nicht schnell genug schwimmen können, ist abgetrieben und in einem Strudelgebiet ertrunken. Das wäre ja eigentlich absehbar gewesen. So meine ich Leichtfertigkeit.

Die Frauenarmee der YAJK/PJKK

Heval Ronahî war Mitglied der YAJK, Yektîya Azadîya Jinen Kurdistanê, der Frauenarmee des Freien Frauenverbandes Kurdistans. Die Frauenarmee wurde auf dem ersten Frauenkongreß der PKK am 8. März 1995 gegründet und ging aus der TAJK hervor, der Freien Frauenbewegung Kurdistans.
In der Frauenarmee kämpfen Frauen aus allen fünf Teilen Kurdistans, kurdische Frauen aus der Diaspora, aus Europa, den USA, Kanada, Australien, der GUS und arabischen Ländern. Außerdem beteiligen sich hunderte Internatio-nalistinnen aus allen Teilen der Welt. Durch diese Vielfalt hat die YAJK ein reiches Spektrum an Erfahrungen aus den internationalen Frau-enbefreiungs-kämpfen erlangt. Die YAJK begreift sich als Teil der weltweiten Frau-enbefreiungs-kämpfe.

Im kurdischen Befreiungskampf hat die Befreiung der Frau eine zentrale Rolle. Ziel der YAJK ist es, daß die Frauen die Avantgarde im Befreiungskampf übernehmen, daß sie die Macht erlangen, die Richtung dafür zu bestimmen, wie die freie Gesellschaft geformt wird, für die sie kämpfen. Die YAJK hat sich in den letzten Jahren von den männlichen Genossen unabhängige Strukturen geschaffen, die jeder einzelnen Frau die besten Entwicklungs-chancen ermöglichen sollen.
1999 wurde auf dem 2. Frauenkongreß und dem 6. Parteikongreß beschlossen, zur Partei zu werden. Die PJKK, Partîya Jinen Karkeren Kurdistanê, Partei der werktätigen Frauen Kurdistans wurde gegründet, die an der Seite der PKK die Frauenkräfte vertritt.

1.8.1997
Mal wieder ein Versorgungsengpass.
Wir haben keinen Zucker mehr, bald gehen auch Tee und Salz aus.


10.8.1997
Noch immer sind Pelda und Sîpan nicht gekommen. Noch immer gebe ich Unterricht, noch immer bin ich krank, d.h. ich habe permanent Durchfall seit anderthalb Monaten. Entsprechend dünn und kraftlos fühle ich mich. Wir sind als YAJK-Merkez-Karagah zur Zeit an einem festen Ort, so daß ich für diese Dinge etwas Raum habe. Ich versuche es auf die chinesische: Reiskur.

Mein Tagesablauf sieht momentan so aus, daß ich um 3 Uhr aufstehe, eine Stunde Nachtwache halte, dann zum Appell gehe, dann eine Stunde Sport gebe, danach einen Bericht an Abdullah Öcalan schreibe, mittags Schwimmunterricht gebe, selbst schwimme, einigen Freundinnen lesen und schreiben beibringe, wir Tekmil machen (in jeder Manga jeden Abend Auswertung des Tages, Kritiken, Selbstkritiken, Vorschläge etc.). Das geht dann weiter an die Takimkommandanten und dann zur Leitung. Abendessen, ich gebe einigen Freundinnen Basisgymnastik (Frau Schmidt, Gott hab sie selig), den jungen Frauen eine Stunde Selbstverteidigung, Abendappell, um 21 Uhr falle ich um. Diese Anstrengungen haben für mich eine Situation geschaffen, die mal wieder in einem totalen Wutausbruch geendet hat. Meine Schizophrenie, dieses Wesen, das der Imperialismus in mir gezüchtet hat, ich begreife es so, daß ich unter den Lebensbedingungen im imperialistischen System niemanden und nichts anderes hatte als alles in mich reinzufressen und dann irgendwann zu platzen. DAS ist das System in mir. Es ist sichtbar geworden und wir diskutieren viel darüber. All das Leid in meiner "persönlichen" Biographie, die keine persönliche ist, weil sie systematisiert ist, mit niemanden teilen konnte. Wie weit weg von einem menschlichen Wesen - Leben von mir - ENTFREMDUNG. (...)

Aber in der politischen Dimension ist es natürlich der Punkt, daß der Prozeß für die Subjekte da drin eine Veränderung nicht ermöglicht hat, eine Befreiung von diesem "imperialistischen Wesen", das in jeder, jedem von uns steckt, nicht gewährleisten konnte. Sicher sind die Ausformungen dieses fremden Etwas bei jedem anders, die gelernten Strategien, Probleme zu behandeln oder wie verhält man sich, wenn man nicht weiter kommt. Die einen cholerisch, die einen autoritär, die einen geben völlig die Eigenverantwortung ab, lehnen sich nur an, werden passiv. Die anderen denken, alles an sich reißen und alleine lösen zu müssen. Es rückt sich für mich immer wieder ins richtige Lot. Eigene Person, Prozeß, Praxis - PPP - PKK. Die Freundinnen sagen mir, wenn du hier weiterkommst, die Schwierigkeiten in unserem Prozeß überwinden kannst, kannst du es überall, gestählt für die Aufgaben, die vor mir liegen. Ja, Ihr lieben, mal sehen, was das noch wird.

Ich beende jetzt diesen ersten Abschnitt auch des Schreibens. Zufälligerweise hat sich eine Möglichkeit des Transports aufgetan, d.h. nach Europa wird jemand gehen. Ich trenne mich schwer von diesen 42 Seiten, sie sind wie eine Verbindung zu Euch. Auch wenn ich immer noch nichts von Euch gehört habe, wenn die Erinnerungen zu verschwimmen beginnen, natürlich bestehen "Bande" fort. Verbindungen wohin, wer, wie, wird sich zeigen.

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machwerk, frankfurt (2000)