Tagebuch
aus Kurdistan
April - August 1997
21.04.1997
Ich schreibe einen neuen "Bericht", zweiter Abschnitt: Berge.
Es ist schon soviel passiert, daß es einfach schade ist, daß
ich es nicht gleich aufgeschrieben habe. Jetzt ist der Rückblick
begradigend. Wir sind fast drei Wochen unterwegs. Gerade ist Abenddämmerung,
Bilder aus Europa, von Euch ziehen an mir vorbei. Was ihr alle wohl macht?
Wie es Euch geht? So lehrreich, interessant und schön es hier ist
- bis auf ein paar Luftangriffe habe ich noch keine Kriegssituation erlebt
- ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Euch - mit allen. Momentan bin
ich im Asker Eitim, militärisches Training, weit ab vom Hauptquartier,
das ständig bombardiert wird. Sie wissen auch vom Funk, wann neue
Gruppen kommen, dann fliegen sie erst recht. Obwohl dies hier irakisches
Territorium ist, werden die türkischen und israelischen Kampfflieger
hier aktiv (F16 u.a.). Wir sind ca. 20 Frauen und doppelt so viele Männer.
Alles organisieren wir getrennt. Schlaf, Essen, etc., obwohl es eine gemeinsame
Logistik gibt. Das ist sehr angenehm. Im Unterricht (7.30-11 und 13-16
Uhr) lernen wir Waffen kennen, putzen schießen, strategisches Vorgehen
etc. Wir stehen um 4.30 Uhr auf, machen um 5 Uhr eine Stunde Sport, Frühstücken,
waschen uns ein bißchen und dann geht's los. Wasser wird langsam
zum Problem, es ist so heiß, daß die Bäche austrocknen,
dabei ist es Frühling.
Ich werde
nach der Ausbildung in die YAJK-Zentrale gehen und dann mit Ihnen weiter
schauen. Jetzt bin ich also PKK-Guerilla. Ich fühle mich eigentlich
noch ganz normal, die Kleidung ist etwas ungewohnt, vor allem wenn du
aufs Klo gehst, mußt du den 10 Meter langen Schutik öffnen.
Den hast du unterm Patronengurt, damit die Magazine und alles nicht so
in die Haut schneiden. Nach dem Unterricht machen wir eine 1/2 Stunde
Tekmil, das ist eine kurze Auswertung des Tages, Kritiken, Gedanken. Jede
Versammlung innerhalb der PKK hat einen geregelten Ablauf. Es wird eine
Versammlungsleitung gewählt, die das Wort erteilt, durch die Sitzung
führt und sie beendet. Die Beiträge sind frei, das eigene Denken,
niemand will dich überzeugen. Sicher, wenn jemand etwas ganz anders
sieht, wird sie/er das auch sagen, aber es ist insgesamt eine sehr angenehme
Atmosphäre. So meine lieben GenossInnen, soviel für heute.
24.04.1997
Gestern
kam ich beim besten Willen nicht zum Schreiben. Der Unterricht dauerte
so lange, dann noch im reißenden Fluß Haare und Wäsche
waschen, schon ist der Tag vorbei. Es wird gesagt, daß die Leute
in den Bergen leicht versimpeln. Das kann ich gut nachvollziehen. Essen,
schlafen, Holz holen, Wäsche waschen, nähen, Waffe säubern
- das war's dann schon so ungefähr. Aber eigentlich wollte ich ja
von Anfang an erzählen. Wir sind aus der Schule raus über die
Grenze zu Fuß gegangen. Vorher sind wir noch eine Stelle angelaufen,
wo wir Guerillaklamotten und Waffen bekommen haben. Dort haben wir auch
zwei Nächte übernachtet. Der Marsch war gewaltig, 10 Stunden,
die ganze Nacht im Dunkeln nur marschieren, marschieren. Es kostet auch
mehr Anstrengung als militärische Formation zu gehen, als wenn du
alleine gehst. Du mußt mal viel langsamer gehen und mal viel schneller.
Angekommen sind wir dann bei einer Felsspalte, wo ich mich, wie ich war,
in den Dreck gehauen habe. Alles egal, Hauptsache schlafen. Ich bin auch
das erste Mal während des Marschierens eingeschlafen. Man geht in
Mangas, 6 bis 7 Leute, Takims gleich zwei Mangas, und Bölüks
gleich zwei Takims. Du hast dafür zu sorgen, daß du Vorder-
und Hinterfrau nicht verlierst, aber auch wenn die vorne stehen bleibt,
du nicht drauf rumpelst. Falls was ist, wird es von Genossin zu Genossin
weitergesagt. Die Kommandanten haben auch Funk, aber es ist eigentlich
nur für Fälle, wo es nicht anders geht, gedacht. Da der Feind
natürlich mithört, wird verschlüsselt geredet. Inwieweit
das klappt, kann ich nicht beurteilen. Der Weg war zwar ziemlich uneben,
aber nur ab und zu steil. Als ich aufwachte, vor Kälte, es war noch
kein Frühling, waren auch Journalisten da, die eine Reportage machen
wollten. Sie haben mich gleich überfallartig interviewt. Wir haben
den ganzen Tag dort verbracht, mit Tee trinken, schlafen essen, waschen,
etc. Es ist alles ja auch extrem zeitaufwendig. Erstens mußt du
als Frau ganz weit von den Männern weggehen, obwohl die eigentlich
diejenigen sind, die ein Problem damit haben, sie kommen sofort in das
alte Objektverhältnis rein, müssen wir das ausbaden. Selbst
sich in Gegenwart eines Mannes die Haare zu kämmen, ist nicht drin.
Szenenwechsel:
Gerade sind wir auf einem Manöver, mit Gepäck in Deckung. Am
Vormittag gingen wir, das Wasser achselhoch, durch den Fluß, dann
am Boden robben.
Wir sind in Stellung, ich habe Tee gekocht, die anderen reden kurdisch.
Für mich ist es ein neuer Anfang, wieder verstehe ich kein Wort,
wo ich gerade so weit war, das Türkische gut zu verstehen. Ich weiß
gar nicht, ob ich gleich versuchen soll, das auch noch zu lernen oder
ob es dann das Türkische verdrängt. Es ist schon so, die Parteisprache
ist Türkisch, die der Guerilla, der Praxis, Kurdisch.
Zurück
zu unserem Weg. Als wir gegen Mittag die Felsspalte verlassen wollten
und den nahegelegenen Fluß überquerten, wurde die erste Gruppe
von der KDP angegriffen, und zwar, als sie schon auf der anderen Seite,
also von uns abgeschnitten war. Es gab am Ufer auf der anderen Seite sogar
noch ein Gespräch mit der KDP. Als dann Verstärkung kam und
unsere Gruppe beim Gespräch sozusagen von zwei Seiten angegriffen
wurde, der Teil der Gruppe die nicht beim Gespräch war, war auf einem
Hügel, konnte das zwar alles sehen, aber nichts machen, weil die
eigenen Leute in der Schußlinie waren. Die KDP hatte dann trotzdem
zwei Verluste, von uns war nur ein Genosse vermißt. Er tauchte zwei
Tage später wieder auf. Wir, die anderen Gruppen, bezogen Schutz
in der Felsspalte und, wie kann es anders sein in solchen Momenten, es
fing fürchterlich an zu regnen, kalt war es und am Himmel die Raketen
und die Schüsse. Als es richtig dunkel wurde, war es zu Ende. Um
5 Uhr morgens brachen wir auf, um den Platz zu wechseln. In einem Bachtal
wärmten wir uns, kochten Tee, wuschen die Gesichter. Der Tag war
warm, wir schliefen etwas, schließlich schlachteten wir noch Schafe.
Das war ein leckeres Essen, obwohl die Hälfte daraufhin kotzte und
die anderen Durchfall bekam. Gerade als wir aufbrechen wollten, fing es
an zu schneien. Es war schon eine Art Härteprüfung. Alles neue,
unerfahrene und unausgerüstete Leute in einer Falle, wo nicht klar
war, ob die KDP nicht den Fluß überwacht. Kein Essen mehr und
dann noch Schnee. Die letzten zwei Nächte nicht oder kaum geschlafen
usw. In dieser Situation hat die Struktur unserer Manga zu nerven angefangen.
Es war dann noch zusätzlich eine Art psychologischer Krieg. (...)
Unser Marsch
dauert insgesamt neun Tage. Von dieser Manga bin ich zwischenzeitlich
ziemlich genervt. Wir schaffen es tatsächlich, in kleinen Gruppen
mit mickrigen Schlauchbooten den Fluß zu überqueren. Die KDP
läßt sich nicht mehr blicken. Ich stehe den ganzen Nachmittag
am Ufer. Vielleicht auf Grund meiner Körpergröße denkt
der Kommandant, ich sei ein Mann. Zusammen mit noch einer Großgewachsenen
gehen wir in die letzte Überfahrt. Alles ist dunkel, der Fluß
ist reißend und gefährlich. Schon viele GenossInnen hat er
verschluckt. Als wir das Steilufer hochkommen, geht's gleich los zu unserem
Gewaltmarsch. Durch kniehohe Schlammwege, im strömenden Regen und
höchster Dunkelheit torkeln wir dahin. Eine Gruppe alter Guerillas
begleitet und führt uns. Mir scheint das manchmal wie Mondlandschaften,
verschlammt und trostlos. Am Horizont die Berge, der Mond, unser Lichtblick.
Um 5 Uhr morgens kommen wir an einem Stützpunkt an. Die Gruppe, die
durch die KDP getrennt wurde, ist schon dort. Die Empfangsgeste: Sie holen
Wasser für uns. Wir erholen uns den Tag über, die Frauen sind
in einer Höhle. Als um 19 Uhr der Abmarschbefehl kommt, sind alle
mehr am Ende als sonst was. Die Journalisten streiken, also bleiben wir
die Nacht über. Am Tag verteilen wir uns wegen etwaiger Luftangriffe.
Wir marschieren bei Sonnenuntergang los. Die Wege sind besser, aber wieder
liegen acht Stunden vor uns. Für die Journalisten sind Pferde organisiert.
Manchmal kommen wir an Dörfern vorbei, wo die Hirtenfamilien uns
nachstarren. Immerhin sind wir über 100 Leute, die meisten bewaffnet.
