Wieder
der Freiheit beraubt
Briefe von Andrea aus Preungesheim (1987)
Am
18.9.87 wurde Andrea erneut verhaftet. Dirk Strandenaes, ein Spitzel belastete
Andrea und ihre Freundin Danae, verschiedene Anschläge u.a. auf das
Amtsgericht Offenbach geplant und dafür Sprengstoffdepots angelegt
zu haben. Wenige Tage vor der Verhaftung von Andrea war Strandenaes von
verschiedenen GenossInnen mit dem Verdacht konfrontiert worden als Spitzel
für den Staatsschutz zu arbeiten.
Der Haftbefehl gegen Andrea und Danae lautete auf Verdacht der Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung, die in mehreren Städten existiere,
sich als Teil des antiimperialistischen Kampfes verstehe und danach trachte
, sich durch die Verübung von Brand- und Sprengstoffanschlägen
in die von der RAF propagierte Einheitsfront von Guerilla und Widerstand
einzuordnen. (aus dem Haftbefehl). Andrea wurde verhaftet, Danae,
die auch in der Wohnung wohnte war gerade nicht zuhause und setzte sich
ab. Andrea kam für zwei Monate in den Knast nach Frankfurt Preungesheim.
1. Brief
Daß
die Presse von einem RAF-Unterstützer spricht, meine und seine Verhaftung
in einem Satz nennt, oder von mehreren Personen aus dem Randbereich der
Terroristenszene berichtet, ist der propagandistische Versuch zu vertuschen,
daß Strandenaes für die Bullen gearbeitet hat, genauer gesagt
für den Geheimdienst, und daß das ganze Verfahren eine von
ihm vorbereitete Inszenierung ist, die ursprünglich in einer anderen
Dimension geplant war. Doch dazu später.
(...) zu dem Typ gab es nichts gemeinsames, nichts. Ich habe ihm von Anfang
an gesagt, daß ich mit ihm keine gemeinsame Praxis haben werde.
Das war dann auch nie mehr ein Punkt.
Ich habe das Schwein insgesamt 12 Tage mitbekommen. Einmal vier Tage,
an denen noch vier weitere Leute dagewesen sind, anschließend war
er vier Tage unterwegs (auch beim ersten Prozeßtag von Luiti, Chris
und Eva, woraus sie jetzt das Ausspähen des vorsitzenden Richters
am OLG Stuttgart machen). Danach ist er noch mal acht Tage am Stück
dagewesen, von denen er tagsüber allein in der Wohnung war und ich
nur zum Pennen gekommen bin. Ich habe ihm am siebten Tag gesagt, daß
er gehen soll und am Morgen des achten Tages ist er dann abgehauen.
Der Zusammenhang zur Kronzeugenregelung besteht darin, wie sie versuchen
seine Bullenidentität zu vertuschen und gleichzeitig für sich
Kapital daraus schlagen wollen: Nach dem Motto, die Kronzeugenregelung
wäre im weiteren Umfeld erfolgreich, denn da gäbe es noch Leute,
die umfallen würden. Das soll verunsichern, uns schwächer darstellen,
als wir sind und die Klarheit, wo wir stehen verwischen.
Es ist auch mehr wie eine windige Konstruktion, bei der sie das, was er
als Spitzel mitbekommen hat total hochkochen,
ES IST EINE DRECKIGE INSZENIERUNG, DIE SICH AUF FAKTEN STÜTZT, DIE
SIE SELBST GESCHAFFEN HABEN.
Strandenaes hat außer einkaufen im Supermarkt und Sprit holen nichts
mitbekommen, nichts von unserer politischen Praxis.
Ich will
jetzt mal genauer drauf eingehen, was sie mit ihm vorhatten. Ich denke
sehr wohl, daß er versuchen sollte, mit Leuten etwas real zu machen
und daß sie sich weiter davon erhofften, daß das dann wie
eine Eintrittskarte wirkt, und er sich langsam vorarbeiten
kann, zu den Militanten,
letztlich zur RAF - so wie ihre gestörten Bullenhirne sich das
vorstellen.
Denn das versuchen sie immer wieder: mit ihren Spitzeln an Militante,
legale oder illegale, ranzukommen, um so einen Schlag gegen den Widerstand
und die Vernichtung von Leuten aus der Guerilla zu landen.
