Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 52-53
Startbahn West
Rede zur Verhaftung von Andreas Semisch

Bei einer Demonstration am 2.11.1987 zum sechsten Jahrestag der Hüttendorfräumung an der Startbahn West in Frankfurt wurden zwei Polizisten erschossen und mehrere schwer verletzt. Schon in der Nacht gab es eine große Hausdurch-suchungswelle, bei der sich manche so unter Druck sahen, daß etliche Aussagen und Informationen über Personen und die politischen Strukturen im Rhein-Main Gebiet gemacht wurden. Einer derjenigen, der in Folge verhaftet, wieder freigelassen und erneut verhaftet wurde war Andreas Semisch, mit dem Andrea einen intensiven Schreibkontakt hatte. Ihm wurde vorgeworfen, der Polizei die Tatwaffe auf einer anderen Demonstration entwendet zu haben.
Die Auseinandersetzung mit Aussageverweigerung hatte in dieser Zeit einen hohen Stellenwert. Die Startbahnbewegung hatte nicht die notwendige politische Kapazität mit dieser repressiven Situation o.k. umzugehen. Das Ergebnis waren Spaltungen und Verrat.


Rede auf der Demonstration zum 9. Jahrestag der Revolution in Nicaragua am 19.7. 1988 in Frankfurt

Eine Demonstration zum 9. Jahrestag der Revolution in Nicaragua, ist für uns eine Demo, in der wir unseren Widerstand weiterentwickeln wollen. An dem Punkt, an dem wir die Situation der Menschen in Nicaragua begreifen, als existentielle Grenze zwischen Contra-Angriffen, Low-Intensity Strategie der Yanks und West Europa, dem Krieg auf niedrigster Stufe, alles was nicht die direkte Intervention bedeutet und dem Kampf um den eigenen politischen Raum, den die Menschen dort führen, um ihren revolutionären Prozeß zu verwirklichen, entsteht die Nähe zur eigenen Situation hier.

In der Schärfe, in der wir die eigene Situation hier begreifen, heißt existentiell für uns nicht allein das solidarische Verhältnis zur Revolution in Nicaragua, sondern das Bewußtsein, daß wir das was hier und dort die Vernichtung organisiert, nur zusammen zerschlagen können. So kommen wir an das Gefühl heran mit den Menschen in Nicaragua und dem ganzen Prozeß in Lateinamerika zusammen zu kämpfen, greift die Idee von einem international bestimmten und geführten Kampf. Und noch weiter, sehen wir den unmittelbaren Zusammenhang und die Bedeutung, die die Entwicklung der politischen Kämpfe hier in Westeuropa für den revolutionären Kampf dort gerade jetzt hat und haben wird.
Genau da bauen wir unseren Widerstand auf. Und da schauen die Schweine hier genau, wer ein Leben zu eigenen Bedingungen und fundamentale und radikale Auseinandersetzungen zur Praxis bringen will. Hier bekommt die Entwicklung des revolutionären Prozesses für uns eine existentielle Bedeutung.

In der Reaktion der Bullen auf diese Demo und auf das Bündnis, das sie trägt, ihre Angst, die erneute Verhaftung von Andreas Semisch könnte dort seinen Ausdruck finden, zeigt uns, daß sie die ganze Auseinandersetzung,

Erinnerung (VII)

: Sie hat für mich einen sehr langen Atem gehabt und eine hohe Frustrationsgrenze - ich hätte bestimmte Sachen so nicht überstanden.
: Oh no, na ja.

: Manchmal nicht.

: Sie war auch ungeduldig.

: Das war zum Beispiel ein Verhältnis, daß sie zu anderen, die eine längere Geschichte hatten als sie, immer wieder aufgerichtetet hat, nämlich egal, auch wenn man hundert mal eine Niederlage erlebt hat, es weiter gehen muß. Oder zu Frauen, die 50, 60 Jahre um bestimmte Sachen gekämpft haben, hättest du doch resignieren können, wenn du es nicht gleich erreichst, warum kämpfst du da 50 Jahre drum. Oder zu den Gefangenen, in Situationen, in denen sich kein Arsch um sie gekümmert hat, haben sie trotzdem weitergekämpft. Daran hat sie sich immer wieder aufrichten können, denn sie hatte eher eine niedrige Frustrationsgrenze, aber sie hat einen Weg gefunden, woran sie das relativieren konnte.

: Und sie hatte eine große Durchhaltekraft, immer wieder aufzustehen...

: Nicht aufgeben...

: Und nicht aufgeben...

die Andreas ausgelöst hat, nicht mehr wollen. Das ist uns schon länger klar und fügt sich ein in ihre Vorstöße, wie sie revolutionäre Praxis angreifen, um den Prozeß unter uns zu stoppen.
Das klare Verhalten von Andreas während des Angriff auf die Bewegung hier, nach den Schüssen an der Startbahn, ist für viele mobilisierend und stark gewesen. Eingeknastet damals, ließen sie ihn nach einem halben Jahr Isohaft wieder raus.(...)
An dem Punkt Aussageverweigerung drückt sich der unversöhnliche Bruch mit diesem System aus. Gleichzeitig stellt sich an alle die Frage, wie sie zu diesem Staat stehen ...

Klar bleibt die Forderung: Zurücknahme aller Aussagen. Um den Boden für die Konstruktion und so die Inszenierung dieses Schauprozesses zu blockieren,das sichtbar wird, wer auf der Seite der Revolution und wer auf der Seite der Konterrevolution steht. Natürlich wissen wir, daß das kein technischer Akt sein kann, den man/frau kurz schriftlich erledigt, weil so eine Entscheidung nur an dem eigenen Prozeß in einer kollektiven Auseinandersetzung entsteht, in der alle Fragen ehrlich und klar rauskommen - jede und jeder Teil ist.

Das ist eine Bedingung hier, um uns als Mensch durchzusetzen und nicht den Weg von Lüge und Korruption zu gehen. In diesem kollektiven, politischen Prozeß sitzt der Stachel für sie, den wollen sie treffen. Der ganze Aufwand mit dem Andreas erneute Verhaftung gelaufen ist, die kurzfristige und schnelle Bullenmobilisierung in Wiesbaden am PP, als sich Leute spontan zu Andreas verhielten, ihr brutaler Einsatz mit Hunden gegen die Menschen dort und deren Festnahme, ist ihre klare Reaktion.

Um so stärker ist unsere Solidarität, in der Auseinandersetzung mit Andreas und den anderen revolutionären Gefangenen in der Situation Knast und unserer Situation hier. Die Gemeinsamkeit im Kampf um in einem kollektiven, politischen Prozeß Mensch zu werden und eine Kontinuität zu entwickeln im Anpacken einer revolutionären Bewegung hier, ist das was sich langfristig gegen ihre Projekte durchsetzen wird.

Solidarität mit dem Volk in Nicaragua heißt für uns hier den Widerstand aufzubauen...

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machwerk, frankfurt (2000)