Wir gehen in unterschiedlicher Weise, je nach Gefahrenlage, mal 2-2 mit
5 Metern Abstand, mal Manga-Manga, mal tek-tek, einzeln. Als wir die Seitenstraßen
überqueren wollen, müssen wir uns zurückziehen, Autos stehen
am Weg. Wir warten in einer "Neubausiedlung, d.h. Ein-Zimmer-Häuser,
dann rennen wir bei den Lücken. Wieder morgens um 5 Uhr kommen wir
bei einem weiteren Stützpunkt an, einer Höhle. Hinten lagert
der Kommandant, ein Parlamentarier, die Journalisten. Drei Stunden auf
nacktem Stein, wir wärmen uns aneinander und am Feuer. Dann ein schneller
Aufstieg. Ich schere das erste Mal aus, renne mit den Männern mit,
ein Genuß. Auf dem Gipfel, einem Steinplateau, Tee trinken bei herrlichster
Aussicht.
Szenenwechsel:
Wieder zurück zu unserer Militärausbildung. Es ist halb 8 Uhr
morgens. Ich liege auf einer Wiese, noch ist nicht alles verbrannt und
braun, sondern grün, frisch. Das erste Mal, seit ich im Land bin,
serbest, frei, kein Programm. Wir sind gestern fünf Stunden marschiert,
anstatt zu schlafen. Die Ausbildung dauert, soweit ich gehört habe,
15 Tage. Gestern sind wir schon an einen Härtegrad herangekommen.
Man munkelt, daß eine Operation der türkischen Armee bevorsteht.
Hoffentlich nicht, daß wäre mir gerade eine Nummer zu viel.
Physisch baute ich in der Schule schon ziemlich ab. Das jetzt alles wieder
drauf zu kriegen, ist unter den gegebenen Umständen fast unmöglich.
Psychisch bin ich o.k.. Auch, wenn ich mich manchmal sehr einsam fühle.
Aber das habe ich ja vorher gewußt. Ich versuche die Zähne
zusammenzubeißen bei den schwierigen Situationen. Ich merke auch,
die Haltung aus der Zeit vorher, durchhalten. Ich komme schwer aus ihr
heraus. Obwohl ich jetzt ja angekommen bin. So gehe ich hier mit einer
feindlichen Grundstimmung herum, die unnötig ist. Der
momentan noch einzige Feind ist die Natur.
Zurück
zu unserem Anmarsch. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, in den
Tagesanbruch hinein, rechts und links schneebedeckte Berge und Gipfel
aus Fels. Du gehst ins grüne Tal hinunter, verschiedenste Blumen
und Kräuter, klare Bäche, manchmal sieht es aus wie in der Schweiz.
Manchmal wie ein Canyon. Dort ruhen wir uns aus und werden mit Autos zum
Stützpunkt gefahren, wo wir den Nachmittag verbringen. Der Frauenteil
ist immer so weit abgelegen, daß du dich wenigstens ein bißchen
Waschen kannst. ... Sie haben auch ein Loch als Klo gebuddelt und es gibt
einen Eimer mit Wasser. Da ist es gut, daß es an jedem Stützpunkt
einen Bach oder wenigstens eine Quelle gibt.
Auch hier werden wir wieder mit Essen und Wasser begrüßt. Die
Füße sind geschwollen, aufgeplatzt.
Zurück
zu unserem Asker-Eitim. Wir leeren die Rucksäcke. Schweren
Herzens trenne ich mich von dem Handtuch, daß mir eine Freundin
schenkte. Auch die Steine müssen dran glauben. Bei Vollmond in fließendes
Wasser geworfen letzte Nacht. Soll die Verbundenheit aufrechterhalten,
aber falsche Abhängigkeiten reinwaschen. (...) Im Moment ist alles
unsicher, es kann sein, daß es bald eine Operation gibt und wer
das überlebt, ist ja noch nicht ausgemacht. Deshalb werden wir unseren
Platz wechseln und müssen flexibel sein. Wo ich das hier sehe, ist
es wahnsinnig zu denken, wir könnten schriftlich Kontakt halten.
Ich habe auch bisher zwei Briefe, kurze und einen längeren Ausschnitt
aus meinem für euch angelegten Buch geschickt. Ich weiß weder,
ob euch das alles erreicht hat, noch ob ihr schon mal was geschrieben
habt bzw. wenn ja, wo es hängt. Da ich erstmal in die YAJK-Zentrale
gehen werde, ist es fast noch einfach, daß ich Post bekomme. Ich
warte schon sehr. Ich verstehe auch nicht, daß in diesen 1 1/2 Jahren,
wo ich in der Schule war, mich nichts erreicht hat. Nayse (schon gut)
26.4.1997
Der Unterricht ist nach einer Woche überraschend abgebrochen worden.
Ein Großteil der Gruppe ist nach Zagros in den Krieg mit der KDP,
der durch die Türkei entfacht wurde. Wir, ein kleiner Teil, sind
in die YAJK-Zentrale. Alles ist in Aufregung, alles wird neu geordnet,
alle werden neu eingeteilt.
Der Frühling schlägt schon gnadenlos zu - mein Gesicht ist schon
völlig verbrannt, mein Körper von unzähligen mückenartigen
Fliegen zerstochen. Wir sind eigentlich Tag und Nacht im Freien. Der Name
das wilde Kurdistan trifft für die Landschaft wirklich
zu. Felsige Hügel, grüne Oasen, Kräuter, schneeige Gipfel,
Stein. Ich sammle Kräuter, wilde Pfefferminze, Thymian, Salbei.
Unsere
Reise geht weiter: Als am Nachmittag der Aufbruchbefehl kommt, stöhnen
alle. Die gewaschenen Klamotten packen wir naß in die Taschen, die
nassen Haare werden schnell zusammengebunden. Das Lager wurde vor einem
halben Jahr ernsthaft bei einem Bombardement getroffen. Du siehst überall
Krater und Trichter der Bomben. Wir marschieren eine Stunde bis an den
Rand des Lagers, dann werden 2/3 von uns auf Traktoren verfrachtet. Wir
müssen auf unseren noch warten und gehen bis zum nächsten Dorf.
Dort besuchen wir - ich bin in einer Gruppe mit dem Kommandanten - eine
Familie. Alles ist schlicht, einfach und sauber. Weil es draußen
kalt ist, heizen wir volle Pulle. Wir fallen vor Müdigkeit fast um.
Die Familie ist sehr nett und herzlich. Sie bringen uns zu essen. Natürlich
bleibt die Frau im Hintergrund. Nur der alte Familienopa ißt mit
uns. Sein Sohn bedient uns. Der Alte meint, Almanci sei ein kurdischer
Dialekt und er kann sich nicht vorstellen, daß es die Sprache eines
weit entfernten Landes ist. Unser Kommandant versteht es gut mit ihm zu
diskutieren, auch in der Talabani-Barzani-Frage. Er ist in den Bergen
groß geworden. Ich liebe diese Menschen in ihrer Einfachheit und
Gewandtheit. Gegen ihn bin ich in den Bergen ein Elefant. Später
erfahre ich, daß auch er an der Tasfiye-Praxis teilnahm, d.h., er
hat als Kommandant auch unliebsame oder gegen die Regel verstoßende
Leute verurteilt, bzw. vernichtet. Außerdem soll er eine Art "Piratenpraxis"
gehabt haben: Wir machen jeden Tag eine Aktion, dafür können
wir für den Rest des Tages die Sau rauslassen. Hier ist nichts widerspruchsfrei.
Nach unserem
Dorfbesuch besteigen wir die Traktoren. Es ist eine abenteuerliche Fahrt.
Manchmal durchqueren wir zwei Meter tiefe Pfützen, manchmal müssen
wir aussteigen, der Allradantrieb versagt. Wir machen in einem Dorf Station,
in dem wir in eine Schule gehen. Wir heizen ein, kochen Tee und schlafen
auf den Schulbänken. Am nächsten Morgen geht's wieder früh
los. Einen Kilometer weiter, im freien Feld, frühstücken wir.
Die Freunde haben irgendwo Kekse aufgetrieben. Dann weiter, wieder marschieren.
Zum Glück ist das Wetter trocken und nicht kalt. Wir hören immer
wieder das Gerücht, daß uns Autos abholen. Als wir wieder einmal
Halt, Feuer und Tee machen, tanzen wir sogar. Den uns begleitenden Journalisten
fallen fast die Augen aus. Ja, hier geht ohne Tee gar nichts. Meine Zähne
sind schon gelb, was noch geht, denn hier haben viele schwarze. Wir warten
wieder. Die Sonne kommt. Ich bewundere die Leute, wie sie auf Schritt
und Tritt einschlafen können. Schließlich waten wir oberschenkelhoch
durch einen Fluß, auf der anderen Seite die versprochenen Autos.
Doch nur die Hälfte von uns hat Platz. Wir warten wieder 2 bis 3
Stunden, machen Feuer und trocknen unsere Sachen. Als wir abgeholt werden,
fängt es prompt zu regnen an, der auch bis wir ankommen, nicht mehr
aufhört.
Jetzt bin
ich also im PKK-Haupquartier. Es ist ein kilometerweites Schluchtengelände,
du läufst Stunden darin herum. Um nicht weiter im Regen zu laufen,
gehen wir in eine Höhle. Sie ist groß, 3 Mangas haben darin
Platz. Es gibt auch Öfen und mit Plastikplanen abgetrennte Abteile.
Ich esse heiße Suppe und schlafe so tief und fest wie schon lange
nicht mehr. Am nächsten Morgen marschieren wir fünf Stunden
bis zu einem anderen Ort, wo sich die Logistik befinden soll. Dort in
einer Manga lassen wir uns nieder. Aber es gibt Luftalarm. Wir nehmen
Stellung in einer anderen Höhle. Dort sind wir sicher. Am nächsten
Morgen brechen wir zu unserem Militärtraining auf. Wieder marschieren
wir fünf Stunden. Der Freund, der uns führt, kann hervorragend
Deutsch, er kennt auch Pelda und Sîpan. Es ist für mich eine
Wohltat mit ihm zu diskutieren. Ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht.