Diese Inszenierung gegen mich ist doch nur deshalb gelaufen, weil der
Spitzel, nachdem er schon in drei anderen Städten nicht reingekommen
ist, rausgeflogen ist.
Die These, das ganze Projekt sei deshalb gelaufen, weil die Schweine
die Autonomen nicht anders bekämpfen können, greift zu kurz.
(...)
Zuerst hat er noch vom Knast aus Gisel, Rolf und Hanna, Gefangenen aus
der RAF geschrieben. Als die Gefangenen den Briefkontakt zu ihm abgebrochen
haben, weil merkwürdige Aussprüche von ihm gekommen sind, haben
die Schweine gemerkt, daß er so nirgendwo reinkommt. Letztendlich
Kontakt hat er über eine Berliner Knastgruppe gekriegt.
ZU EINIGEN
FLUGBLÄTTERN UND DER DISKUSSION; EINSCHÄTZUNG;SCHWIERIGKEIT
DRAUSSEN, DIE ICH MITBEKOMMEN HABE:
...der
Einfachheit halber, um hier nicht zu jedem Flugblatt eine extra Kritik
zu machen, beziehe ich mich auf einige:
drei Dinge
vorneweg:
1. bin
ich nie zu irgendeiner Veröffentlichung gefragt worden, mit Ausnahme
des Briefes, bzw. Redebeitrags zum 18.10.
2. Springt
einem aus den Flugis eine Personifizierung entgegen, die angesichts der
schlechten Kommunikation zwischen Drinnen und Draußen eine pure
Projektion ist, die keine Funktion hat. Vor allen Dingen findet mit einer
Personifizierung immer eine Entpolitisierung statt, die vom Kern, wie
wir mit dieser Inszenierung (der Schweine) umgehen, was wir dieser blanken
Konstruktion entgegensetzen, ablenkt. Einzige Funktion dieser Personifizierung
ist es gewesen, eine Art Betroffenheit hervorzurufen, die so kein Stück
brauchbar ist für uns.
Eine Art
caritativer Betroffenheit, eine Art Mitleid, wer das Leidlied singt,
besingt den Schweinesieg - anstatt einer radikalen Solidarität,
die das Bewußtsein über unser Ziel und die Bekämpfungsversuche
der Schweine ist und zugleich eine Alternative kollektiven Handelns, nämlich
des gemeinsamen Bruchs mit der Ohnmacht aufzeigen muß.
Dann ist mir eingefallen, daß dieses Passive, dieses über sich
ergehen lassen, mit dem Moment einsetzen soll, wo das Druckmittel Knast
da ist und dann jegliche Entscheidung und eigene Bestimmung wegfallen
soll, was ausdrückt, im Knast sei alles zu Ende. Das führt mich
zu einer unserer größten Schwierigkeiten:
die Umgehensart mit der Angst, der Tabuisierung von Knast und somit der
Verdrängung. Durch unser Schweigen wird die Angst nicht kleiner,
nur individualisiert. Mit dieser Individualisierung wird die fehlende
gemeinsame Perspektive drinnen zu einer Bestätigung, daß es
im Knast nicht weitergeht.
(ich kann
das ehrlich nur aus meinen Erfahrungen, auch aus der jetzigen wieder sagen).
Ja und darüber komm ich eigentlich wieder zu dem, womit ich angefangen
habe:
DIE SUGGESTION
UNSERER OHNMACHT IST IHRE STÄRKE
Mein erster
Tag in Preungesheim geht dem Ende entgegen.
Sicherheitsstation nennen sie das hier, fragt sich nur: Sicherheit
für wen und wovor. Konstrukte, Korrupte, Konstruktionen. Die alten
Kerkermauern sprechen Bände. Was sich hier materialisiert hat deutsche
Tradition.
JaJa sie sagen: Nichts sei, vielleicht ist es ja auch gerade das - Ihr
fragt wie es mir geht, fragt lieber was ich tue...
