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Ein
letzter Brief an dich...
Liebe Andrea, jetzt
sitze ich hier und stelle eine Dokumenation über dein Leben zusammen,
obwohl wir die letzten fünf Jahre deines Lebens nichts mehr direkt
miteinander zu tun hatten. Eine Kiste voll mit Erinnerungen und Gefühlen.
Ich lerne dich seit einigen Wochen kennen, soviel von dir, wie in den
gemeinsamen Jahren nicht. Ich stoße auf Dinge, die mich wütend machen. Briefe, die du anderen geschrieben hast, über unser Verhältnis nach deiner Trennung von Kein Friede. Wieviel an Energie und kostbare Zeit haben wir verschwendet, um das Nicht miteinander reden aufrechtzuerhalten. Jetzt habe ich geschriebene Worte von dir, wie du um dich gekämpft hast in den Jahren in Kurdistan. Ich habe vieles verstanden von dem, was dich in den Jahren dort verändert hat. Es gibt auch Dinge, die mir fern sind - aber keine Möglichkeit mehr zu fragen und zu kritisieren. Oder auch, deine Kritik an uns zu diskutieren. Wir haben so oft in den gemeinsamen Jahren den Begriff Solidarität zu kämpfenden Bewegungen entwickelt, aber wir haben ihn nicht für uns selbst umsetzen können. Jede war mit ihrem Schmerz alleine. Du hast die Konsequenz gezogen zu gehen, ich bin geblieben. Ich denke in den letzten Wochen oft an die Zeit, als du 1993 aus Guatemala zurückgekommen bist. Wir beide saßen in einem Cafe und ich war glücklich, daß du wieder da warst. Deine Eindrücke der Reise, deine Reflektion über die Gruppe. Wir haben uns total gestritten, aber nicht unproduktiv. Es war einer der letzten Tage der Nähe mit dir. Deine
Zärtlichkeit und deine Wut... wie dicht liegt das zusammen. Immer
noch springt mich diese Disharmonie, die Bewegung freisetzt an. Widersprüchlich,
wie immer faszinierst du mich - auch nach deinem Tod. Du machst es mir nicht einfach, einen Nachruf auf dich zu schreiben. Du kochst mit jeder geschriebenen Zeile längst vergessene Situationen hoch, die zum Teil zu meinen intensivsten Erfahrungen des Kampfes für emanzipatorische Veränderung gehören. Im Positiven, wie im Negativen. Aber wie gelingt es, dieses Gefühl zu vermitteln? Du forderst mich raus, wie du es bei vielen anderen auch tust. Andrea,
du bist immer noch Konfrontation. Auch wenn es einfacher für
manche geworden ist, die Erinnerung an dich und die Auseinandersetzungen
auf den Dachboden zu packen - du kommst nicht mehr zurück und fängst
an rumzubrüllen, was das soll. Du bist für immer gegangen. Mir liegt
auf dem Herzen, wie ein Stein - die Unfähigkeit, miteinander umzugehen,
die Enge, die jede Beziehung, jedes Verhältnis abgewürgt hat.
Mein Zorn auf dich. Später, als du die Briefe geschrieben hast, aus
der Illegalität, deine Großkotzigkeit, mit der du den Genossinnen
und Genossen aus der RAF begegnet bist - das war nicht okay. Vor allem,
weil du dich selbst aus der Geschichte rausgelassen hast. Ich denke manchmal daran, wie es gewesen wäre, wenn du zurück nach Deutschland gekommen wärst. Mit dem ganzen Elan, den du dir in den kurdischen Bergen, bei den Genossinnen und Genossen zurückerobert hast. Wärst du zur Auseinandersetzung bereit gewesen, wäre ich's gewesen? Es ist wirklich traurig, daß ich es nie wissen werde.... Deine Genossin aus Kein Friede |
machwerk, frankfurt (2000)