Wir machen über Nacht halt bei einer anderen Gruppe. Wir kennen sie
von der Schule her. Am nächsten Tag geht es weiter, auch die Männer
aus der Schule sind dabei. Du merkst gleich den Unterschied, den sie als
neugebackene Guerillas für wichtig erachten: wer kann besser gehen,
besser schießen. Die Frauen drehen nicht so auf. Sie sind vorsichtiger,
unsicherer, dafür lernen sie schneller. Wir machen in der YAJK-Zentrale
Essenspause. Dann gehen wir weiter. Wieder nur marschieren. Am Abend sind
meine Beine geschwollen. Meine Tasche ist auch nicht die leichteste. Und
so weiter... Jedenfalls gab es dann noch einiges hin und her, weil der
Vorsitzende nicht angeordnet hat, daß ich am Militärunterricht
teilnehme. Es war dann aber kein Problem. Jetzt ist das schon wieder vorbei
und der Krieg steht an. Krieg, d.h. daß auch von Seiten der türkischen
Regierung Kräfte im Anmarsch sind. Im BBC wurde gesagt, das Ziel
sei unser Hauptquartier. Mir ist unwohl, aber ich baue auf die Erfahrung
der Freundinnen. Meine Waffe - ich will den deutschen Kalaschnikow-Nachbau,
der ist leicht und angenehm zu tragen, oder die ungarische Version - ist
noch nicht gekommen. Wir tragen auch zwei Halterungen für Handgranaten,
aber das habe ich noch nicht gelernt.
29.4.1997
Mein Leben in der YAJK-Zentrale beginnt. Es ist natürlich kein Büro,
sondern einfach einige Takims, versteckt im Dickicht. Die Leitung kommuniziert
über Funk und Kuriere mit dem Hauptquartier. Der Platz war noch nicht
dechiffriert, trotzdem sind wir wegen der Operation der Türkei auf
einen Gipfel umgezogen. Das Leben sieht so aus, daß wir uns nur
morgens und abends normal bewegen, sonst verstecken wir uns vor den Flugzeugangriffen.
Das heißt, abends natürlich auch kein Licht und Feuer. Wenn
die anderen ausschwärmen um Aufklärung zu betreiben, bleibe
ich zurück. Das ist Talimat/Befehl. Ich komme mir zeitweise etwas
überflüssig vor.
30.4.1997
Immer wieder kommst du, (...) mir in den Sinn. Ich weiß nicht warum.
Eigentlich möchte ich die Erfahrungen mit Männern für mich
abschließen. Von hier aus gesehen, vom gemeinschaftlichen Leben
mit den Frauen sind sie nur überflüssig, verletzend und mich
ausnutzend. Nein, keine Angst, ich sehe mich nicht nur als Opfer. Ich
weiß, daß ich diese Angewiesenheit auf die Bestätigung
durch einen Mann, seine Liebe und Anerkennung produziert habe, mich ihnen
ausgeliefert habe. Ich weiß nicht, warum diese Erinnerungen jetzt
kommen. Ist es, weil das Leben hier im Krieg mich anstrengt, ein Fluchtpunkt
quasi, aber es war für mich auch eines der wenigen Verhältnisse
in dem sich die typische Erfahrung mit Männern NICHT wiederholten.
Ja, heute
sind wir von Hubschraubern geweckt worden. Die Situation ist angespannt,
einerseits, andererseits kannst du gleichzeitig nicht viel machen. Sicher,
die Gruppen, die zu Aktionen gehen, das ist etwas anderes.
1. Mai 1997 - Tag der ArbeiterInnen
Ich
höre im Deutschlandfunk, daß es bei den 1. Mai-Kundgebungen
zu Krawallen mit Rechtsradikalen kam. Hier geht die Operation weiter.
Israelische Flieger kommen mit wahnsinniger Präzision angeschossen.
Uns haben sie noch nicht dechiffriert. Das heißt, die Bomben gehen
woanders nieder. Trotzdem gehen wir in Deckung, suchen einen Ort zwischen
den Felsen hoch oben, an dem wir vor den fliegenden Felsbrocken geschützt
sind. Aber es passiert nichts. Für mich sind das immer Momente, wo
ich meinen Gedanken nachhängen kann. Das mag komisch klingen, aber
wenn die anderen schlafen oder auf Aufklärung gehen, setze ich mir
den Walkman auf.
Gestern
hat mich eine tiefe Traurigkeit erwischt, als ich so zurück blickte.
Weniger wegen dem verlassenen Leben, als dem, was ich hinter mir lasse,
als mehr wegen den Verletzungen von (...). Es ist gut, wenn das rauskommt.
Es macht Platz für Neues.
Jetzt ist keine mehr an meiner Seite, die Deutsch kann. Ich bin also gezwungen,
türkisch zu sprechen und zu lernen. In der Enge, in der du hier zusammen
bist, verstehe ich viel von dem, was in der Akademie diskutiert wurde,
noch mal vor einem anderen Hintergrund. Die Strukturen der einzelnen die
aufeinanderprallen, obwohl alle sehr kontrolliert leben. Wir kennen das
ja aus der Diskussion, Kleingruppenisolation. In manchen Konstellationen
kannst du wirklich verzweifeln.
Momentan bin ich in keiner Manga. Ich schlafe und esse mit Frauen aus
der Leitung. Das gibt mir einerseits einen gewissen Freiraum, aber es
macht auch einen Sonderstatus für mich aus, den ich nicht will.
Ja, meine
Freundinnen und Freunde, wenn ich so schreibe, frage ich mich, ob das
für euch überhaupt verständlich und vorstellbar ist? Einen
Monat Berge. Jetzt steht die große türkische Mobilmachung bevor.
Ich würde mir wünschen, daß es in den Metropolen Bewegungen
gäbe, die diesen Krieg angreifen, unmöglich machen würden.
Einfach den Nachschub kappen. Ich weiß, es ist angesichts des Zustands
in den Metropolen utopisch, angesichts der Widersprüche zur PKK und
der vorhandenen Solidaritätsbewegung. Auch auf längere Zeit
wird es so bleiben. Schade, das wäre was. Eine militante Bewegung,
die die Kriegsmaschine lahmlegt.
Aber zurück. Vielleicht muß ich konkreter den Tagesablauf schildern,
wie wir schlafen, essen, usw. Heute kam meine Kalaschnikow. Das ist schon
ein gutes Gefühl. Es macht dich wirklich stark.
Heute habe
ich in den Nachrichten gehört, daß die Bullen in Berlin 220
Leute festgenommen haben. Die gewohnte Szenerie also. Das Leben dort ist
mir zwar vertraut, aber schon weit weg. Das Leben hier ist mir noch ungewohnt,
aber schon wie normal. Die Frauen haben mich gefragt, wo ich vorher war.
Also wo innerhalb der Guerilla. Wenn ich sage, daß ich neu bin,
staunen sie. Mich freut das. Nicht aus Leistung, sondern weil es auch
eine Akzeptanz zeigt. Trotzdem bin ich natürlich fremd.
6.5.1997
Gestern habe ich 200 Brote gebacken. Den Tag zuvor bin ich zur Aufklärung
gegangen und klitschnaß vom Regen und Hagel zurückgekommen.
Die Gipfel sind hoch, kalt und noch schneebedeckt. Aber auf unserer Höhe
ist es sommerlich, geradezu idyllisch. Vor drei Tagen kam der Kommandant.
Der wird das Bundesland, in dem wir sind, im Kriegsfall befehligen. Es
ist der gleiche, der auch unsere Manga geleitet hat und ich habe sehr
großes Vertrauen zu ihm. Er hält auch eine Versammlung mit
den Frauen ab, in der er die neuesten Nachrichten auswertet. Er sagt auch,
daß die imperialistische Mobilmachung die größte seither
ist und wirklich zum Ziel hat, die PKK als lebendigen Widerspruch zu vernichten.
Das heißt, wir müssen auch mit diesem Bewußtsein die
Situation begreifen. Er fragt auch nach Stimmung und Gedanken, Strategien.
Alles auf Kurdisch, so daß ich nicht viel verstand. Mich fragte
er am Abend vorher auch viel. Wenn ich auch viel verstehe, sprechen fällt
mir noch sehr schwer. ...
Gestern abend gab es einen Fehlalarm. Ich dachte wirklich, jetzt geht's
los. Aber es waren nur Frauen aus unserem Takim, die sich verirrt hatten.
Wir, d.h. unsere Manga, hatte schon zu den Waffen gegriffen. ...
7.5.1997
Riesen Chaos - eine Einheit auf Durchmarsch scheucht uns auf - sie schießen
in die Luft um uns zu signalisieren das sie den Weg nicht wissen. Wir
schießen auch, aber dann ist nicht klar, ob wir nicht angegriffen
werden. Ich finde es zeitweise absurd. Die eigenen Leute angreifen. Das
erinnert mich an Situationen bei uns. Beinahe so.
Der Kommandant sagte, es gehe darum bereit zu sein. Davon sind wir Welten
entfernt. Ja, Freundinnen und Freunde, manchmal frage ich mich, wie ich
wohl sein werde, wenn ich zurückkomme. Ob ich mich in diesem Wust
wieder zurecht finden werde? Sicher - irade var (Der Wille ist da) - und
Anstrengungen werde ich aufbringen.
Der Vorsitzende sagte mir auch, mein Charakter wird sich ziemlich verändern,
und ich werde auch einsam sein. Aber er glaubt daran, daß ich erfolgreich
bin. Auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen, kämpfen wir für
das gleiche Ziel.
Er ist eine unglaubliche Person, wirklich. Er sagte mir am ersten Abend,
ich sei stark wie ein Wolf. Sicher ist er geprägt von der kurdischen
Realität aus der er kommt. Aber es ist enorm wie weit er sich gelöst
und entwickelt hat. Ich kenne KEINEN Mann auf dieser Welt der ein ernsthafteres
Interesse daran hätte, daß Frauen stark werden. Nur ihn. ...
Die Freundinnen erzählen mir auch, daß eine Gruppe aus Pakistan
da ist/war. Das ist für sie wichtig - internationales Interesse.
Diese Gruppe kam, um Erfahrungen zu sammeln, um dann ihren Kampf zu Hause
aufzunehmen.
9.5. 1997
Heute vor einem Monat sind wir von der Schule weg. Wahnsinn, wie schnell
die Zeit vergeht. Ich schreibe euch ein bißchen vom alltäglichen
Leben. Wir essen dreimal am Tag warm. Es ist für mich noch schwierig,
die richtige Hitzestärke am offenen Feuer zu finden, aber ich koche
nicht oft. Es gibt eine gemeinsame Küchenstelle. Jeden Tag hat eine
andere Manga Küchendienst. Meistens gibt es Grünzeug das hier
wächst, in Fett gegart und selbstgemachtes Brot dazu. Danach der
obligatorische Tee. Wenn die Logistik gut ist, gibt es aber auch Reis,
Tomatenkonserven, Bulgur, morgens Suppe, Bohnen- Linsensuppe, Gerste.
