Seite
154
|
Gedanken
zum Tod einer Genossin
Ronahî, unsere lebendige, vorwärtsdrängende Genossin. Die sich immer rieb an Bequemlichkeit, Inkonsequenz, ungeduldig war mit sich selbst und anderen. Die nach den nützlichen Lösungen zu suchen begann. Die sich demonstrativ auf die Seite der Verfemten stellte. Ronahî, der ich das letzte Mal im Laufe der türkischen Militäroperation im frühen Herbst 1997 in Südkurdistan begegnete, an einem jener angespannten Tage, als sich die Mitteilungen von gefallenen Genossinnen und Genossen häuften. Ronahis Einheit beteiligte sich in jeder Nacht an den Aktionen gegen die mit der türkischen Armee kämpfenden Peschmerga der KDP. Am frühen Morgen erhielten die GenossInnen nach drei Tagen das erste Mal wieder Mehl, Ronahî war zum Brotbacken eingeteilt. Meine Gruppe sollte in der nächsten Nacht das heftig bedrängte und umkämpfte Gebiet verlassen. Wir hatten einen Tag zum Ausruhen, der Platz am Hang bot keinen Schutz außer den der niedrigen Eichen und Sträucher. Es hieß, verteilt in der Deckung zu bleiben. Dennoch mußte für Ronahis Einheit die Arbeit weitergehen. Freundinnen und Freunde kamen und gingen, hielten ihre Beratungen ab, die Waffen wurden gereinigt, neue Munition verteilt,Tee zubereitet, das Brot gebacken. Es war noch möglich, einige Wort miteinander zu wechseln. Ronahî war, wie die meisten, leicht erschöpft. Dennoch ärgerte sie sich über eine ihrer Genossinnen, die sich nicht genug Mühe mit dem Brot gab. Unter welchen Anstrengungen gerade jetzt das Mehl hierher geschleppt worden war. Wie nötig ein Bissen Brot für jede der Kämpferinnen, für jeden der Kämpfer in dieser Situation ist - daß es dann nicht ein halbverbrannter oder nur halbgarer Fladen sein dürfte, das schien Ronahi selbstverständlich. Aber sie vermochte nicht, sich mit ihrem neugelernten Türkisch der besser kurdisch sprechenden Freundin verständlich zu machen. Es fiel ihr sichtlich schwer, die Kritik nicht ständig zu wiederholen, sondern sie bis zum nächsten Tekmil, der obligatorischen Kritikrunde an jedem Tag aufzuheben. Wir sprachen über die letzten Wochen seit unserer Trennung, über die Angriffe des Feindes, über die Aktionen unserer Einheiten, die eigenen Schwächen. Darüber, wann diese Operation beendet würde, wie die Aussichten für den Winter wären. Am Abend
wurde Brot verteilt, auch an unsere Gruppe. Jede bekam drei der runden
Brotfladen. Meine waren nicht verbrannt und gut durchgebacken. Dieses
Brot von Ronahi reichte mir für die nächsten drei Tage, in denen
ich nach einem feindlichen Hinterhalt von meiner Gruppe getrennt war und
allein den Weg in das benachbarte Gebiet finden mußte. Doch das
ist eine andere Geschichte. Ronahî, der das produktive Streiten ein Bedürfnis war, die um Klarheit rang und sich selbst in der Analyse nicht ausnahm. In den Zeiten der Illegalität hatte sie auch über ihre eigenen Strukturen nachgedacht, über Fehler, die sie wiederholte. Sie nahm die in der PKK instituionalisierten Formen der Kritik und Selbstkritik als Hilfe an, die es ihr ermöglichten, das Persönliche immer wieder mit dem Politischen zusammenzubringen. Diskussionen, die wir dazu hatten, auch zu den Möglichkeiten, in Europa den Kampf weiterzuführen, waren ihr keine Last. In nervenden Situationen drängte sie auf Entscheidungen, Klarheit. Im Alltag suchte sie die Arbeit am Laufen zu halten, wich den Problemen nicht aus. Vielleicht unbedeutend: Zusätzlich zu den befohlenen und notwendigen Aufgaben absolvierte sie jeden Morgen ihre Gymnastik. Ein Hinweis darauf, daß auch jede selbst eine Verantwortung für sich hat. Und: Was sie wußte, wollte sie weitergeben. Sie erteilte den Sportunterricht für die Freundinnen mit Elan und der Überzeugung, etwas richtiges und notwendiges zu vermitteln. Bitter, daß sie uns verließ - wie so viele andere, mit denen der Streit uns vorwärts gebracht hätte. Aber diese Möglichkeit ist immer präsent, nicht nur in den kurdischen Bergen, auch wenn wir sie verleugnen. Ihr Tod trifft um so schmerzlicher, als das wir hier noch keine Strukturen haben, in denen eine gehen kann und ihr Platz dennoch nicht leer bleibt. Wir sind so wenige, daß die Lücken in unseren Reihen das Vorwärtsgehen verlangsamen. Manche sagen, es ist nur noch Stillstand. Vielleicht hätte Andrea hier gefragt: Und was ist Dein Anteil daran, daß es wieder vorwärts geht? Wie gehen wir mit dem Tod dieser Genossin um? Was bedeutet ihr Leben für uns? Kann es irgendeine von uns verstehen, die sie nur einen Teil dieses Lebens kannte? Ist es zu verstehen, wenn nicht miteinander gesprochen, diskutiert, gestritten wird? Kann ihr Weg durch verschiedene Teile der deutschen Restlinken kollektiv verstanden werden, von all denen, die mit ihr zu tun hatten? Oder ist das, schon allein angesichts der Brüche, die Andrea im Laufe ihres Lebens wollte und realisierte, unmöglich? War diese Zersplitterung der Linken nicht auch einer der Faktoren dafür, daß unsere Genossin dort in den kurdischen Bergen ermordet wurde - neben den Wahrscheinlichkeiten des bewaffneten Kampfes? So viele Fragen, und, wieder einmal, keine andere Antwort als unsere eigene. eine Genossin |
machwerk, frankfurt (2000)