Mal der Reihe nach: Nach der Festnahme ins Präsidium Offenbach, auf
den Rücken gefesselte Arme, im Betonsarg, weißgekachelt von
oben bis unten, und absolut nichts außer den Neonröhren und
deinem Herzschlag. Handschellen schneiden sich langsam in dein Fleisch,
keine Träne, keine Trauer, alle Angst wie weggeblasen, aufgelöst
ins Nichts. In all der Kälte eine Wärme. Du selbst als Mensch,
wie du bist, lebendig, chaotisch, hungrig ... Da ist der ganze Zinnober
um mich herum lächerlich - 1, 2, Gleichschritt, mit der Perfektion
eines Schnellfeuergewehrs, mit der Perfektion der Maschinerie, hochgerüstet
bis zum geht-nicht-mehr und Hunderte von stummen, laufenden Rädchen;
ist das alles nichts gegen meine Gewißheit, schlägt immer wieder
ins Leere. Ich immer noch in Lederhose, T- Shirt und barfuß holen
mich zur ED - Behandlung, was einer Einweisung in einen Folterkeller gleichkommt.
Fotos auf dem elektrischen Stuhl, Abdruck der Handflächen reißt
am T-Shirt, die besonders fleißige Komplizin - besonders eifrig
- besonders gehorsam - besonders dienstgeil, eine von den 150% igen. Der
Bulle steht nur daneben und sieht zu, dann wieder Handschellen, ins 2.
Revier in Offenbach, Berlinerstraße. Im Keller, ein Kerkermeister
erinnert mich an Quasimodo, sechs Zellen, mehr Löcher, mit Nichts,
Milchglas, mal wieder weiß gefliest, zwei Glühbirnen in der
Wand, einen Steinsockel mit Gummibezug, das soll das Bett sein. Menschen
die vorübergehen werfen Schatten in das Loch, sonst hörst du
mit einer unendlicher Penetranz den Ventilator, immer wieder ohne Unterbrechung
bis dir der Kopf dröhnt, das nackte Licht, bis dir die Augen tränen,
und über der Decke ständig Stühlerücken, Gepolter,
Schritte ...
Wahrnehmungsterror, du denkst die Decke stürzt ein, und gleichzeitig
wieder eiserne Ruhe, dieses Nichts. Dann holen sie mich wieder, Handschellen
wieder ins Polizeipräsidium, noch mal Fotos, Handschellen wieder
ins Revier, Handschellen wieder ins PP, zur Vernehmung, sie lassen keine
Methode unversucht, verachtenswert und jämmerlich, ich könnte
auf die Mörderhände spucken ... wohl enttäuscht, oder was-
sie sperren mich wieder in den Betonsarg. Und dann wieder Handschellen,
und gegen 16.00 Uhr bin ich zurück im Revier, wo ich bleibe bis sie
mich holen zum BGH am nächsten Tag...
Die Nacht
ist kalt, ich tu fast nichts anderes als Zittern - ohne Decke - mich schmerzen
noch jetzt meine Nieren, nichts gegessen, kein Wasser, mein Zahnfleisch
fault, der Kreislauf wacklig, gelbe Flecken überall, das T- Shirt
deckt nicht mal den Rücken ganz, Gänsehaut und Schwindel, als
es endlich hell wird, fast ein Gefühl der Erlösung, als endlich
der Ventilator abgeschaltet wird.
Im Zivil-LKA Saab nach Karlsruhe, drei von diesen Figuren im Auto, die
Quintessenz ihrer Unterhaltung macht mir einiges klar ...
Protestresolution
der Mitschüler/innen:
Die
Studierendenvertretung des Abendgymnasiums 1 protestiert entschieden
gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen unserer Kommilitonin
Andrea Butt.
Wir protestieren dagegen, daß unsere Kommilitonin ohne Verurteilung,
nur auf Grund eines Verdachtes, in Isolationshaft untergebracht
wurde.
Wir fordern die sofortige Angleichung ihrer Haftbedingungen an die
für Untersuchungshaft festgeschriebenen Bedingungen. Im Mindesten
muß das 24 Punkte Papier für Untersuchungshaft-Gefangene,
die sich wegen des Verdachts auf 129a Straftaten in Untersuchungshaft
befinden, eingehalten und erfüllt werden.