Gegessen wird mangaweise. Alle essen aus einem Teller, setzen sich am
Boden im Kreis drumherum. Das ist nicht nur hier so, auch die zwei Tage
als wir bei Familien untergebracht waren, war das so. In der Schule wurde
ursprünglich auch so gegessen, dann aber wegen Zeitgründen im
Stehen. Schlafen tun wir auf einer Plastikplane und eine Wolldecke zum
zudecken. Das heißt, wir liegen zu sechst wie die Ölsardinen.
Wenn sich eine umdreht, müssen sich alle drehen. Über uns noch
eine Plane, provisorisch. Sie muß morgens schnell weggeräumt
werden, damit die Aufklärungsflugzeuge uns nicht sehen. Wir haben
eine große Feuerstelle an der wir bis zum Abend Glut fabrizieren
und mit Steinen abdecken. Das heizt wahnsinnig. Ich habe mir schon oft
die Füße angekokelt.
Naja, der
Tag vergeht schnell. Momentan wechseln wir den Platz, gehen auf den Gipfel
und warten auf die KDP. Und sonst? Baden tun wir nahe einer Wasserstelle,
schnell schnell, weil der Feind das auch weiß. Wir machen in einem
Eimer Wasser heiß und legen eine Nylonfolie auf den Boden als Becken
über die Steine. Die Klamotten im Schnelldurchlauf waschen, in der
Sonne trocknen und in der Zwischenzeit mit einer kleinen Dose duschen.
Später mehr vom Leben und Schaffen in den Bergen.
Zur Zeit denke ich gern zurück. Die ganze Zeit die ich von zu Hause
weg bin schaue ich mir gern an. Sie war wichtig für mich und ich
habe viel gelernt. (...) Ich hoffe ich kann daran anknüpfen, wenn
ich zurückkomme.
10.5.1997
Ich habe lange nicht geschrieben. Wir gingen zu einer anderen Frauenbölük,
viele Eindrücke zu verarbeiten. Dreieinhalb Stunden Fußmarsch
in der prallen Hitze. Ich schreibe die Tage mal mehr. (...) Ich habe einen
Freund getroffen, der mit Pelda und Sîpan zusammen war. Und ich
habe viel diskutiert. Also, alles zu Papier bringen liegt noch vor mir.
Zu diesen
Träumen aus meinem vergangenen Leben - es ist, wie wenn ich das jetzt
hier erst richtig verarbeite. Ich verändere mich, auch äußerlich.
Ohne Training, Gymnastik, viel fettiges, nährwertarmes Essen, werde
ich rund und weich. Es ist für mich persönlich eine große
Erweiterung hier sein zu können. Ob ich es auch politisch transportieren
werde können, weiß ich nicht. Dafür wäre es wichtig
gewesen, als Gruppe zu kommen. Die Einladung an euch alle steht nach wie
vor. Es muß auch für alle nicht die gleiche Form - Guerilla
- sein. Sie haben hier schon ein Gespür dafür, wer was wie machen
kann. Es gibt auch beim Vorsitzenden und bei der politischen Arbeit im
Volk viel zu lernen. Auch die zeitlichen Rahmen lassen sich flexibel stecken.
Aber es muß mit ihnen diskutiert werden, und man/frau muß
wissen, was sie will. ... Ich kann mir gar nicht vorstellen was ihr macht.
Die Zeit vergeht so schnell, es kommt mir viel länger vor.
Ich höre
gerade Marla Glenn, meine Erinnerungen an die WG. Liebe Freundin, ich
denke gern an unsere gemeinsame Zeit zurück. Manchmal versuche ich
auch mir vorzustellen, wie du das hier bewerten würdest, wenn du
es erleben, sehen würdest. Du sagtest ja mal, klar geht es nicht
um einen Trödelverein bei unseren Diskussionen (...) Hier wird viel
auf Anstrengung, Arbeit, immer wieder anstrengen, Disziplin (also auch
"deutsche" Charakteristika) gesetzt. Wer glaubt, die PKK sei
ein fundamentalistisch - fanatisches Naturereignis, weiß wirklich
nicht, wieviel Arbeit und Energie hier drin liegen. Sie ist entstanden
aus dem Aufbruch 1968, als es auch in der Türkei große Bewegungen
gab. Sie ist entstanden, weil offensichtlich war, daß es ohne kurdische,
keine türkische Revolution geben kann. Ihr Ziel ist sozialistisch
- kommunistisch. Ihr Weg ist die nationale Befreiung und internationale
Offensive. Aber sie arbeitet flexibel, mit vielen Taktiken. Ihr Entstehen
hat vielen Genossen das Leben gekostet, so wie die jetzige größte
Mobilmachung der Imperialisten gegen sie. Wir, d.h., die Guerilla in den
Bergen und die Partei sind der einzige relevante lebende Widerspruch zu
ihrer Todesmaschinerie. Sie sagen, wir sind 11.000 in den Bergen. Ich
kämpfe hier mit diesem Bewußtsein und ich bin froh, hier zu
sein. Auch wenn mir die alltäglichen Bedingungen manchmal schwer
erscheinen.
Ihr seht,
ich habe mein Herz an die PKK verloren. Mir ist etwas Bange geworden,
als der Freund von Pelda und Sîpan sagte, sie wollen gar nicht mehr
zurück. Vielleicht geht es mir nach einem Jahr auch so? Aber der
Vorsitzende wird das nicht zulassen. Er weiß, wie wichtig die Arbeit
in den Zentren ist. Ich weiß auch, daß ich mich dafür
von meinen Gefühlsduseleien befreien muß, sowohl was die Verletztheithaltung
anbelangt, als auch die Liebes - Sehnsucht - Frage. (...) Ich freue mich
auf die Rückkunft. Ein bißchen hat es schon den Charakter von
Durchhalten hier. Das ist auch das Sprachproblem. Aber es ist auch, weil
mein Zuhause und mein Platz auch Platz des Kampfes hier nicht so ist wie
da. Ich muß mir selbst auch mehr Zeit geben. Jetzt bin ich gerade
dreieinhalb Monate hier. Vor sechs Monaten kann man das gar nicht beurteilen.
Es ist normal also, daß die Szenen von davor mich beschäftigen.
(...)
13.5.1997
Die Luftangriffe nehmen zu. Gestern verbrachten wir den ganzen Tag damit,
in Schützengräben, also ausgesuchten, geeigneten Felsspalten,
und zum Teil ausgehobener Erde, die nahe niedergehenden Bomben zu beobachten.
Es ist ein brutales Gefühl, wenn so ein Bomber über dir fliegt.
Du bist dem dann ganz ausgeliefert. Wenn sie niedergehen, steigt eine
Staubwolke auf, so sieht das aus der Ferne aus. Ich kriege einen wahnsinnigen
Haß und ich schwöre, in Europa, diese Kriegsmaschi-nerie zu
sabotieren. Abends dann, als wir uns gerade hinlegen wollen, kommt wieder
ein Bomber. Ich bin gerade auf dem Weg zur Stellung, als neben uns die
Rakete runtergeht. Es ist noch weit entfernt, trotzdem kommt es mir unsagbar
nah vor. Die Rakete ist eine kleine Bombe, aber sehr hell und die Luft
zittert. Dorfbewohner im Tal haben ein Feuer gemacht. Sie können
zwei und zwei nicht zusammenzählen, denn eigentlich wissen sie ja,
daß Krieg ist. Genau auf die Feuerstelle haben sie gezielt. Aber
unser Platz ist noch nicht dechiffriert. Also wissen sie nicht, daß
wir hier sind. Wenn sie es wüßten, würden wahrscheinlich
hundert Bomben runtergehen. Gerade gegen die YAJK haben sie absoluten
Vernichtungswillen. Wir sind noch fünf Mangas, 6-8 Frauen je Manga,
im Hauptquartier. Die anderen Kräfte sind verteilt in den verschiedenen
Bundesgebieten und den umliegenden Gipfeln. Hier verläuft nicht nur
die Grenze zur türkischen Republik, die KDP von der anderen Seite
macht mit der Unterstützung der Türkei auch mobil. Wir haben
Dotschkas. Sie schießen Hubschrauber und Flugzeuge ab. Es ist aber
eine heikle Frage, wann man sie einsetzt. Es heißt, das manche Flieger
nur kommen um herauszufinden, ob und wo die Dotschkas sind, um dann dort
geballt zu bomben. Also zu früh darf man sie nicht einsetzen. Früher
waren sie absolute Männerdomänen, aber jetzt gibt es viele in
"unserer" Hand. Aber auch insgesamt ist die eigenständige
Frauenorganisierung-/armee etc. immer noch ein Kampf, eigentlich ähnlich
wie bei uns. Die Frauen trauen ihrer eigenen Stärke nicht und ringen
um männliche Anerkennung. Die Männer, um zu zeigen wer sie sind,
sind immer "besser" als die Frauen. Ich kenne nur einen Menschen,
der als Mann wirkliches Interesse an unserer Befreiung hat: Abdullah Öcalan.
Er redet nicht nur darüber, sondern es hat einen konkreten Ausdruck
in seinen Handlungen, Befehlen. Er sagt, daß der Mann der Kapitalismus,
die Frau der Sozialismus ist. Über die Jahrtausende Benutzung der
Frauen. Vielleicht schaffe ich es wirklich mal, meine Verletzungen politisch
zu begreifen und rauszukommen. Das Leben mit den Frauen tut mir gut. Sicher
gibt es auch das Kleingruppensyndrom und welche, die ich nicht leiden
kann. Umgekehrt wahrscheinlich ebenso. Aber durch die gemeinsame Arbeit,
die Partei und die Prinzipien, spielt das keine so große Rolle,
kein großes Gewicht. Natürlich gibt es auch Freundschaften,
aber insgesamt sind die Befindlichkeiten der Einzelnen nicht wichtig,
bzw. gibt es Mechanismen, wo sie aufgehoben sind. Z.B. das tägliche
Tekmil. Der einzelne Mensch spielt an der Frage wie und ob er/sie kämpft
und welche Probleme er/sie dafür überwinden muß, eine
wirkliche Rolle. Dafür gibt es die Kritik/Selbstkritik und auch Hilfe.
Hier wird niemand einfach fallen gelassen. (Dafür fallen viele, könnte
ich an dieser Stelle sagen).
