Leben und Kampf von Andrea Wolf
Seiten 73-74
El Salvador - Bericht einer Reise
31. März 1993


Ich besuchte vom 2. bis zum 10. März 1993 in San Salvador etliche Organisationen, unter ihnen eine Frauenorganisation, Familienangehörige von politischen Gefangenen und Verschwundenen, Komitees, die die nationale Debatte organisieren, Koordinationen von mehreren Organisationen, Basiskomitees, und ein Radio ...
Zwischen dem 22. März und dem 2. April besuchte ich Parzellen von Kooperativen, nahm an dem Marsch zum Gedenken an Bischof Romero teil, mit dem auch gegen das Amnestiegesetz protestiert wurde, an Versammlungen und hielt dort, u. a. auf einer der FPL/FMLN, auch selbst Grußworte.

Grund für meine Besuche:

a) Um die Situation in El Salvador kennenzulernen und zu überprüfen, ob die Einschätzung des Prozesses, die unsere Organismen in Deutschland haben, korrekt ist oder nicht. Das hat große Bedeutung für uns, weil wir viel vom Kampf des salvadorenischen Volkes lernen können, aber deswegen müssen wir ihn auch richtig verstehen.

b) Um den Kontakt aufrecht zu erhalten, der in der Mobilisierung gegen den Weltwirt-schaftsgipfel der sieben „industrialisierten“ Staaten in München 1992 stattgefunden hat. Unser Organismus hat ein Forum bei dem Gegenkongress organisiert, um eine Diskussion zwischen Befreiungsbewegungen in der neuen Kampfetappe zu initiieren.
Ich bin auch gekommen, um das Projekt des „Internationalen Kampftages für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit“ zu vertiefen, im Kontext der Menschenrechte und der Demokratie der „Neuen Weltordnung“, das dort in München von internationalen Vertreter/innen geplant wurde.

c) Außerdem, um eine Diskussion zu haben, die weiter geht als „nur“ die Probleme zu lösen, die aus der täglichen Realität kommen, denn das ist heute nicht ausreichend, um grundlegende Veränderungen zu erreichen, denn die jeweilige Situation des Drucks in allen Ländern, Regionen und Dörfern, hat seine Ursachen nicht allein in den Bedingungen hier. Diese Diskussion brauchen wir, denn wir sind - allgemein die radikale Linke in Deutschland- in einer tiefen Krise und die alten Konzepte haben keinen Wert mehr. Um neue Wege zu finden wollen und brauchen wir den Austausch mit revolutionären Bewegungen und Parteien.

Zusammenfassung:
Ich kann nicht alles exakt einschätzen, besonders nicht die Situation nach dem 15. März, dem Tag der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskomission und vor den Wahlen im März 1994, deswegen folgen nur einige meiner Eindrücke:

1. Die Vertreter/innen der Organismen hatten die Fähigkeit, uns, die wir Ausländer/innen sind, sehr plastisch die Situation in ihrem Land zu erklären und auch ihre konkrete Arbeit. Gleichzeitig flossen natürlich in alles ihre Gedanken und Einschätzungen ein, aber sie gaben keinen Raum, es zu diskutieren.

Wir hatten die Rolle, allem nur zuzuhören. Am Schluß wurde uns gesagt, daß Geld gebraucht wird und das wars.
Ich bin mir sicher, daß das verschiedene Gründe hat: wirklich dringend Geld zu brauchen, sie warten nicht auf eine Meinung von Leuten, die außerhalb leben und noch keine Vorstellung selbst haben, und dann noch, daß sie diese Beziehungen in der Arbeit mit Solidaritätsgruppen und ihren Delegationen gewöhnt sind, die oft keine politische Position haben, weil die Leute nicht aus einer revolutionären Bewegung oder Kampf kommen.

2. Der demokratische Austausch und mit den gleichen Rechten zwischen den verschiedenen Organisationen und Parteien der Linken ist sehr stark spürbar. Die Verhandlung einer vertikalen Machtstruktur in den Organismen als ein bewußter Schritt für die Erziehung jedes einzelnen Menschen zur Unabhängigkeit und der Fähigkeit, sich zu entwickeln.

