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Frieden
ist schwerer als Krieg
Die kurdische Frage war in Europa auf die Tagesordnung gekommen. An dem Massenwiderstand der Menschen aus Kurdistan beteiligte sich die deutsche Bevölkerung im Gegensatz zu der griechischen oder italienischen kaum. Am 15. Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan in die Türkei verschleppt. Seitdem überschlagen sich die Ereignisse. Erneut kam es in Europa, dem Mittleren Osten und überall dort, wo Kurden und Kurdinnen leben, zu Massenprotesten und militanten Aktionen. Vor allem solidarisierten sich Kurdinnen und Kurden aus allen Teilen Kurdistans mit der PKK und Öcalan und forderten seine Freilassung und seine offizielle Anerkennung als Vertreter des kurdischen Volkes. Die Guerilla, die sich offiziell noch immer in einer Phase der aktiven Verteidigung befand (einseitiger Waffenstillstand seit dem 1. September 1998), machte ab Anfang 1999 zahlreiche erfolgreiche Aktionen gegen das türkische Militär. Vom Gefängnis in Imrali setzte der Vorsitzende seine Initiative zur Beendigung des Krieges in Kurdistan fort und stellte in seiner Prozeßerklärung ein umfangreiches Programm für eine politische Lösung der Kurdistanfrage und für eine Demokratisierung der Türkei vor. Die PKK will den Krieg beenden. Dafür gibt es viele Gründe. Seit Anfang der 90er Jahre hat sich die Situation militärisch kaum bewegt. Weder die kurdische Guerilla, noch die türkische Armee konnten größere Erfolge für sich verbuchen. Militärisch war ein strategisches Gleichgewicht erreicht, daß sich nur zugunsten der PKK hätte verändern können, wenn auch in der Türkei selbst und in Europa revolutionäre Kräfte gegen die NATO/Türkei den Kampf intensiviert hätten. Obwohl die PKK zu jeder denkbaren Unterstützung bereit war, erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die Linke in der Türkei und Westeuropa wurde immer schwächer und war keine wirkliche Unterstützung für den revolutionären Kampf. Gleichzeitig ist die Unterstützung der imperialistischen Staaten für die Türkei immer stärker geworden. Die PKK
kann unter diesen Umständen nicht mehr davon ausgehen, daß
sie sich in absehbarer Zukunft militärisch gegen die türkische
Armee durchsetzen kann. Eine Stagnation jedoch bedeutet die Verlängerung
des Leidens der Zivilbevölkerung und viele Gefallene. Um aus dieser
festgefahrenen Situation herauszukommen, zieht die PKK ihre militärischen
Einheiten aus Nordwestkurdistan - dem auf dem türkischen Staatsgebiet
gelegenen Teil - zurück und hat angekündigt, ihr Hauptgewicht
auf die politische Arbeit zu legen. Die PKK betont, daß für
die Erlangung ihrer Ziele und Vorstellungen staatliche oder nationale
Grenzen ohne Bedeutung sind, vielmehr sei ihr Ziel eine wirkliche Demokratisierung
des Mittleren Ostens. Ähnlich festgefahren wie der Krieg in Kurdistan ist die türkische Gesellschaft selbst: Die Armee als eigentliche Machthaber setzt sehr enge Grenzen für die politische und ökonomische Entwicklung der Gesellschaft in der Türkei; Staatsapparat und Armee sind korrupt und eng verwoben mit der türkischen Mafia; die Gewerkschaften sind zersplittert, ihres klassenkämpferischen Gehalts beraubt bzw. direkt unter der Kontrolle der faschistischen MHP (Graue Wölfe); die türkische Linke spielt auf gesellschaftlicher Ebene keine Rolle; die türkische Bevölkerung ist unzufrieden und enttäuscht - besonders, da der Staat nach der Erdbebenkatastrophe 1999 keine wirksame Hilfe organisiert hat. Das ist der innergesellschaftliche Boden in der Türkei für Demokratisierungstendenzen. Die PKK ist realistisch: Friedensprozesse in anderen Teilen der Welt z.B. Südafrika, Nicaragua oder Palästina haben gezeigt, wie schmal der Grad ist, auf dem sich der politische Prozeß entwickelt. Sie ist sich auch bewußt, daß der Teil des Kampfes, der ihr jetzt bevorsteht, noch viel schwerer ist als der bewaffnete Kampf. Sie baut auf dem Fundament dessen auf, was bisher erreicht wurde: Die feudalen Stammesstrukturen wurden größtenteils zerschlagen, die Unterdrückten in Kurdistan sehen sich durch die PKK vertreten. Die Rolle der Frauen in Kurdistan hat sich durch den Aufbau von Frauenorganisationen und die aktive Teilnahme am Kampf grundlegend gewandelt. Ein demokratisches Bewußtsein hat sich entwickelt, wie sich bei den Wahlen gezeigt hat, wo trotz stärkster Repression die Bevölkerung für die HADEP (Partei der Demokratie des Volkes) kämpft. Die Existenz der KurdInnen wird heute weltweit anerkannt. Der inzwischen
mehr als 20 Jahre dauernde Kampf der PKK hat ein starkes kämpferisches
Selbstbewußtsein bei den Menschen aus Kurdistan geschaffen. Man
wird sich nicht mehr mit Krümeln zufriedengeben. Dafür sind
zu viele Opfer gebracht worden. Die Verbundenheit mit den Gefallenen des
Kampfes sind eine Verpflichtung, nicht zurückzuweichen und den jetzt
eingeschlagenen Weg mit aller Entschlossenheit und Zuversicht fortzusetzen.
So sind
die Schicksale der Völker miteinander verbunden und es liegt an uns,
unseren Teil dazu beizutragen, der Menschlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen.
Für die Durchsetzung dieser Ziele ist Andrea in die Berge Kurdistans
gegangen - Internationalistische Solidarität ist der Schlüssel
für eine gerechte Welt. Internationalist/innen aus der Kurdistan-Solidarität, September 1999 |
machwerk, frankfurt (2000)