Ich werde
immer wieder gefragt, warum nicht mehr Deutsche/EuropäerInnen hier
sind. Der Erfahrungsreichtum ist groß. Es ist schwer zu erklären:
Vorurteile, Sichtweise auf die eigene Rolle in Deutschland, Eurochauvinis-mus,
Männerchauvinismus. Hier müssen sie auf ihre Privilegien, Frauen
zu benutzen, verzichten. Die Angst vor dem eigenen Ich, weil sie sonst
nichts sind. Aber dieses Nichts als Ausgangsbedingung zu begreifen um
eine neue Identität aufzubauen, lieber flüchten sie - alter
Hut, das weiß ich auch.
14.5.1997
Klassik im Deutschlandfunk. GenossInnen machten gestern eine große
Aktion, ganz nah. Der Boden vibrierte. Genaues weiß ich auch nicht.
19.5.1997
Nur
wenige Tage sind vergangen. Aber es ist viel passiert. Die Operation ist
in vollem Gange. Wo es nur geht bombardiert die Türkei, kommen Hubschrauber,
Soldaten. Von der anderen Seite KDP. Und sie schießen Havan/Bodenraketen.
Von uns sind schon einige GenossInnen gefallen. Von uns heißt, nicht
von unserer Einheit, sondern insgesamt. Der Umgang damit ist eine kurze
betroffene Kenntnisnahme, aber eigentlich ist es wie normal. Nur einmal
kam wirkliche Bestürzung auf, als Genossen eine Genossin verletzt
liegen gelassen haben. Sie starb dann in den Händen des Feindes,
nach Stunden. Vielleicht wäre sie noch zu retten gewesen. Der Krieg
härtet die Leute ab. Es gibt sowieso viele Arten des Seins in den
Bergen. Manche verdrecken und versumpfen völlig. Es ist eine große
Anstrengung, daß merke ich selbst. Wenigstens einmal am Tag Zähne
zu putzen, Gesicht und Hände richtig zu waschen, zumindest jetzt,
wo wir unterwegs sind. Manche kriegen eine richtige Bandenmentalität.
Dann wiederum gibt es Leute aus den Unis z.B., die einen sehr hohen politischen
Begriff haben, aber meistens in der Praxis sehr schwach sind. Nur sehr
wenige schaffen das, es miteinander zu verbinden. Aber es ist schon so,
wenn du die Politik nicht verstehst, kein eigenes Ziel entwickelst, bleiben
nur Mühsal und die Qual, den Alltag zu meistern. Manche GenossInnen
laufen rum, als wären sie Gefangene. Aber gleichzeitig, verlassen
wollen sie die Guerilla auch nicht, weil sie keine Alternative haben.
Einer ist "geflüchtet". Er ist mit unserer Gruppe gekommen,
ging zur Wache und kam nicht mehr. Es wird gesagt, er sei weggelaufen,
weil er Angst vor dem Krieg hätte und das nicht offen sagen wollte.
Hätte er es, wäre eine Lösung gefunden worden.
Aber zurück
zu uns. Seit die Operation begonnen hat, ca. sechs Tage, ist unsere Situation
um einiges schlechter geworden. (Früher dachte ich, Operation sei
eine Aktion von unserer Seite, heute weiß ich das besser.) Zuerst
waren an einem Platz ohne Wasser, nur zwei Stunden entfernt Schnee. Wir
sind auf den Gipfel eines Berges um diesen a) zu besetzen und b) selbst
vor Flugzeugangriffen geschützt zu sein. Wenn du im Tal bleibst,
bietest du große Angriffsflächen. Am zweiten Tag war das Bombardement
so groß, daß wir den ganzen Tag in einer Felsspalte verbringen
mußten. Falls eine Bombe fällt, bist du dort vor den Splitterbrocken
einigermaßen sicher. Es folgten Gefechte der nächstgelegenen
Kräfte. Wir selbst sind aber nicht aktiv geworden. Wir sind dann
von diesem Gipfel herunter. Eine Manga ist geblieben und eine Manga Männer
gekommen. Ich wäre auch gern geblieben. Aber ich kenne das alltägliche
Leben noch zu wenig, geschweige denn den Krieg. Es war hart für mich
zu gehen. Ich habe die Todesmaschinen der Imperialisten gesehen und solche
Wut bekommen, wieso die Türkei den Machtangriff auf Kurdistan nicht
aufgibt. Natürlich weiß ich wieso, aber es hat mich trotzdem
noch mal berührt. Ich sehe es jetzt so, daß es für mich
keinen Unterschied macht, wo ich kämpfe. Auch fallen kann. Aber ich
weiß, daß es fürs ganze wichtig ist, daß ich zurückgehe.
Wir sind
dann eine Nacht marschiert. Langsam wird das Geschwadergeräusch weniger.
Wir haben an einem Stützpunkt halt gemacht, wo ebenso viele Frauen
waren wie wir. Sie haben vom Gefecht erzählt, von der gefallenen
Genossin und ihrer Flucht. Sie waren noch näher dran als wir. Ab
abend dann wieder eine Nacht marschieren. Hungrig, ein schnelles Guerillaessen,
Fett, Mehl und Zucker, gebraten. Das ist Minimalversorgung. Meine Knie
tun unsagbar weh. Nie kann ich sie mal strecken. Wenn wir schlafen ohne
Decken, liegen wir eng beieinander mit angezogenen Knien, um uns gegenseitig
zu wärmen. Für mich ist das alles ein bißchen viel, ich
bin sozusagen wie aus dem Nest in den Krieg gefallen, eine so große
Mobilmachung war seit '93 nicht mehr. Aber ich gewöhne mich langsam.
Meine Batterien
sind leer. Ich höre keine deutschen Nachrichten mehr.
Wir haben drei Kobras abgeschossen. Eine große Meldung - juchhu!
Ob ihr das alles mitkriegt? Wie ihr auf den Krieg reagiert, ob überhaupt?
Die Amerikaner stellen es so dar: Bandenkrieg zwischen Barzani und PKK,
wenn das zunimmt, mischen sie sich ein, was natürlich totaler Quatsch
ist. 1. Ist es gegen die KDP kein Bandenkrieg, sondern sie werden von
der Türkei benutzt. 2. Unterstützen die USA die Türkei
sowieso. Aber es entstehen Reibungen, z.B. mit Irak. Viele arabische Völker
begreifen es auch als Krieg des Westens gegen den Osten.
22.5.1997
Es regnet, wir sitzen unter einer Plane. Ich bin krank, Magen-Darmgrippe.
Wir haben ein neues Gebiet betreten, Zagros, das bekannt ist für
seine harten Bedingungen, unter anderem Wetter und Feindpräsenz.
Da sich die Türkei aber auf den Zap konzentriert, ist es hier nur
kalt und relativ ruhig. Trotzdem verteilen wir uns tagsüber, damit
falls doch eine Bombe fällt, nicht alle auf einem Haufen hocken.
Die türkischen Medien sagen, es wären 1400 PKKler umgekommen.
Das ist natürlich ihre Propaganda. Bei einem Gefecht haben sich sechs
Frauen in die Luft gesprengt. Sie haben zuvor 12 Stunden das Gefecht gegen
den Feind aufrecht erhalten. Als ihnen die Munition ausging, haben sie
es vorgezogen zu sterben, als den türkischen Soldaten in die Hände
zu fallen. Gequält, gefoltert und vergewaltigt und wahrscheinlich
umgebracht zu werden. Das ist für mich nachvollziehbar. Ich würde
auch so handeln. Vor kurzem kam meine Granate. Wir ziehen
uns den Patronengurt nie aus, auch beim Schlafen nicht.
Ich fühle mich gerade sehr dazwischen, obwohl alle sehr nett sind,
entwickle ich keine richtigen Beziehungen. Neben dem Kulturunterschied
ist es auch das Sprachproblem. Machen tun wir z.Zt. auch nichts, warten,
wechseln ab und zu den Platz. Manchmal backe ich Brot, gehe zur Aufklärung.
Aber eigentlich sind wir gerade nur auf Durchgangsstation, was wohl auch
so bleiben wird, bis die Operation abgeschlossen ist. Die Tage, an denen
wir nicht marschieren, mag ich gar nicht. Manchmal wünsche ich mir
ein Dach über dem Kopf und ein Bett. Das sind die kleinen Bequemlichkeiten,
die mir fehlen. Im Verhältnis zu den meisten Frauen hier bin ich
schon ziemlich alt. Also auf Jahre wäre dieses Guerillaleben nichts
für mich.
29.5.1997
(...) Ich weiß nicht, ob und wie ich nach der Zeit hier bin. Sicher
denken wir hier auch viel über die Frauen- Männerfrage nach.
Aber es verläuft doch vor einem anderen kulturellen Hintergrund und
seit der Operation ist eh Ausnahmezustand. Dauernd beweglich, nur das
Nötigste zu essen, wenig Wasser. Dafür Bombenangriffe mittels
Hubschraubern, Flugzeugen und Bodenraketen. Bisher bin ich noch in keiner
aktiven Einheit. Aber nach eineinhalb Monaten wäre das auch etwas
früh.
Und ihr?
Zu gerne würde ich wissen, was ihr macht, wie's Euch geht. Wißt
ihr von der Operation? Was bedeutet es jetzt für Euch, das zu hören?
Wie sehr wünschte ich mir jetzt eine Bewegung in der Metropole, die
diesen Krieg angreift und aufhält. Ich werde immer wieder gefragt,
warum nicht mehr Deutsche/Europäerinnen kommen. Hier gibt es so viel
zu sehen und zu lernen. Sie haben 25 Jahre Kampferfahrung und vor dem
Hintergrund, wie kolonialisiert, zurückgeblieben, und zerstückelt
das kurdische Volk ist, assimiliert und benutzt, hat es die Anstrengung
und das Leben vieler Genossinnen gebraucht, die Partei so weit zu bringen,
wie sie heute ist. Das ist kein charismatischer Verdienst Abdullah Öcalans
allein, obwohl er eine wichtige Rolle spielt. Zum Teil sind Leute 18 Jahre
in den Bergen, sie waren mit allem konfrontiert, Agenten, psychologische
Kriegführung, militärischer Kahlschlag.
Wenn sie das geschafft haben, können wir das auch. Manchmal muß
ich in mich hinein schmunzeln, angesichts des regiden Bildes, das über
die PKK existiert und unserer Wirklichkeit. (...)