Wir apellieren an Sie, neben ihrer Pflicht Straftaten aufzudecken
und zu verfolgen, die Menschenrechte nur in soweit zu beschneiden,
als dies unumgänglich ist. Desweiteren werden wir den Fortgang
der Ermittlungen und die Behandlung unserer Kommilitonin in dem
uns möglichen Rahmen weiter aufmerksam verfolgen. 30.9.87
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Dann verfahren
sie sich in Karlsruhe, finden nicht mal ihr eigenes BGH. Der Anblick meiner
Freunde freut mich. Nach dem Zeremoniell der Haftbefehl, doch erstmal
verfrachten sie mich
ins Präsidium in Karlsruhe. Gewöhnlich stinkende Zellen, die
Bullen mit merkwürdigem Dialekt, mein Magen der sich schon fast selbst
verdaut, wird mit Brot und Streichkäse gefüttert. Fünf
Stunden später (ca 18.00 Uhr) werde ich vom schicken, weißen
Saab wieder abgeholt, die Handschellen, doch diesmal die Arme nach vorne,
ihre Anwesenheit verursacht körperliche Schmerzen, die eben gegessenen
Brote kommen mir fast wieder hoch... Dann verfahren sie sich wieder, ruinieren
das Getriebe, beinah auch ihr Funkgerät, die großen Herren
vom LKA, ich komm mir vor wie in nem Comic-Streifen; gegen 19.30 Uhr öffnet
sich dann die Metallschleuse Preungesheims. Nach Einschluß der anderen
kriege ich endlich meine Zelle zu Gesicht. Wie gesagt Sicherheitsstation,
23 Std Zelle, Fliegengitter vorm Fenster, Knastklamotten und im Einzelhofgang
mache ich Training. Mareille Schmegner, Ingrid Barabass und Gisela Dutzi
sind auch hier, permanente Überwachung, permanenter Angriff. Andrea
3.
Brief
10.10.1987
Wo soll
ich anfangen, wo beginnen? Mit den Aussagen von diesem Typ
brachen sie in Offenbach in die Wohnung ein, fuchtelten wie wild mit den
Knarren herum, drohten Sada zu erschießen, kugelten mir die Arme
aus, als sie mich hinderten meinen Anwalt anzurufen, Handschellen, verschleppten
mich, Reviere, Präsidium, BGH, nochmal Präsidium, Preunges-heim.
Zwei Tage eine Zelle auf dem selben Gang mit anderen politischen Gefangenen
(Ingrid, Gisel, Mareille), dann die erneute Verschleppung, wieder kugelten
sie mir die Arme aus. Das neue Loch, noch kleiner, noch dunkler, noch
stinkender, Souterrain, rechts und links leere Zellen, der ganze Gang
nur mir allein, eine dicke Stahltür, die diesen Gang von dem restlichen
Flügel trennt. Da dringt kein Laut durch, nur ab und zu hör
ich Gefangene über mir rufen, lauter verschiedene Sprachen....
Die ersten Tage, die Prozeduren in den Revieren, ist alles nur so an mir
vorbeige-zogen, ich brauchte fünf Tage um wieder zu mir zu kommen,
doch die ganze Zeit über eine Ruhe, eine ruhige sichere Kraft in
mir, auch jetzt, wo ich noch viel klarer sehe, daß das Ziel dieser
Inszenierung, wie sie mich hier reinmanövriert haben, präventiv
sein sollte, zu einer Schlappe wird, die sie sich selbst erteilen.
Die Rahmenbedingung ist das eine, dein Bewußtsein das andere, meine
Liebe, mein Leben, meine Kraft, meine Träume, meine Gedanken, meine
Phantasie, die Ladung an Energie, die Vorstellung von dem was ich will,
und wie sehr und wie richtig, und immer nichts von all ihrem weißen
Dreck, einfach absolut nichts, da reicht nichts hin, das nimmt mir keine
dreckige Inszenierung, keine Folter, keine Befriedung, keine
Methode, noch so ausgefeilte Technik; dieses Wissen gibt mir die Sicherheit,
die Ruhe, auch Phasen von Angestrengtheit und ausgelaugt sein, zuzulassen.
Denn, das ist auch klar, es bestimmt sich immer für das was du willst,
und nicht was du nicht willst. Und auch hier drin macht sich das fest,
daß ganz klar ist, die Ruhe für mich ist auch die Kraft für
die Veränderungen der Bedingungen, die es durchzusetzen gilt; die
Gemeinsamkeit im Kopf kollektiv leben zu können und weiter zu entwickeln,
gerade hier!! Jawohl! Jawohl! Jawohl!
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