3. Es erscheint mir auch, daß die Aktivisten wissen, wie wichtig es ist, ihre eigenen Aktivitäten und Schritte zu demonstrieren, in Verbindung mit dem ganzen Kampfprozeß in der Öffentlichkeit, und daß das bereits realisiert wird.
4. Insgesamt erschien mir die Atmosphäre des Marsches sehr ansteckend, aber die Vorsicht gegenüber dem Ernst der Zukunft wird nicht übersehen. Das ist was für mich zum Beispiel dieser Satz ausdrückt: die Linke kann nicht regieren ohne die Rechte und das Gegenteil. Die pragmatischen Entscheidungen, frei von Ideologie, müssen ihre Tauglichkeit in der Zukunft ausprobieren.

5. Grundsätzlich zeigten mir die Tage und Stunden in El Salvador den Erfolg des sal-vadorenischen Volkes, die 60 Jahre alte Militärherrschaft in eine zivile und demokratische Gesellschaft umzuwandeln, in der Basis der Organisierung. Damit sie nicht in eine formale Demokratie fällt und eigentlich eine technokratische Diktatur die Köpfe besetzt, die nur demokratisch scheint, wie es jetzt in Europa ist, und um im Gegenteil auch eine real-demokratische Gesellschaft in Europa zu erreichen, braucht es die ganze Anstrengung von uns.

In diesem Sinn: Der Kampf geht weiter!

Andrea

San Salvador, 2.April 1993

Für Kein Friede:

Grüße, liebe GenossInnen! Wir wünschen, daß eure Arbeit für die Menschenrechte vorwärts geht und aufflammt wie das Banner der Freiheit.

Vor einem Jahr hat unsere Genossin Mirtala Lopez, Vertreterin der farabundischen Jugend der FMLN, an diesem grandiosen Ereignis teilgenommen, das in München begangen wurde, neben vielen GenossInnen aus verschiedensten revolutionären und fortschrittlichen Bewegungen der Welt, im Forum 1 unter dem Titel „500 Jahre Kolonialismus und Widerstand - Demokratie und Menschrechte in der neuen Weltordnung“.

GenossInnen , bevor ich euch unseren Vorschlag über das Datum, um den internationalen Tag für die Freiheit der politischen Gefangenen zu begehen, darlege, möchten wir uns vorstellen. Wir sind eine Arbeitsgruppe für die Menschenrechte innerhalb der Organisation „Volkskräfte für die Befreiung“ (FPL), Mitglied der FMLN.

Unsere Arbeit nahm, als sie begann, zu der Arbeit und der Untersuchung der „Comision de la Verdad“ und „Comision Ad Hoc“ Stellung. Später arbeiteten wir daran, GenossInnen, die während dem bewaffneten Konflikt verschwunden sind zu suchen - eine Aufgabe, die es immer noch zu erfüllen gilt.

Wir freuen uns, daß wir euch kontaktieren können und daß unser Vorschlag diskutiert werden wird, um zu sehen, ob er standhält.
Als Arbeitsgruppe haben wir uns entschieden, daß der 10. Dezember der Internationale Tag sein könnte, der ja der Tag der Menschrechte in der Welt ist.

Bevor wir uns verabschieden, möchten wir euch bekunden, daß unsere Arbeitsgruppe für die direkten Beziehungen mit euch zuständig ist, egal in welcher Angelegenheit oder Formalität.
Gut, GenossInnen, unsere Telefonnummer und Adresse habt ihr ja.
Wir danken euch, und freuen uns, mit euch zusammen für und zum Schutz der Menschenrechte kämpfen zu können.

Hochachtungsvoll

Ernesto Genas
(Verantwortlicher für die Menschrechte der FPL, eine der fünf Parteien innerhalb der FMLN)

[ -Seiten 71-72 - ] # [ -Start- ] # [ -Inhalt- ] # [ -Seiten 75-77 - ]

machwerk, frankfurt (2000)