Jetzt bin
ich schon zwei Monate in den Bergen. Es ist extrem, wie schnell die Zeit
vergeht. Heute habe ich das erste mal Sport gemacht. Mein Körper
ist, abgesehen von den Beinen, schon sehr schwach. Ich will Euch noch
mal zu den zentralen Fragen, (Führung, Frau/Mann, Verhandlungen mit
den europäischen Regierungen) schreiben. Ich fange mit dem letzten
an.
Abdullah
Öcalan sagte mir beim Abschiedsgespräch, daß, auch wenn
wir andere Sprachen sprechen, wir doch die gleichen Ziele haben. Als ich
ihm sagte, die deutsche Linke wertet das als Verrat, winkte
er nur ab. Dies sei seiner Ansicht nach kindisch. Aber er sagte mir auch,
er gibt mir alles, was er mir geben kann, damit ich erfolgreich bin im
Aufbau einer revolutionären Bewegung. Als ich ihn fragte, warum der
VS zu Besuch war, übersetzte die Dolmetscherin falsch und sagte Chef
der Republik. Er wurde etwas säuerlich. Es ist klar und das
ist auch Programm: Flexibilität. Das heißt nicht Ideologielosig-keit,
im Gegenteil. Die steht hier auf sehr festen Beinen. Aber es heißt
auch, die aktuelle Situation zu erkennen und sich darin richtig bewegen
zu können. Eigentlich ist die Feindschaft zu den Deutschen ja klar.
Kinkel muß wohl mal gesagt haben, Kurdistan o.k., PKK, Öcalan,
Sozialismus NIE. Es sind also beide Momente, die Unversöhnlichkeit,
die sie aber nicht so schnell umschmeißen, die Lücken und Widersprüche
bei den Imperialisten, diese nutzen. Zum Beispiel haben Amerika, Israel
und England eine andere Haltung zum Krieg, als Deutschland und Frankreich.
Von dieser Seite her Druck auf die Türkei und Israel hätte für
die Guerilla und also auch für die Partei ganz materielle Folgen.
Ich kann das schon so sagen, aus der Unumstöß-lichkeit des
Kampfes um ein sozialistisches und unabhängiges Kurdistan haben sie
auch keine Berührungsängste. Selbst wenn die Imperialisten Purzelbäume
schlagen würden, nichts kann die Bewegung aufhalten. Dafür ist
sie in ihrer Anzahl und Überzeugung viel zu stark und zu lange gewachsen.
Deswegen hassen sie die PKK ja auch so sehr. Das kann man mal ganz objektiv
feststellen.
Morgen
ist der 2. Juni, Benno Ohnesorg, Bewegung, 2. Juni. Hier ist es auch so,
daß es einige Feiertage gibt. Der 15. August, Beginn des bewaffneten
Kampfes, 21.3.82 Mazlum Dogan hat sich im Gefängnis verbrannt, 28.4.,
Agît, Mahsum Korkmaz ist gefallen. Bei uns 18.10. Stammheim, 30.4.
Walpurgisnacht, 9.11. Holger Meins fiel im Hungerstreik.
Sie legen sowieso viel Wert auf die Wirkung nach innen, so gibt es viele
verschiedene Zeremonien für Begrüßung und Abschied usw.
Das zeigt auch eine gewisse Unabhängigkeit, aber es ist auch die
Erfahrung von 20 Jahren Kampf. Zum Beispiel die Form wie Versammlungen
abgehalten werden, kurz und effektiv.
Break:
ich spreche mit einer Freundin, die in London gearbeitet hat. Sie erzählt
von Kanî Yilmaz und seiner Festnahme. Kurze Zeit später stellte
Deutschland einen Auslieferungsantrag, weil sie behaupteten, alle Aktionen
in Deutschland hätte er angeordnet. Nur aus Konkurrenzgründen
haben sie ihn nicht ausgeliefert.
Weißt du, hier ärgere ich mich über unseren Eurozentrismus,
also daß so wenig Bereitschaft besteht, mal über den Tellerrand
hinauszusehen. Natürlich kannst du die PKK genau sowenig wie die
FMLN oder irgendeine andere Bewegung mit deutschen Maßstäben
messen. Das heißt, dort sind immer Elemente enthalten, die für
deutsche Verhältnisse vielleicht unbrauchbar oder kontraproduktiv
sein mögen, die aber aus den Tatsachen des Volkes, der Realität
resultieren. Umgekehrt würde eine autonome Bewegung hier keine Chance
haben. Das heißt noch lange nicht, daß sie, die PKK, unkritisierbar
wäre.
Mai 1997
Wenn Mann sagt, wieso denn noch keine Frau anstelle des Vorsitzenden ist,
zeigt das nur, daß er in dem "Rückschritt von der Männlichkeit",
so nannte Abdullah Öcalan es, und ich behaupte, ihm ist es auch gelungen,
(er sagt von sich selbst er ist kein Mann, sondern ein Mensch) - für
die Männer keine Möglichkeit sieht. Es geht ja aber nicht darum,
an jede Stelle anstatt eines Mannes eine Frau zu setzen, das ist wie eine
Quotenregelung der Grünen. Zudem haben wir mit unserer Sozialisation
genug zu tun, um das zu verändern, sondern es geht um die Veränderung,
auch als Mann. Mir kommt das alles hoch, daß Mann, obwohl er sich
nicht von der Stelle bewegen will, die Frauen, also auch mich, benutzt,
die sich an ihm, seiner alten Struktur abarbeiten. Und dann ärgere
ich mich über mich selbst, wieso ich mich darauf überhaupt eingelassen
habe - diesen Job übernommen habe? Mich nicht abgrenzen konnte? Ich
denke es hat mit meinem Selbstbild zu tun. Mich besser als alle anderen
Frauen zu sehen, die ihm das beibringen können. Also nicht nur die
Reproduktion der alten Konkurrenz (noch dazu im Verhältnis zu einem
Typen) unter Frauen, sondern auch die Entpolitisierung. Als könnte
ich, jetzt mal egal wie gut oder schlecht, als einzelne Frau in diesem
Widerspruch eine Lösung erzielen, als wäre das kein insgesamtes
Problem, und das am schwersten lösbare überhaupt. Politisch
gesehen geht es also um die Frage, wie weit ich unserer eigenen Kraft
als Frau vertraue, denn die Männer werden von sich aus ihre Privilegien
nicht aufgeben. Das ist auch meine Erfahrung und es ist wirklich so, daß
ich außer Abdullah Öcalan keinen kenne, der ein ernstes Interesse
daran hätte, daß wir als Frauen aufstehen und stark werden.
Nur diese Privilegien anzugreifen wird sich nicht innerhalb einer Beziehung
lösen, zumal nicht, wenn es außerdem keinen Ort gibt, wo dieser
Widerspruch angegangen wird. Ich sehe natürlich einen Unterschied,
z.B. wie die Frauen hier überhaupt gefühlsmäßig reagieren.
Das ist auch ein Relikt aus der Kultur, wo es den Rationalismus wie bei
uns nicht gibt. Die Gesellschaftsstruktur ist feudal, da bedeutet ein
Verlieben die Aufgabe von allen anderen Zielen. Ich sehe das für
uns nicht so, denn wir können das anders kontrollieren. Trotzdem
ist bei uns die Beziehungsfrage nicht ausreichend behandelt, begriffen
und beantwortet. Ich kann dazu gerade auch nicht viel sagen, ich sehe
z.B. auch da einen Unterschied, wo die KurdInnen für sich formulieren,
daß ein Vorsitzender notwendig ist, allein um die Konkurrenz um
den Vorsitz auszuschalten. Für uns, das find ich klar, kann und muß
Führung ein Kollektiv sein. Nicht nur zur Reduzierung der Fehler,
sondern auch zur Umsetzung dieses Zieles, als Lebensform.
Ich habe
meine Krankheit einigermaßen überwunden, ein neuer Abschnitt
beginnt. Die türkische Armee hat das Hauptquartier geknackt und sich
dort niedergelassen. Syrien, Iran und Irak schalten sich ein, und langsam
werden auch Stimmen aus Europa laut. Ich bin gespannt, wie lange das noch
dauern wird. Unsere Taktik ist Guerilla: angreifen, zurückziehen,
hinauszögern. Die türkische Armee kann das nicht ewig aufrechterhalten.
Das höchste sind sechs Monate, sechs Monate beweglich bleiben, hieße
das für uns. Dann kommt eh der Winter. Aber so lange werden sie das
nicht durchhalten. Ich persönlich war noch in keiner aktiven Kriegshandlung.
Zwei Punkte
beschäftigen mich zur Zeit. Das eine ist die Leitungsfrage, das andere
ist die Sexualität. Leitung meint Verantwortung und Entscheidungen
zu treffen, aber das hat auch etwas Korruptes, was dann deine Privilegien
sind. Ich versteh auch die anderen nicht, daß sie das so tragen,
also von selbst die Unterwürfigkeit. Naja, sicher ist es gut, den
KommandantInnen, die z.T. schon 20 Jahre in den Bergen sind, Respekt zu
zollen. Aber die Leute kriegen dann fast den Mund nicht mehr auf. Ein
Autoritätsproblem? Zur Sexualität, ich kann beschreiben, wie
sehr mir das fehlt. Es ist nicht nur mit jemanden, auch für mich
selbst. Da bleibt hier kein Raum. Ich habe auch das Gefühl, durch
die Tabuisierung wird es noch stärker. Ich denke nicht viel daran,
es sind eher so Momente, wo ich ein bißchen trauere",
wo das ganze Verlangen und tiefe Empfinden zu einem stillen Bedauern wird.
Es war meine Entscheidung, und sie war auch gut, trotzdem ist sie streckenweise
schwer zu tragen. Es ist dann in diese Trauer meine ganze Gefühlslage
reingepackt, also sehr intensiver Verzicht anstelle von Verlangen.
26.5.1997
Ich fühle mich auf dem Weg der Heilung, verliere Mißtrauen
und Kontrollbedürfnis. Gemeinsam mit den Freundinnen mache ich die
Erfahrung, daß es auch anders geht. Überhaupt wirst du, trotz
aller Anstrengung und Anspannung, sehr ruhig. Eine Ahnung von dem, was
Leben wirklich sein kann - auch verbunden mit der Natur - tut sich auf.
Vor dem Hintergrund wird das Leben in Europa so deutlich fremd, wie es
auch wirklich entfremdet ist. Wir sagen ja, du kannst die Zügel,
die dich halten in Europa, deine Konditionierung erst dann umfassend verstehen,
wenn du außerhalb Europas eine andere Realität kennenlernst
und von dieser aus zurückschaust. Sicher, es gibt hier auch viele
Sachen, die nicht gut sind, aber die sind für mich kein Problem,
sie sind nicht meine "Herkunft". Der Feudalismus z.B. Auch die
Langsamkeit und Unvernetztheit. Ich merke auch daran, daß ich müde
werde zu vermitteln, was ich hier alles sehe. Ich werde so oder so als
ein Produkt davon zurückkommen, ich verlasse Schritt für Schritt
meine Beobachterinnenstellung. Muß nur aufpassen, daß ich
nicht so gefühlsbeladen reagiere, "gegen die Imperialisten,
angreifen", das wäre viel zu gefährlich, dafür hab
ich noch zu wenig Erfahrung, auch wie man sich schützt. Ganz abgesehen
davon, daß die Leitung mich gar nicht lassen würde.
Ich werde also in nächster Zeit wenig schreiben. Auch weiß
ich nicht, was es für Euch für eine Bedeutung hat. Immer noch
kein einziges Wort von Euch. Wenn ich jetzt wüßte, es hat große
Wichtigkeit, würde ich natürlich schreiben. Ich glaube, ich
muß auch einzeln schreiben, die Konturen sind schon zu sehr verschwommen,
und gemeinsam wird es zu einem einzigen Brei. "PKK'li olmak: hergün,
heran yeni baslangiclar yapabilmek-tir" - PKK'Ierin zu sein, heißt
an jedem Ort einen neuen Anfang machen zu können. Ich habe schon
zwei mal Genossinnen kritisiert. Sie mich auch, ich würde mich technisch
annähern, und würde individuell leben - manchmal.
3.6.1997
Gestern
hörte ich einen Bericht über den 2.Juni. Sie sagen, 30 Jahre
hat dieses Ereignis die Republik erschüttert, jetzt ist Frieden.
Und ein Interview mit Horst Mahler. Es ist schon verrückt - er und
der Reporter können die Wirklichkeit sehr genau sehen und voraussehen,
aber nur eines, Konsequenzen ziehen sie nicht, bzw. im Falle Mahlers die
falschen.
5.6.1997
- gerade hören wir, daß der Feind sich aus dem Hauptquartier,
das er eingenommen hatte, zurückzieht. Gestern haben "wir"
den 4. Hubschrauber abgeschossen. Er fiel auf 11 Soldaten - fast alle
hohe Offiziere. Ob es deswegen ist, oder ein Trick?
7.6.1997
Die KDP will Frieden, die TC (Türkei) gibt Erklärungen ab, daß
sie die PKK schon längst besiegt hätten, wäre da nicht
die Unterstützung der Russen und Libyens. Es klingt so, als würde
die Operation bald abgebrochen werden. Uns steht dann ein ruhiges Leben
bevor. D.h., die Luftangriffe gehen natürlich weiter, aber nicht
in dieser Dichte, und Bodenoperationen machen sie erst mal nicht mehr.
Es sind viele gefallen, zwei, die ich kannte. Du nimmst die Nachricht
dann natürlich ganz anders auf. Zwei Männer, die ich kannte,
sind abgehauen. Heute hab ich das erste mal Wache gehalten, bei einer
"Festgenommenen". Es ist eine Frau einer anderen Takim, gegen
die es einen Agentenverdacht gibt, d.h. eigentlich Fragen zu ihrem subjektiven
Verhalten. Sie setzen das hier so zusammen, daß es oft Festgenommene
gibt. Fragen zur Praxis, ein selbstkritisches Nachdenken, eine Zeit der
Konzentration auf sich selbst. Wenn ein Agentenmoment dazu kommt, wird
der auch bearbeitet, aber meistens sagen die Leute das dann von selbst.
Festgenommen heißt, ausgeschlossen zu sein, um auch vor Ablenkung
geschützt sein. Die jetzige ist so ca. 20 m von uns weg zwischen
Steinen - sie geht natürlich mit uns an alle Plätze mit. Tagsüber
eine Wache, die alle Stunde wechselt, nachts zwei. Dann gibt es eine Kommission,
die täglich mit ihr diskutiert. Für mich war es sehr merkwürdig.
Einerseits habe ich mich an meinen Knast erinnert - andererseits habe
ich gedacht, was wohl gewesen wäre, wenn wir das mit Steinmetz damals
auch gemacht hätten. Ich bin gespannt, wie das hier weitergeht. Ansonsten
ist es mittlerweile sehr heiß, richtiger Sommer. Unzählige
Stechmücken machen uns das Leben zur Hölle. Wir bewegen uns
eigentlich noch im gleichen "Bundesland" - auf großer
Höhe, da sind wir vor Luftangriffen sicher. Ich staune immer wieder
über die Schönheit dieses Landes. Nur die Kriegsspuren haben
stark zugesetzt, z.B. schöne wiesige Flächen - wutsch mitten
drin ein Bombenkrater oder Hunderte verkohlter Bäume, wo die Bomben
und Raketen getroffen haben. Ich beginne dieses Land sehr zu lieben. Manchmal
stockt mir der Atem, so schön ist es.
10.6.1997
Es ist viertel nach sieben, wir essen gleich. Die Entwicklung der Gespräche
mit der Festgenommenen zeigen, daß sie eigentlich ohne richtige
Entscheidung hierher gekommen ist. Du kannst nicht mit einer Haltung gewinnen,
jetzt ist alles egal, jetzt kämpfe ich, vielleicht sterbe ich. Das
ist ein weitverbreitetes Problem, bei ihr wurde es nur besonders deutlich.
So eine Hoffnungslosigkeit schlägt sich natürlich auch im Alltag
nieder. Das oberste Prinzip der PKK ist es, das alles zu zerstören
und ein neues Leben zu schaffen. Wenn die Leute aber nur dem alten nachtrauern/hängen,
wird der Widerspruch sehr schnell sichtbar. Ich bewerte diese Form der
"Gefangenschaft" mittlerweile als einen sehr wichtigen Schritt
im Kampf um die Menschen. Es wird nicht einfach nur gesagt: "Du bist
ein Schwein oder was auch immer - hau ab", sondern es wird der Hauptwert
auf die Veränderung gelegt. So sagt die Leitung z.B. auch, daß
die Agentenfrage nicht das Ausschlaggebende ist. Selbst wenn sie z.B.
zugeben würde, eine zu sein, geht es darum, ob sie eine tiefgreifende
Veränderung will oder nicht, also ernsthaft eine Umkehr will. Die
früheren Agenten haben z.T. für die Partei die größte
und meiste Arbeit geleistet, während die eigenen Leute später
oft Agenten wurden bzw. eine Politik und Praktik machten, die zumindest
einer Agententätigkeit sehr nahe war. Ich hoffe, daß bald die
Gerichtsverhandlung ist. Ich schreib Euch dann darüber.
14.6.1997
Ich habe lange nicht geschrieben. Sehr heiß, sehr müde. Zur
Zeit sind die Frauen-Kräfte des Bundeslandes, wo wir sind, alle hier
im Hauptquartier. Es wird jetzt eine Neuordnung geben, also alle in neue
Einheiten verteilt, mit verschiedenen Einsatzgebieten und Aufgaben. Ca.
15.000 Leute sind in der Guerilla, bei einem kurdischen Volk von ca. 35
Millionen sind das ca. 0.04 Prozent. Die türkische Armee hat sich
zurückgezogen, die KDP hält noch die Zufahrtswege, die sie kontrolliert,
geschlossen, es kann also einen Versorgungsengpaß geben. Sowieso
essen wir fast nur noch Mehl, Fett, Salz bzw. Zucker und Tee natürlich.
Ich habe trotzdem viel zugenommen und Wasser in den Beinen. Das kommt
von dem ständigen Wechsel. Mal gehst du 10 Stunden und mehr, dann
wieder sitzt du den ganzen Tag herum.
16.6.1997
Die Zeit vergeht wie im Flug, wir werden ins Hauptquartier zurückgehen,
von wo sich die türkische Armee zurückgezogen hat. Insgesamt
waren 50.000 Soldaten bei dieser Operation eingesetzt, im Hautquartier
ist jetzt bestimmt alles vermint. Laufend gibt es Aktionen, so wurde zum
Beispiel ein Zug überfallen, in dem Özelteams/Kontergueril-la
saßen. Mich würde ja sehr interessieren, wie das in den Medien
rüber kommt. Wir sind eigentlich in der Offensive.
Ich habe für mich die erste Phase des Ankommens jetzt abgeschlossen.
Werde überlegen, wie und was ich machen kann. Will mit der Leitung
diskutieren. Wir hören regelmäßig BBC. Gestern wurde Apo
dazu befragt, welches Verhältnis er zum Iran hat. Erst vor kurzem
wurde da ein Freund, der noch mit uns in der Akademie war, verhaftet.
Jetzt wird er wahrscheinlich an die Türkei ausgeliefert.
19.6.1997
Eine gute Freundin ist bei der Neuordnung gegangen. Bei mir hat das gleich
Verlassen-heitsgefühle ausgelöst. Es war für mich interessant
zu beobachten, wie ich reagierte, ignorierend, schmollend. Ich weiß,
es kam aus der Erziehung, zeig deine Gefühle, Verletzungen nicht.
Ich weiß, daß ich diese Gefühlslage in den Griff kriegen
muß für die Aufgabe, die vor uns liegt. Ich weiß außerdem,
daß meine Gefühle, Verletzungen aus meiner europäischen
Konditionierung kommen: Wenige sehr enge Verhältnisse, in die alles
gepackt wird. Ich habe hier die Erfahrung gemacht, daß es auch anders
sein kann. Trotzdem ist die alte Weise natürlich nicht mit einem
Mal weg. Es ist schon komisch, was ich als schwach-sein gelernt habe.
Das andere ist, daß für mich, wenn wir jetzt ins Hauptquartier
zurückgehen, ein neuer Abschnitt beginnt. Ich will mich jetzt richtig
darauf vorbereiten, was ich hier machen, lernen, anschauen kann, was für
zu Hause nützlich ist. Dementsprechend werde ich mir dann ein Programm
machen. Ich merke schon: Ihnen gleich zu sein, also mich anzupassen, reicht
nicht. Teilweise will ich es auch nicht. In diesem Zusammenhang frage
ich mich, wie die beiden, Pelda und Sîpan, eigentlich hier sind.
Die FreundInnen
sagen ja z.B., daß Pelda Kurtleschmisch, d.h. zu einer Kurdin geworden
sei. Ich führe manche Diskussionen mit "frustrierten" Deutschen
über die Lage in Deutschland. Sie sehen dort zwar Möglichkeiten,
aber keine Kräfte, die diese zu nutzen wüßten. Ich will
in diesen Momenten nur zurück. Anfangen, arbeiten, ideologisch sich
gemeinsam eine Grundlage schaffen, die bestehenden Beziehungen auf - und
ausbauen. Die Erfahrungen auswerten. Ich weiß aber auch, daß
ich geduldig sein muß, Schritt für Schritt. Jetzt sind meine
Schritte erst mal, die PKK zu verstehen. Warum machen sie was wie? Wie
ist sie entstanden usw. Sicher habe ich nach viereinhalb Monaten schon
einen Einblick bekommen, aber noch nicht tief genug. Als ich versuchte,
eine Genossin zu kritisieren, bin ich auch auf Reaktionen gestoßen.
Der Kern der Kritik wird nicht gesehen, dafür die Kritikerin unter
die Lupe genommen. Dann kamen sie zu dem Schluß, daß ich es
nicht richtig verstanden hätte, weil ich Deutsche sei. Auch vieles
also, was ich nicht richtig finde, aber ich bin mir bewußt, daß
ich meine Maßstäbe nicht einfach anlegen kann. Fürs Aussortieren,
was jetzt wirklich wichtig ist, wäre, wenn wir als Gruppe hier wären,
alles einfacher. Sowieso, ich wurschtel mich so alleine durch. Ich kann
mir Euer Leben zum Teil gar nicht mehr vorstellen. Denke oft, was es von
hier alles zu nehmen gäbe, aber auch, wie wenig bekannt z.B. ihre
Geschichte ist.
22.6.1997
Der Begriff Verstehen hat hier eine große Bedeutung, auch wenn das
für mich anders ist, meint er doch ein tiefes Verstehen, aus welcher
Wirklichkeit welcher Schritt kommt und schließlich ein tiefes Verständnis
der Prinzipien, die ich bewerten und auf unsere Lage übertragen kann.
Hier hat das Verstehen deshalb eine so große Bedeutung, weil die
Kurdlnnen keine einheitliche Realität haben. Sie sind assimiliert,
wachsen in Europa auf, im nördlichen Irak, können nicht lesen,
schreiben, aber arabisch, kommen aus den türkischen Metropolen, wo
sie mit Computern aufwachsen, oder südanatolischen Bergen, aus Dörfern
ohne Strom und Wasser. Nur um ein bißchen, die Bandbreite zu zeigen.
In der Partei treffen alle aufeinander. Deshalb ist es wichtig zu verstehen,
wo jemand herkommt, auch um ein gemeinsames Leben bewerkstelligen zu können
und um einen Streit um den Besitz der richtigen Linie zu verhindern. Zwar
entwirft die Partei die Politik, aber in der Praxis, den Bergen z.B.,
sieht es oft so aus, daß verschiedene Vertreterinnen um die Richtigkeit
ihrer Linie fighten - Machtkampf, wir kennen das auch. Grob skizziert
ist z.B. die bäuerliche Linie mit militaristischer bei uns, "hau
drauf und Schluß" zu vergleichen und die kleinbürgerliche
mit den praxislosen PolitikerInnen, die andere wahnsinnig gut kritisieren
können, aber selbst nichts machen.
Als ein
paar Beispiele. In diesem Punkt bedeutet Partei, Organisation und Führung
z.B. ZK eine relative Ausschaltung dieser kräftezehrenden Grabenkämpfe.
Hier ist es auch nicht so, daß Abdullah Öcalan alles festlegt.
Es gibt ein breites Zentral Komitee (ZK), daß dafür verantwortlich
ist. Er ist nur einfach einer, der seit Jahren einen absolut geschärften
und geschulten Blick für die eigene Lage hat. Oft kommen wichtige
Impulse von ihm, und natürlich ist er nach außen auch Repräsentant.
Ich werde im Verlauf des nächsten Monats einen Bericht für ihn
schreiben, denn es ist sicher interessant, wie ich als Deutsche das hier
bewerte. Ich werde versuchen, jetzt, wo die Operation zu Ende ist, Pelda
und Sîpan zu treffen. Wenn es eine Verständigungsmöglichkeit
gibt zwischen uns, fände ich es gut, die weiteren Schritte hier mit
ihnen gemeinsam zu bestimmen. Ob es schnell gehen kann, steht im Moment
noch nicht fest. Ich bin im Karagah, im Hauptquartier, wo eine Kaderausbildung
anfangen soll. Ob ich daran und wenn ja, wie teilnehme, steht noch nicht
fest.
So, Ihr
lieben, bis bald. ich hoffe immer noch auf Post von Euch.
Warum muß eine Kultur die andere ablösen und begraben? Warum
muß der Kampf zwischen der mütterlichen (weiblichen) und der
väterlichen (männlichen) Linie in einseitiger Niederlage enden
und nicht in einer Bindung? Warum muß der patriarchalische Mann
die Mutter, die Frau stürzen, vernichten, um sie abzulösen.
Wenn der Kampf zwischen mütterlicher und väterlicher Macht mit
dem Sieg des Vaters endet, dann widerlegt der Ausgang des Kampfes jedenfalls
die Behauptung des Siegers, daß die unterlegene, die Frau - zu gefährlich
und zu mächtig sei, um mit ihr zu koexistieren.
Die Beschwörung der weiblichen Bedrohung ist ein uralter Mythos,
der die Unterordnung der Frau legitimieren soll. Die Frau entwickelt in
persönlichen Beziehungen Initiative und Kompetenz, auch wenn damit
eine Neigung zur Aufopferung verbunden sein kann. Sie definiert sich mehr
durch Anteilnahme an anderen Menschen und weniger durch Abgrenzung.
Warum erscheint sie nur als eine archaische Figur? Ein Resultat der Abwehr,
Angst und Furcht werden von der wirklich gefährlichen Vaterfigur
abgespalten und mit der mütterlichen Macht verschmolzen.
26.6.1997
Einen Monat werde ich im Karagah/Hauptquartier als Sportverantwortliche
sein und dann nach Haftanin zu Pelda gehen. Ich will das als ersten Schritt
bestimmen für unsere neue Etappe. Entsprechend freue ich mich darauf,
bzw. fürchte ein Scheitern. Falls sie z.B. mit Deutschland abgeschlossen
haben sollte, wird das ein harter Schlag für mich sein. Aber wichtig,
den Tatsachen ins Auge zu sehen. Gefühle kontrollieren, der Weg,
die konditionierte Persönlichkeit zu verändern. Ich stelle in
der Rückschau fest, daß meine, unsere Politik sehr stark von
den persönlichen Gefühlen geprägt war. Die jeweiligen Wunden,
Verletzungen und Überlebensstrategien vor sich her getragen und daraus
gehandelt. Vor allem im Verhältnis zu Männern habe ich wider
meiner politischen Gewißheit gehandelt. Wenn ich schon weiß,
daß daraus nur Verletzungen für mich kommen und mich in alte
Rollen drängen, frage ich mich, warum ich immer wieder darin meine
Rettung gesucht habe. Ich bin mir sicher, für eine erfolgreiche politische
Arbeit kann die jeweilige Gefühlslage keine Orientierung sein. Und
ich hoffe, wir finden da neue Kriterien. Es ist nicht nur wichtig, um
nicht immer wieder von vorn anzufangen, wenn mal wieder alles zusammengebrochen
ist, sondern es ist auch als Signal wichtig: Veränderung ist möglich,
wir können unsere Erziehung abschütteln.
25.6.1997
Eine Takimkommandantin war Agentin und hat den ganzen Takim in die Vernichtung
geführt (ca. 15 Leute). Sie ist dann mit den türkischen Soldaten
mit. Ich beobachte auch hier, daß die Agenten oft sehr "fleißig"
bemüht, sich anstrengend sind. Die Frau, die festgenommen wurde,
ist immer noch bei uns. Wie sie mit der Agentenfrage umgehen, ist sehr
interessant. Wenn man z.B. schaut, daß die Anfangsgruppe von Agenten
unterwandert war und sie dies aber wußte und so handelte, daß
der türkische Staat dachte, er hätte die Gruppe in der Hand,
und sie als ungefährlich eingestuft hatte. Heute ist die türkische
Verzweiflung groß, daß der Geheimdienst damals so versagt
hat, denn jetzt haben sie die "Plage" PKK am Hals und können
sie beim besten Willen nicht vernichten. Das zeigt ja auch diese Operation,
die so groß angelegt war. Es hat auf unserer Seite sicher einige
Gefallene gegeben, aber diese vermeintliche Übermacht, trotz Hochtechnologie,
gibt es nicht. Das war auch bei den ersten Luftangriffen meine Angst:
Jetzt machen sie uns dem Erdboden gleich. Ich hatte diese Vorstellung
der Imperialisten schon verinnerlicht: Wir kriegen euch alle! Sicher,
im Laufe der Zeit gewöhnst du dich daran, lernst einzuschätzen,
wann eine Bombe in die Nähe fallen könnte etc und am Anfang
waren nur das Erschrecken und die Wut. Aber abgesehen von diesem Gewöhnungseffekt
ist es eine Wirklichkeit, daß 10 bis 20.000 Guerillas in Teilen
des Landes schon eine Art befreite Gebiete erkämpft haben. Das vor
allem an den Grenzen zu Syrien, Irak, Iran. Die Zivilbevölkerung
hat zu großen Teilen das Feld geräumt, ist vor den Bombenangriffen
geflüchtet. Es ist wie ein Niemandsland, daß als ein Kurdistan
neu geschaffen und aufgebaut werden kann. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Sie haben nicht die Macht, die Möglichkeiten, die PKK zu vertreiben.
Mal soweit
für heute. Ich will euch morgen noch mehr über die kurdische
"Mentalität" schreiben, wie ich sie sehe, erlebe. Dembasch
- ich beginne Kurdisch zu lernen. Noch ein PS: Vier ihrer Superhelikopter
haben wir abgeschossen, einer davon fiel dem halben türkischem Armeebefehlsstab
auf den Kopf!!
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